Die besten Filme und schönsten Kinomomente 2025
Alles ist zu viel und nicht genug: Wir blicken zurück auf das Kinojahr 2025 – auf Momente des Verhext-Werdens und des lustvollen Sich-betrügen-Lassens, auf die Menschen, die einen Kinoraum erst mit Leben füllen, und auf das Ende der Welt in verschiedenen Ausprägungen.
Das zottelige Thing Called Love
Michael Kienzl

Vor ein paar Jahren bekam ich bei einem Road Trip durch Utah eine musikalische Zwangskur. Fernab der großen Städte gingen nur eine Handvoll Radiosender her, und jeder von ihnen spielte ausnahmslos und rund um die Uhr: Country. Meine anfängliche Belustigung verwandelte sich nach vielen Autostunden in Ermattung und schließlich in eine wachsende Neugier an der schlichten Poesie und romantisierten Authentizität dieser Musik. Es war nicht nur der Sound, der mich faszinierte, sondern auch das Drumherum: die weiten, erhabenen Landschaften, die mit der eigenen Sehnsucht gefüllt werden wollten und die scheinbar beiläufige Sexiness von Flanellhemden, Stetson-Hüten und abgewetzten Blue-Jeans.
Eine selbst auferlegte, bisher leider kaum fortgeschrittene Retro mit Country-Filmen (nicht zu offensichtliche Tipps sind willkommen!) brachte mich zu Peter Bogdanovichs The Thing Called Love, der von einer Handvoll Nachwuchsmusikern erzählt, die es auf den Brettern, die ihre Welt bedeuten (eine kleine Bar in Nashville) schaffen wollen. Songwriterin Miranda (Samantha Mathis) muss dabei lernen, dass ein Traum hartnäckig erkämpft werden will und auch die Liebe nicht weniger mühsam ist. Zur Auswahl stehen ihre Kollegen James (River Phoenix kurz vor seinem Tod: apart, talentiert, aber leider ein Arsch) und Kyle (Dermot Mulroney: sympathisch unbedarft, aber zu lieb, um konkurrenzfähig zu sein).
Der heimliche Star des Films ist aber Sandra Bullock, die damals kurz vor ihrem großen Durchbruch mit Demolition Man und Speed stand. Sie spielt Linda Lue, ein naiv gutmütiges Landei, das sein Herz auf der Zunge trägt. Die Rolle soll vor allem Witz in die Handlung bringen, aber Bullocks selbstbewusst raumgreifende Darbietung überschattet regelmäßig die ihrer Kollegen.
Mehr noch an dem Film eingeprägt hat sich mir aber ein Darsteller, der die kleinste Rolle von allen hat: Linda Lues Hund. Nur für Sekundenbruchteile taucht das zottelige, hechelnde, immer etwas doof in der Gegend herumschauende Ding als Running Gag auf. Den äußerst simplen Joke, dass der Vierbeiner Miranda nicht mag und sie deshalb immer wieder aus dem Hintergrund anknurrt, bringt Bogdanovich mit perfektem Timing immer dann, wenn man am wenigsten mit ihm rechnet. Vielleicht einer der besten Hundeauftritte im Film ever. Das Geheimnis dieser kurzen Augenblicke besteht darin, dass der Film sie eigentlich nicht braucht, sie ihn aber trotzdem merklich bereichern.
Eine Art Nuklearschlag
Lukas Stern

Gut ist das alles sicher nicht, was da in Hollywood vonstatten geht – für die Industrie im Allgemeinen und, anzunehmen, auch für kommende Filme im Speziellen. Der Gedanke an ein mögliches Netflix-Monopol als Ergebnis des Warner-Deals ist so grauenhaft wie die Vorstellung von einem politisch überschuldeten Paramount-Riesen furchteinflößend. Da kann man es fast schon gelassen hinnehmen, wenn von rechts und links (eher von rechts als von links) noch die Tech-Protze ins Geschäft reinfingern, um sich hie und da ein Franchise zu gönnen.
Aber weder Traditionalismus noch Fatalismus sind am Jahresende angebracht. Zumal: Der beste Film des Jahres war eine Netflix-Produktion – noch dazu eine, von der man wahrlich ganz und gar nicht behaupten kann, dass sie in große Kinosäle gehört hätte, dass man artfremd mit ihr umgegangen sei, als man sie stattdessen schlicht und einfach, kühl und leise auf einem Streaming-Server abgelegt hat. Nichts an A House of Dynamite zieht es auf irgendeine Leinwand. Im Gegenteil: Alles daran verlangt nach einem Rechenzentrum, einem OLED-Display und einem Kopfhörer – also nach der technischen Infrastruktur, den Oberflächen und den Devices, die der zur nuklearen Auslöschung bereiten Zivilisation bis zum Schluss verlässliche Begleiter sind.
Nicht einmal ein Publikum ist diesem Film noch ein Anliegen. Alles, was er braucht, ist eine einsame Seele mit einem Notebook und einem Netflix-Abo. Deutlich wird das bereits daran, dass dieser Film das Grundelement der traditionellen Unterhaltungsindustrie (und in besonderer Weise des katastrophischen Blockbusterkinos) gar nicht mehr kennt. Es gibt in A House of Dynamite keine Öffentlichkeit, keine Masse, keine Gemeinschaft im Angesicht der Bombe. Kein einziges Mal filmt Kathryn Bigelow über ein nächtliches, gleichsam zum letzten Mal friedlich glitzerndes Chicago. Kein einziges Mal stauen sich die Pickup-Trucks und Familyvans auf dem Highway zu einem sozial-apokalyptischen Bild zusammen. Alles, was es im Angesicht der weniger drohenden als kühl bevorstehenden nuklearen Katastrophe noch gibt, sind einzelne Entscheidungsträger auf unterschiedlichen Entscheidungsebenen, deren kleine und große Entscheidungen mit Blick auf sich selbst und alle anderen in unterschiedlicher Weise bedeutungslos sind.
Vielleicht ist A House of Dynamite selbst eine Art Nuklearschlag – gegen das Katastrophenfilmgenre im taktischen und gegen das klassische Business-Model Hollywoods im strategischen Sinne. Das beginnt beim Fehlen von (politischer) Gemeinschaft und Öffentlichkeit und endet bei der konkreten Beschaffenheit der Katastrophe, die schon gar nicht mehr abzuwenden, der nur noch in Echtzeit entgegenzukalkulieren ist. Das beginnt bei dem rüden Umgang des Films mit seiner Heldin Olivia Walker (Rebecca Ferguson), die nach gut einem Drittel der Spieldauer unwiederbringlich und aufs Schmerzlichste vermisst verschwindet, wie der Film vielleicht selbst irgendwann aus der Streaming-Library, und endet bei Idris Elba als einsamem US-Präsidenten vor einem Atomkoffer mit einer Hand voll schlechter Handlungsoptionen, dem am Ende nicht viel mehr übrig bleibt, als den Film unverrichteter Dinge in den Abspann zu schicken.
Es steckt ein tiefer und radikaler Verlust in A House of Dynamite. Das macht es mitunter bitter, ihn zu sehen. Aber das macht ihn auch zum poetisch weitesten Wurf des Jahres.
Vom Verlieben, Lieben und Bewundern
Martin Gobbin

Ich bin notorisch geizig beim Punkte-Vergeben: In keinen anderen Film habe ich mich dieses Jahr so sehr verknallt wie in das Midnight Movie The Ugly Stepsister, eine saukomische Body-Horror-Variante von „Aschenputtel“, die bei der besuchten Berlinale-Vorführung von lautem Gejohle und wiederholtem Szenen-Applaus begleitet wurde. Ich war komplett begeistert. Mein IMDb-Rating: dennoch nur 8 Punkte.
Kein anderer Film hat mich dieses Jahr so sehr bewegt wie das taiwanesische Familien-Drama Yen and Ai-Lee. Bei der zweiten Sichtung hatte ich schon antizipativ vor mehreren Szenen einen Kloß im Hals. Selbst jetzt beim Schreiben muss ich nur an die kathartische Hauben-Szene im Finale denken und schon spüre ich den Druck auf meinen Tränendrüsen. Mein IMDb-Rating: dennoch nur 8 Punkte.
Ein 9-Punkte-Film begegnet mir etwa alle drei Jahre mal. Wann ich das letzte Mal 10 Punkte vergeben habe, hätte ich von allein gar nicht mehr gewusst. IMDb verrät mir, dass es 2010 war – nach der Sichtung von Věra Chytilovás Daisies, den ich seitdem locker zehnmal gesehen habe.
Und dann sitze ich irgendwann im Herbst dieses Jahres in einem sehr kleinen Friedrichshainer Kino, um zu schauen, ob der Hype gerechtfertigt ist, den dieser deutsche Film einer eher unbekannten Regisseurin in Cannes entfacht hat. Als er zu Ende ist, öffne ich die IMDb-App und vergebe ohne zu zögern 10 Punkte, zum ersten Mal seit 15 Jahren. Anders als bei The Ugly Stepsister, Yen and Ai-Lee und Daisies weiß ich nicht, ob ich diesen Film erneut sehen möchte. Es ist kein Film, den ich liebe oder in den ich mich verlieben könnte.
Mascha Schilinskis In die Sonne schauen ist für mich eher ein Kunstwerk, wie ich es sonst primär aus dem Museum kenne: eines, das ich zutiefst bewundere, vor dem ich in Hochachtung erstarre, bei dem ich Dankbarkeit dafür empfinde, dass es erschaffen wurde und ich es erleben durfte. Ein Film über das Leben und Sterben, den Tod, die Trauer. Ein Denkmal der Filmkunst. Ein Meisterwerk. Ein 10-Punkte-Film.
Eine Brille zweiter Ordnung
Leonard Krähmer

Schlagworte – Schlagbilder. Ein Gespräch mit Vilém Flusser (1986) gehört eher zu den randständigen Filmen in Harun Farockis Schaffen. Für mich ist er aus unerklärlichen Gründen zu einer Art comfort movie geworden. Der Film dauert keine Viertelstunde und soll „etwas von Vilém Flussers Denken vorstellen.“ Flusser und Farocki sitzen in einem Berliner Café und analysieren die Titelseite der aktuellen Bild-Zeitung, 26. November 1985, 50 Pfennig. Die Boulevard-Ästhetik entlarvt Flusser als „typisches Beispiel für Demagogie“, er interessiert sich jedoch vorwiegend für Phänomenologisches, etwa die „erratische Bewegung der Augen“ auf der Seite und wie Schrift und Bild dabei zusammenwirken.
Flusser trägt Rollkragenpullover, darüber ein Sakko, farblich hebt sich sein Oberkörper kaum von der Wand ab, vor der er sitzt: alles ockerfarben. In der Ecke eine Zimmerpflanze, in manchen Einstellungswinkeln scheint sie aus Flussers Nacken zu sprießen. Farocki sitzt Flusser gegenüber, manchmal ist er links zu sehen, oft zoomt die Kamera auf Flussers Gesicht, sodass gelegentlich nur Farockis Arm Richtung Aschenbecher ins Bild sticht. Flusser raucht standesgemäß Pfeife, wenn er nicht gerade mit ihr gestikuliert. Draußen vor dem Fenster parkende Autos und vorübergehende Mode, zweifellos 80er Jahre. Irgendwann gibt es einen Schnitt, was daran zu erkennen ist, dass genau dort, wo zuvor ein rundliches rotes Auto parkte, nun ein kantiges rotes Auto steht.
Das Sprachgenie Flusser spricht Deutsch mit voluminös tschechischem Akzent, er spricht druckreif, kryptisch und schön: „Die ganze Botschaft, der wir hier entgegenstehen, ist in ein magisches Klima der Brutalität gebadet.“ Die Schrift, eigentlich erfunden, um zu „entmagisieren“, werde durch Typographie und Montage „magisiert“, gleiche sich also der erschlagenden Wirkung der Bilder an. Unter dem Vorwand, gemeinsame Werte zu pflegen, appellierten die Schlagzeilen an die niederen menschlichen Triebe: „Wir sind engagiert an Mutterliebe und Frieden – und gerade deshalb können wir uns erlauben, in Mord und Hass zu wühlen.“
Das „R“ in Mord rollt Flusser mit einer Inbrunst, die nur wenigen Rs jemals zuteilgeworden ist. Farocki fällt daraufhin kurz aus der Rolle, wenn er denn eine gespielt hat, und muss lachen. Ich muss meistens schon vorher lachen. Denn Flusser trägt zwei Brillen: eine auf der Nase zum Lesen, eine zur Dekoration auf dem lichten Haupt. Letztere gleitet einmal die Stirn herunter, die Bügel beider Brillen kreuzen sich verschwörerisch an den Schläfen. Für einen Moment sieht es so aus, als würde sie bis auf die Nase rutschen, als Brille zweiter Ordnung. Schrift und Bild: angleichende Magisierung. Brille und Brille: doppelt ideologiekritische Weitsicht.
Den Film gibt es in fragwürdiger Qualität, dafür aber mit spanischen Untertiteln, hier zu sehen.
Bewegungslos den Lauf der Zeit erleben
Ute Thon

Bevor drei meiner diesjährigen Lieblings-Kunstfilme aus den noch laufenden Ausstellungen verschwinden, möchte ich sie den Leser:innen ans Herz legen: Christian Marclays The Clock ist, passenderweise, ein faszinierendes Found-Footage-Opus über das Verrinnen der Zeit, das noch bis zum 25. 01. 2026 in der Neuen Nationalgalerie Berlin läuft. Das Konzept des Films, der 2010 Premiere hatte und auf der Venedig-Biennale mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, ist ebenso simpel wie genial: einen ganzen Tagesablauf, Minute für Minute mit Filmszenen darstellen, in denen Uhren vorkommen. Marclay sammelte für das Projekt Tausende von Clips – aus bekannten Hollywoodproduktionen, obskuren B-Movies, böhmischen Heimatschmonzetten, japanischen Gangsterstreifen – und brachte sie in einem aufwändigen Montageprozess in eine lineare Struktur, die exakt mit der Echtzeit synchronisiert ist. Mit einer Laufzeit von genau 24 Stunden funktioniert der Film wie ein minutiös getimtes Uhrwerk, dessen kaleidoskopische Pseudo-Handlung allein vom Rotieren der Zifferblätter getrieben wird und gerade dadurch eine unheimliche Sogwirkung erzielt.
Der Film ist ein wilder Ritt durch die Filmgeschichte. Genretypische Handlungsfäden werden dekonstruiert und neu zusammengewürfelt. Um 14 Uhr 41 baumelt Harold Lloyd an der Turmuhr eines New Yorker Hochhauses – eine Szene aus dem berühmten Stummfilmklassiker Safety Last!. Wenig später zeigt John Travoltas Digitaluhr 14:47, als er als Subway-Terrorist sein Ultimatum ins Funkgerät bellt – ein Ausschnitt aus dem US-Action Thriller The Taking of Pelham 123. Wer lang genug sitzen bleibt, erlebt auch, wie die Clock-Protagonisten sich ins Nachtleben stürzen, tanzen, lieben, schlafen – oder sich nachts um 02:50 vor den Untoten aus Night of the Living Dead verschanzen.
Für die Projektion des 24-Stunden-Films wurde im Glaspavillon der Nationalgalerie eigens ein temporärer Kinosaal mit großer Leinwand und bequemen Sofas konstruiert. In die kann man versinken und dem ultimativem Kino-Eskapismus frönen: Bewegungslos den Lauf der Zeit erleben, verpasste Verabredungen, drohende Katastrophen, schmachtende Blicke und leidenschaftliche Abschiedsküsse inklusive. Als ich vor ein paar Tagen nachmittags im Screening Room saß, schlummerte das Paar vor mir eng umschlungen auf der Couch. Auch das ist Teil des Erlebnisses: Man verpasst ein paar Minuten oder sogar Stunden der Vorführung. Beim Aufwachen jedoch ist man sofort wieder im Film und weiß, was die Stunde geschlagen hat.
Außerdem empfehlenswert: Annika Kahrs’ Off Score. Die deutsche Videokünstlerin nutzt in ihren Arbeiten Musik und Klang als Material und Mittel der Kommunikation. Im Hamburger Bahnhof Berlin ist nun bis zum 03. 05. 2026 eine umfassende Werkschau zu sehen, darunter auch ihre neuste Videoarbeit A Cashier’s Opera, für die sie in Berliner Einkaufspassagen gedreht hat: In der Mall of Berlin folgt sie dem Wachpersonal in einen geheimnisvollen After Hour-Club mit rauschhaftem Techno-Sound. Im verlassenen Galeria-Kaufhaus am Alex stolpern ausgemergelte Jugendliche wie Zombies aus The Walking Dead durch die Gänge, und im Lichtenberger Ring Center beschwört eine Opernsängerin mit ihrer Arie die alten Kommerzgeister. Absolut sehens- und hörenswert, auch wegen eines neuartigen Soundsystems, das einen mit Kopfhörern immer mit dem richtigen Sound im Ohr durch die Video-Installationen wandern lässt.
In der Berliner Galerie Societé verknüpft die US-Künstlerin Trisha Baga in ihrem hypnotischen 3-D-Film More bis zum 17. 01. 2026 Fragen zu künstlicher Intelligenz und selbstlernenden Maschinen mit ihren persönlichen Erfahrungen als Künstlerin und Mutter. Fließend und unheimlich wie eine Deep Web Search unter LSD-Einfluss wechseln darin die Erzählebenen – von Unterwasseraufnahmen zu Höhlenbildern und zur Selbstbefragung im Atelier. Bagas Gedanken zum Einsatz neuster Technologie sind dabei spannend und hochaktuell: „Wir haben die Maschinen so erzogen wie wir Kinder erziehen. Aber ohne Liebe, Fürsorge und Respekt. Und das reflektieren die Maschinen jetzt auf uns zurück.“
Heimlich rauchen, Fotos mit Blitz: Mit Roland-Kaiser-Fan-Girls im Kino
Kamil Moll

Sie sitzen als kleines Grüppchen auf den hinteren Plätzen in einem Spandauer Kino, das im ersten Obergeschoss eines althergebrachten Kulturzentrums liegt: rund ein Dutzend älterer Frauen, die sich an einem diesigen Frühnachmittag Ende November 50 Jahre Roland Kaiser – Ein Leben für die Musik anschauen, einen schönen Film, der halb dokumentarische Begleitung, halb immersives Konzerterlebnis sein will. Anders als ich gucken sie die Sause nicht zum ersten Mal. In einer Szene erklärt der Arrangeur von Roland Kaisers fulminanter Jubiläumstour, die in der Leipziger Red Bull Arena beginnt und durch zahlreiche große Stadien Deutschlands führt, dass bei diesen Konzerten die 50 größten Hits des Entertainers und Grandseigneurs gespielt würden. In jeder Stadt kenne jeder Zuschauer jeden dieser Evergreens – eine berechtigt stolze Aussage, die eine der Damen im Saal flugs zu einer Triumphierenden macht: „Das kann man wohl sagen!“, ruft sie mit liebenswürdiger Lässigkeit dazwischen.
Aus dem Film lässt sich etwas darüber ablesen, unter welchen Bedingungen Popmusik in Deutschland stattfindet. Ein Techniker der Crew erläutert, dass Konzerte in dieser Größenordnung eine Herausforderung darstellen: Fußballstadien sind akustisch so konzipiert, dass sie die jubelnden Geräusche von den Zuschauertribünen hin zum Spielfeld begünstigen. Will man das umdrehen, soll der Sound also von unten hochschallen, steht man vor einem Problem, das durch immer wieder neu konfigurierte, komplexe Lautsprecheranordnungen gelöst werden muss. Verlässt Schlager seinen natürlichen Lebensraum, die mittelgroße Halle, gibt es eigentlich keine wirklich für ihn konzipierten Räume mehr.
Roland Kaiser verfügt über ein elegantes Machismo, das einem Musiker um die 70 sehr gut steht und ihn alterslos wirken lässt: Solchen Gedanken hänge ich während der zweistündigen Laufzeit des Films nach. In Wirklichkeit bin ich aber etwas neidisch auf die bestens aufgelegte Gruppe, die nicht nur munter kommentiert, sondern auch Fotos mit Blitz schießt und – ich verrate es nicht weiter, ehrlich – wohl auch bisweilen mal an der Zigarette zieht. Mein cinephiler Drang, mich stets in die vorderste Reihe zu setzen, kommt mir plötzlich seltsam stumpf und deplatziert vor. Wie gerne wäre ich mit ihnen zusammengesessen, rund die Hälfte der Lieder kannte doch auch ich!
Blödelei im Kino-Sandkasten
Philipp Schwarz

An sich ist Ein Minecraft Film nicht zu verteidigen: Jared Hess’ Film versucht gar nicht erst, als eigenständige Erzählung zu funktionieren, sondern reiht in loser Folge einzelne Reminiszenzen an seine Videospiel-Vorlage aneinander. Die Figuren, die dieses Nostalgie-Sammelsurium bevölkern, bleiben entweder vage oder sind auf ein paar wenige, ständig wiederholte Verhaltensticks reduziert. Die grenzenlose gestalterische Freiheit, die sich durch die offene Fantasy-Welt des Spiels in der Theorie auftut, wird am Ende doch wieder auf ein digitales Schlachten-Kuddelmuddel nach Herr-der-Ringe-Muster verengt. Wenn man nach einem Beispiel suchen würde, an dem sich der Niedergang des populären Kinos festmachen ließe, dann scheint sich auf den ersten Blick wenig so sehr dafür anzubieten, wie jene Art von IP-Blockbuster, die Ein Minecraft Film verkörpert – weniger ausgestaltetes ästhetisches Gebilde als filmgewordene Marketing-Synergie.
Und doch: Ein Minecraft Film gibt sich der eigenen Sandkasten-Struktur auf zunehmend exaltierte und, ob man will oder nicht, mitreißende Art hin. Er reiht an den einen (oft dummen) Gag meistens ganz schnell einen weiteren (oft noch dümmeren), bis dieses sich überschlagende Tempo etwas Euphorisches bekommt. Er holt permanent neue magische Werkzeuge hervor, erfindet ad hoc neue Gegner und Hindernisse, schickt seine Figuren auf immer neue Umwege, bis man die Orientierung nicht nur verloren hat, sondern sie gar nicht mehr sucht. Jack Black schneidet währenddessen unablässig Grimassen – weil warum nicht? – und in jedem seiner Dialogsätze gibt es mindestens ein Wort, dessen Klang er genüsslich bis zur Sinnlosigkeit verfremdet.
In dieser manischen Überreiztheit hat der Film etwas zugleich Überwältigendes und Unbedarftes. Vor allem aber legt er eine infantile Energie frei, die dem Kino ganz grundsätzlich zu eigen ist und die eine seiner großen Stärken ausmacht. Als Potential ist diese Energie in jedem Film vorhanden – auch wenn sie oft verschämt unterdrückt und verleugnet wird. Gerne würde man so manchen Film, der vollauf überzeugt ist von der eigenen ästhetischen und thematischen Kompromisslosigkeit, mit so etwas wie Ein Minecraft Film konfrontieren und ihm leise zuflüstern: Auch das bist du. Gesteh es dir ein und schließe deinen Frieden damit.
Die Risse feiern
Maurice Lahde

Eine der absonderlichsten Attitüden ist es, sich zum Wohle des Planeten gleich das Aussterben der gesamten Menschheit zu wünschen. Was Die Ärzte vor ein paar Jahren in einem launigen Stück besangen, wird von Yorgos Lanthimos in den letzten Minuten von Bugonia genüsslich zelebriert, mit jenem arroganten Gestus, der die meisten seiner Filme so schwer erträglich macht. Im größtmöglichen Gegensatz dazu weiß Mike Flanagans Stephen-King-Verfilmung Life of Chuck, dass der Tod jedes einzelnen Menschen eine Apokalypse ist, da er das Verschwinden eines ganzen Universums bedeutet: der Weltuntergang, der am Ende des ersten Akts mit dystopischer Wucht auf die Leinwand gebracht wird, entpuppt sich als das erlöschende Innenleben der im Sterben liegenden Hauptfigur.
Ein wenig schade ist dabei, wie „harmlos“ dieses Innenleben im Film ausgestaltet wird, wie wenig dunkle und verborgene Ecken es zu haben scheint (es müssen ja nicht gleich die notorischen „Abgründe“ sein) – so bleibt eine der schönsten Filmideen des Jahres in der Umsetzung etwas brav. Dabei ist Chuck gewiss so wenig ein „Normalo“ wie jeder andere. Der österreichische Schriftsteller Clemens Setz meinte einmal, er sei noch nie einem normalen Menschen begegnet. Auch wenn man Setz – der in der Tat die Gabe hat, in jedem Mitmenschen vor allem die Idiosynkrasien aufzuspüren – nicht unbedingt als Beobachtungsobjekt unter die Augen kommen möchte, ist das vielleicht die freundlichste Art, auf die Welt zu blicken. (Wobei die Freundlichkeit durch diesen Blick noch nicht garantiert ist, denn vermutlich würde auch Yorgos Lanthimos Setz’ These zustimmen, allerdings nur, um dann nach dem Verächtlichen Ausschau zu halten.)
Ein Werk, das von diesem Blick auf die Welt geradezu durchtränkt ist, ist Adam Elliots wunderschöner Stop-Motion-Animationsfilm Memoiren einer Schnecke. Eine normale Figur gibt es darin nicht; zerknautscht (nicht nur optisch), verdreht und versehrt sind sie alle, und manche tun dabei – ein freundlicher Blick muss kein verklärender sein – anderen Schreckliches an. Die Figur, die den hoffnungsvollsten Satz des Films sagt – „Wie alle zerbrochenen Dinge kann auch eine Seele geheilt werden und wir sollen unsere Risse feiern“ –, ist sogar eine, die der Protagonistin etwas besonders Schreckliches antut. Die Geschichte des frühverwaisten Mädchens Grace, das fast bis zum Schluss des Films in dem Schneckenhaus bleibt, in das es sich schon in früher Kindheit zurückgezogen hat, ist einerseits so traurig, dass man es kaum aushält. Zugleich aber verliert der Film mit seinem bis ins Detail jeder Einstellung liebevollen Blick auf die Welt ihre Wunder, und seien sie noch so absonderlich, nicht einen Moment aus den Augen. Und vollbringt so selbst das Wunder, in jedem Moment traurig und tröstend zugleich zu sein. Ich jedenfalls verließ das Kino beseelt wie selten sonst in diesem Jahr.
Der innere Bernhard und der Kinoraum
Lukas Foerster

Es hilft nichts: Der Kinoabend 2025, hinter dem in der Erinnerung alle anderen verschwinden, bleibt für mich der 15. Juni im Kölner Filmclub 813. Kein bisschen aufgrund des gezeigten Films – fürs Protokoll: Es war, wie so oft im Filmclub, eine echte Rarität, nämlich Christian Hohoffs Spiel der Verlierer (1978), ein bürgerliches Melodram aus dem Fassbinder-Umfeld – sondern einzig, weil mich und die anderen Besucher unmittelbar nach Filmende die Nachricht vom Tod des Filmclub-Leiters, Off-Kino-Impressarios und Lebenskünstlers Bernhard Marsch erreichte.
Über Bernhard wurde hier und anderswo viel geschrieben. Über die Trauer um diesen einzigartigen Menschen hinaus (ja, jeder Mensch ist einzigartig, und wenn Bernhard noch ein bisschen einzigartigerer wirkte, sollte das vor allem Anlass sein, in absolut jedem Menschen den inneren Bernhard ausfindig zu machen) hat dieses Erlebnis meinen Blick aufs Kino überhaupt verändert. Vor allem meinen Blick auf Kinoräume. Wie einzigartig auch jeder einzelne Kinoraum ist: Das habe ich tatsächlich erst seit dem 15. Juni zu begreifen gelernt.
Ein Kinoraum: Das ist nie nur ein physischer Raum, eine Leinwand mit Sitzen davor und möglichst dunklen Wänden um alles rum. Akademisch ausgedrückt: Kinoräume sind immer schon historische und soziale Räume und zwar beides, beziehungsweise alles drei gleichzeitig. Raum plus Zeit plus Menschen: Das ist es, was Kino ausmacht. Der Filmclub nach Bernhard ist nicht der Filmclub von Bernhard und nicht der Filmclub vor Bernhard.
Ich nehme mir vor, die Kinoräume meines Lebens schätzen und beschreiben zu lernen. Zum Beispiel das Scala, das Konstanzer Innenstadtkino meiner Jugend in den späten 1990ern: enge Gänge, aufregende Gefühle, Angst und Fremdheit in der Menge. Oder der zentrale Doppel- wenn nicht gar Zwitter-, leider selten Zwillingskinoraum meiner Berliner Jahre: in der Mitte eine Glasscheibe, auf der einen Seite das Filmkunsttheater Arsenal, auf der anderen das Cinestar-Multiplex: Filmbildung, die ich nicht missen mag, aber teils auch Seminarraumatmosphäre auf der einen Seite, ein Hauch von hedonistischer Modernität und Triple-Features in schon ziemlich nerdigen Jungs-Gruppen auf der anderen. Das wunderbare Cinema Jolly in Bologna, früher mit dysfunktionaler Badewannen-Klimaanlage und deshalb entsprechenden Terror-Temperaturen. Heute wohltemperiert, und damals wie heute gefüllt von gemütlich fachsimpelnder Genuss-Cinephilie. Das alte, wilde und das neue, nicht ganz so wilde Nürnberger Kommkino. Und so weiter und so fort. Never forget.
Im Eisturm bei 25 Grad
Fabian Lutz

Es ist Mai in Cannes. Die Côte d’Azur zeigt sich von ihrer besten Seite. Fette Yachten glänzen im Hafen um die Wette, Touristenmassen wälzen lachend die Strandpromenade entlang und am Himmel kreischen die Möwen. Trotzdem gibt es sie – lange Schlangen missmutig dreinschauender Menschen. In der einen Hand das Smartphone, in der anderen ein Becher billigen Espressos. Fast hatten es die Bewohner:innen der Küstenstadt erfolgreich verdrängt: Mal wieder sind Filmfestspiele und mit ihnen kommt ein unausgeschlafenes internationales Fachpublikum in die Stadt. Sie alle wollen Filme schauen, am besten vier Stück pro Tag, zwei Wochen lang.
Ich finde mich in einer dieser müden Schlangen wieder und freue mich besonders: Ich darf den neuen Film von Lucile Hadžihalilović sehen. Die kunstfertige französische Regisseurin, die ganz zufällig auch mit Skandalnudel Gaspar Noé verheiratet ist, begleitet mich seit einigen Jahren. Ihre Filme streifen durch sonderbare kleine Parallelwelten, die meist in schummriges Licht getaucht sind. Oft geht es um merkwürdige Communities, die durch morbide Rituale zusammengehalten werden. Hadžihalilovićs Neuling La Tour de glace, der bereits auf der Berlinale Premiere feierte und in Cannes dann im Programm des Filmmarktes lief, ist mit Marion Cotillard und eben Gaspar Noé sogar prominent besetzt. Im Zentrum der Handlung steht ein verwunschenes Filmprojekt. Zerklüftete Bergwelten erscheinen wie durch Spiegelglas gebrochen, in Nebel versunken. Durchweg bleibt unklar, ob der titelgebende Eisturm samt Eiskönigin nur die fiebrig-erotischen Halluzinationen der Hauptfigur sind.
Auch wenn der Film auf allen Ebenen großartig ist (er wird am Ende mein Cannes-Liebling sein), gelingt es ihm nicht, mich vollkommen aus dem Festivalalltag zu lösen. Denn immer wieder huschen schnaufende Silhouetten an der Leinwand vorbei. Neben mir höre ich einen nur leidlich unterdrückten Schluckauf und in der letzten Reihe scheint jemand die Untertitel lautstark abzulesen. Aber auch das verebbt, bis ich realisiere: Ich bin ganz allein im Kinosaal. Jetzt, da alle Banausen zum Promiglotzen verschwunden sind, öffnet sich der Eisturm endlich und verschluckt mich. Ich bin verhext, zumindest während der letzten 30 Minuten des Films. Dann knallt die Kinotür und ich stehe wieder im Sonnenlicht. Vor mir die nächste Schlange schnaufender Menschen. Cannes, ich vermisse dich!
Ein bisschen Kino machen
Till Kadritzke

Wenn ich meine Beiträge für die schönsten Kinomomente der letzten Jahre so durchgehe, dann erscheint mir in diesem Jahr kein Kinobesuch auch nur annähernd so besonders und einschneidend gewesen zu sein. Etwas anderes fiel mir auf, als ich diese früheren Rückblicke Revue passieren ließ: Für manch eine*n Filmkritiker*in mag das Kuratieren schon länger Teil des prekären Broterwerbs sein, aber meins war es bisher nicht gewesen. 2025 war nun das Jahr, in dem sich das geändert hat.
Kuratorische Szene 1: Bei der ersten Ausgabe der Woche der Kritik, an der ich aktiv mitgewirkt habe, war ich nicht Teil der kuratorischen Kommission des Filmprogramms, durfte aber mit einigen lieben Menschen ein neues Format organisieren: den Auftaktabend in einer Berliner Kiezkneipe, der jedes Jahr woanders stattfindet, mit besonderen Filmen, über die das Kneipenpublikum in einem peppig moderierten Gesprächsformat dann an der Theke diskutiert. Unsere Wahl fiel auf Rosa von Praunheims Camp-Klassiker Die Bettwurst (1971) als Hauptfilm und auf das Kumpelnest3000 – laut Selbstbeschreibung der „Klassiker unter den Berliner Absturzläden“ – als Location.
Vor die Erinnerung an diesen Abend schiebt sich, während ich im Fieberwahn und deshalb auf den allerletzten Drücker diese Zeilen schreibe, nun die Nachricht von Rosa von Praunheims Tod. Weil ich Rosa nicht kannte, erinnere ich mich heute vor allem an diesen Abend: das makeshiftige Setup einer geliehenen Leinwand im nicht gerade geräumigen Kumpelnest, das Hin- und Herschleppen von Bierbänken, ein umständlich mit dem Mischpult hinter der Bar verkabelter selbstmitgebrachter Beamer, bis kurz vor Veranstaltungsbeginn zu klärende Format- und Projektionsfragen, und dann vor allem natürlich Rosa von Praunheims unfasslich grandioser Film, vielleicht der beste aller Zeiten, wie eine für das anschließende Gespräch auf einen Bierdeckel gekritzelte Diskussionsfrage andeutete.
Kuratorische Szene 2: Für meinen ausgehenden Uni-Job veranstaltete ich mit Carlos Kong und dem Sinema Transtopia im Sommersemester eine Reihe zum transnationalen Filmemachen im geteilten Deutschland. Als Auftaktfilm zeigten wir Şerif Görens Almanya Acı Vatan (1979), eine türkische Produktion über eine Gastarbeiterin, die sich durch Berlin schlägt. Die Strapazen der Organisation dieser Veranstaltung standen denen im Kumpelnest in nichts nach, wenn sie auch anderer Natur waren: Die Rechteinhaber mussten mit der Hilfe von Filmwissenschaftler Ömer Alkin in der Türkei ausfindig gemacht werden, der Universitätsbürokratie war zu erklären, warum sie so viel Geld für die Aufführrechte bezahlen sollte. Englische Untertitel fanden wir in einem wenig akzeptablen Zustand irgendwo im Internet und erstellten noch bis auf die letzten Meter eine neue Fassung. Auch hier hat sich die Mühe gelohnt: den Film dann vor ausverkauftem Haus auf der großen Leinwand zu sehen und mit einem Berliner Publikum zu diskutieren, war ein Erlebnis, das ich nicht missen möchte.
Natürlich habe ich 2025 unzählige schöne Filme gesehen. Aber vom Jahr bleiben wird wohl eher, wie ich selbst mal ein bisschen Kino gemacht habe.
Der Mann, der vom Hochhaus fällt
Silvia Szymanski

Im Vorspann von Mad Men stürzt ein als Schattenriss gezeichneter, James-Bond-artiger Mann von einem Hochhaus. Es sieht aus wie 9/11, aber die Serie spielt in den Sixties. Dort arbeiten die Mitarbeiter einer Werbeagentur in einem Wolkenkratzer in der Madison Avenue, und mad ist auch ihr (selbst)zerstörerischer Lebensstil. Die Serie lief von 2007-2015, aber erst in diesem Jahr habe ich sie mir, zunehmend fasziniert, reingezogen.
Man kommt hinein wie eine „Neue“, wie die gerade frisch angestellte Peggy. Alles ist Oberfläche, elegant, kapriziös geschnitten. Dann blickt man besser durch und sieht, wie klarsichtig, die Geschichten hinter den Geschichten. Mad Men hat unendlich viel zu sagen über die fließende Identität von Menschen.
Sie sind so vieles. Extravagante Salonlöwen. Brillante Jungs mit witzigen und weichen Seiten. Frustrierte Söhne, verletzte Seelen. Verzweifelte Büromenschen. Ehemänner von Hausfrauen mit Heimlichkeiten (beide). Vertrauensvolle Liebhaber. Nette Papas. Unfaire Zyniker und Manipulierer, die anderen viel mehr abverlangen als sich selber.
Beruflich erschaffen sie grandiose Luftschlösser für das, was sie bewerben. Ihre suggestiven Geschichten und Bilder versprechen Glück durch die Erfüllung hoher Erwartungen und sehnsüchtiger Wünsche. Dafür müssen sie vieles übertreiben und intensivieren, und anderes verschieben und verwischen. Wie bei sich selber. Der Beruf gräbt sich tief in ihre Psychen ein.
Besonders deutlich wird das in der Hauptfigur, Don Draper. Die Leute sagen, er erinnere sie an einen Schauspieler, Cary Grant, Gene Kelly? Er hat dieses strahlende Charisma, diesen authentischen Charme. Aber er wirkt, in seinem Schatten, ernster, verbissener und verzweifelter als die beiden, und ist sich damit selbst ein Rätsel. Welch dunkle Power, innere Schrecklichkeit in diesem sich so unablässig dopenden Menschen steckt. Wie unfassbar unfair und hart er sein kann, eifersüchtig und promisk, süchtig nach Alkohol und Nikotin. Sein Darsteller (Jon Hamm) holt Sachen aus sich und der Figur, die er wahrscheinlich vorher auch nicht wusste. Ein weites, funkelndes Feld. Eine metaphysische Geisterwelt.
Schon in Dons ärmlicher Kindheit beruhte „Männlichkeit“ auf wirtschaftlichem Erfolg. Dann auch auf Sex. Frauen aufgabeln, gern aus völlig anderen Lebenswelten. Sie glaubwürdig lieben. Und sie doch an der nächsten Haltestelle aus dem eigenen Leben werfen, weil sie zu viel sind; alles ist zu viel und nicht genug. Don und sein Freund Sterling – das reich geborene, andere Alphamännchen in der Firma – machen jede Geliebte glauben, das mit ihr sei etwas Fundamentales, ohne das man nicht mehr leben könne. Die beiden sind in ihrem Beruf wie in der Liebe so erfolgreich, weil sie sich das, was sie behaupten, in dem Moment auch selber glauben, von ganzem Herzen, aus der Tiefe ihrer unbekannten Seelen.
Mit sich allein, sehen wir die Mad Men bröckeln, eiern und zusammenbrechen. Sie waren einmal völlig andere und wissen nicht, wie umgehen mit diesen in Viele zersplitterten Persönlichkeiten, die sie wurden und die nur scheinbar unter dem Namen an ihrer Tür zusammengefasst werden. Aber so ist das. Am Ende hat man sie alle lieb.
Falsche richtige Worte
Tilman Schumacher

Dieses Jahr war ich erschreckend selten für Aktuelles im Kino. Die Berlinale war bereits der Peak – Hong Sang-soos augenzwinkernden Unschärfen (What Does That Nature Say to You), Philipp Dörings unerschrockener Blick aufs Lebensende (Palliativstation) und die aus dem Ärmel geschüttelten Formexzesse von Hélène Cattet & Bruno Forzani (Reflection in a Dead Diamond) werden wohl bleiben. Darauf folgte nicht mehr allzu viel. Die Maloche, der fehlende Elan, sich selbstständig durch den Jahrgang zu wühlen, und das stärkere Interesse am Vergangenen kamen dazwischen. Und so saß ich übers Jahr verteilt häufig in den Programmen der deutschen und österreichischen Filmmuseen und Kinematheken herum, und auch, wann immer es die Zeit erlaubte, in den wunderbaren Analogfilmmarathons der hiesigen Offkino-Szene, die einen beständig mit (Wieder-)Entdeckungen und auch mit der ein oder anderen filmischen Merk- und Denkwürdigkeit versorgen.
Merkwürdig war zum Beispiel das Screening von Lo strangolatore di Vienna (Guido Zurli, 1971), im internationalen Verleih durchaus auch passend The Mad Butcher betitelt, während des ehrenamtlich bespielten Terza Visione – Festival des italienischen Genrefilms im Frankfurter Filmmuseum. Der Film ist eine Gruselkomödie mit satirischem Einschlag – ein Genremix, der mir in der Regel nicht so taugt. So auch hier. Die Geschichte eines rundlich cholerischen Mannes, der, soeben aus einem Wiener Irrenhaus entlassen, im Streit seine inbrünstig ungeliebte Gattin stranguliert, sie anschließend zu Wurst verarbeitet und auf diesem Einfall aufbauend ein Menschenwürstchenimperium errichtet, tritt spätestens nach der Hälfte auf der Stelle. Aber Filme sind zum Glück nicht nur ihr Plot; aufregend ist hier etwas anderes: Zum einen die beeindruckend raumgreifende Statur unseres Antiheldenmetzgers, gespielt vom auf charismatische Nebenrollen abonnierten US-Amerikaner Victor Buono, zum anderen dessen Wortsalven. Die feuert Buono am Frankfurter Kinonachmittag mit breitestem Wiener Schmäh ab – wir sehen nämlich eine in München hergestellte, aber penibel auf wienerischen Lokalklang bedachte Synchro der rein italienischen Produktion, die mit ihrem betonten Studio-Pappmaché-Wien keinerlei Hehl aus ihrer Schauplatzprojektion macht. Nun hat sich hier das Synchronstudio in Eigenregie derart verausgabt, dass wir im Anschluss den Eindruck hatten, nicht nur einen anderen Film als das Original gesehen zu haben (das ließe sich ja mit Abstufungen von jeder Synchronfassung sagen), sondern einen authentischeren, ja echteren Film. Einen richtigen Wienfilm – einen Film, der so von seiner frech hinzugedichteten Sprachmonumentalität lebt, dass es schwerfällt, ihn sich auf Italienisch vorzustellen.
Eine ungewöhnliche Übersetzung wurde vor einigen Wochen auch im Berliner Zeughauskino präsentiert. Es lief Menschen im Busch (1930), ein früher Tonfilm im Feld des ethnografischen Kulturfilms, wohl gar der erste nicht-fiktionale Tonexpeditionsdokumentarfilm mit Afrikasujet. Hierfür reiste die Ethnologin und Filmemacherin Gulla Pfeffer gemeinsam mit dem Co-Filmemacher und Kameramann Friedrich Dalsheim (der dafür lange Zeit den alleinigen Regiecredit bekam) nach Togo, bis 1914 deutsche Kolonie, und filmte mit betont hierarchielosem Blick das Volk der Ewe. Die beiden drehten in Chelekpe, einem Dorf fernab europäisch-kolonialer Einflüsse, das nun jedoch vom Filmapparat eingefangen wurde. Herausgekommen ist (sieht man vom aufgepfropft wirkenden Talking-Head-Prolog im altväterlichen Kolonialsprech ab) ein formal alle Register ziehender, expressiver Reigen der Rituale, Tänze, der Alltagspoesie und der schräg gestellten Kameraeinstellungen. Auch gesprochene Sprache gibt es zuhauf. Und hier setzt die Übersetzung ein. Denn der Film, der ganz ohne Off-Kommentar und nur mit wenigen kontextualisierenden Texttafeln auskommt, enthält Interviews mit den togolesischen Ewe; erstmalig erklangen deren Stimmen und damit ihre Sicht auf die Welt im Kinosaal. Doch so einfach ist es dann doch nicht. Es ist ein Schein, wenn auch einer mit besten Absichten: Pfeffer und Dalsheim mussten Menschen im Busch nämlich zeit-, orts- und technikbedingt stumm drehen; alle Sounds wurden nachsynchronisiert, die Musik mit authentischen Instrumenten aus dem Hamburger Völkerkundemuseum, die Interviews unter Anleitung von Kennern und durch unbeteiligte Dritte im Berliner Studio. Reenactment des „unmittelbaren“ Sprechens also; Fakt und Fiktion völlig verknotet.
Immer wenn man denkt, man müsste als notorischer Kinogänger so langsam die unterschiedlichen Sprachen und Formen des Films kennen, kommt doch noch eine neue Schattierung, eine Bild-Ton-Anomalie um die Ecke – manchmal, wie hier beschrieben, gar in zweifacher Ausführung. Nicht zuletzt wegen solcher Momente werde ich nie aufhören, mich ohne viel Vorwissen in filmhistorische Programme zu setzen und auf einen neuen Kinobetrug zu bauen.
Die Euphorie im Kuschelsitz nebenan
Robert Wagner

Relativ häufig gehe ich mit meiner Tochter ins Kino und nicht immer können die Filme – zumindest in meinen Augen – mit der Euphorie mithalten, die im Kuschelsitz neben mir herrscht. Trotzdem war es, glaube ich, ein schönes Jahr für Kinderfilme. Die Schlümpfe: Der große Kinofilm führte zwar einerseits vor, wie ein Film aussehen könnte, der gänzlich von KI auf den kleinsten gemeinsamen Nenner hin entworfen wurde. Gleichzeitig bot er aber auch den avantgardistischen Blick in eine Zukunft des Kinos, in der Meme- und TikTok-Kultur alles dominieren. Gabby's Dollhouse: Der Film nahm eine Serie mit Basteltipps, Farben- und Formlehre für die Kleinen und verwandelte sie in ein hemmungslos buntes Abenteuer – als kacke uns ein Einhorn gemütlich einen Regenbogen in Augen und Ohren –, das erst auf den letzten Meter von Sinn und pädagogischer Didaktik eingeholt wurde. Und Pumuckl und das große Missverständnis zeigte im Gegensatz zu Die Schlümpfe, dass ein ganz traditionelles Kino immer noch frisch wirken kann – und dass es keine großen Konzepte oder krampfhafte Coolness braucht, um einen schönen Film zu machen. Manchmal reicht einfach nur ein bisschen Albernheit und Herz, ein Unruhestifter und ein Leidtragender.
Erstmal blind schauen
Florian Weigl

Mein schönster Kinomoment dieses Jahres ereignete sich auf dem Nitrate Festival in Belgrad. Ich betrieb, zumindest von meinem cinephilen Kreis ausgehend, Pionierarbeit. Wie viele dachte ich, dass man, um den leicht entflammbaren und sehr instabilen Nitratfilm einmal projiziert zu sehen, nach Rochester, NY ins George Eastman Museum zur Nitrate Picture Show reisen müsste. (Oder – wie ich später in Bologna erfuhr – auch ins BFI, wo als Teil des Film on Film Festival, das ich nächstes Jahr zu besuchen versuchen werde, ebenfalls Nitratfilm vorgeführt wird.) Ich dachte so, bis Lara mir letztes Jahr bei exff erzählte, dass man auch in Belgrad Nitrat zeigen würde. Selbst war Lara noch nie da, aber das schreckte micht nicht ab und so fand ich mich am 09.06. in Belgrad ein, überrascht davon, dass das Festival nicht bekannter war, dass man vorab keine Tickets oder Pässe kaufen konnte, dass selbst in der Stadt außer an vereinzelten Litfasssäulen kaum dafür geworben wurde, aber erfreut über den Thrill.
Die Realität war dann sehr serbisch. Kuratiert wird das Festival seit jeher von Aleksandar Saša Erdeljanović, mit einem breiten Interesse an Genrekino und schön geographisch aufgefächert, aber all dies mit einem Selbstverstädnis als lokales Festival, das aktuelle Restaurationen zeigt. Auf Film, aber vor allem als DCP. Zwar besitzt das Kino des Jugoslawischen Filmarchivs, wo das Festival seinen Hauptsitz hat, auch eine Nitratfilmsammlung samt Projektor und es war auch geplant, Ford Beebes West Bound Limited (1937) als Nitratprint zu zeigen, nur funktionierte der Projektor an dem Tag nicht, weswegen dies auf einen späteren Tag verschoben wurde. Dazu kam, dass es Synchronuntertitel gab, diese aber nur in Serbisch ausgegeben wurden. Bedeutete: Wenn ich die Filmsprache nicht verstand oder in den Print oder das DCP keine englischen Untertitel eingebrannt waren, schaute ich erstmal blind.
Dies führte mich zu Øyvind Vennerøds Sønner av Norge (1961), benannt nach der ehemaligen norwegischen Nationalhymne. Eine norwegische Komödie, in der Gunnar (Odd Borg), der für den Bürgermeister eines Dorfes arbeitet, versucht, eine Affäre mit seiner Sekretärin vor seiner Frau zu verheimlichen und am Ende in glorreichem Slapstick von dieser durch das Dorf gescheucht wird. Auch wenn sich dies stringent liest: Selten musste ich mir jede Beziehung, Verschiebung und Entwicklung so hart erarbeiten, war ich so stark in einen augenscheinlich seichten Film eingespannt. Irgendwann jedenfalls gehen Gunnar, der Bürgermeister und ein paar weitere Männer in den Wald, um Krieg zu spielen. Das ganze dauert so vier, fünf Szenen und ist vor allem weiteres Slapstickfutter. Ich könnte um mein Leben nicht erklären, warum oder wie dies mit dem Rest des Films zusammenhängt. Nichts deutete vorher darauf hin und sobald der Film zurück in der Stadt ist, wird die Haupthandlung weitergeführt. Seit ich den Film gesehen habe, denke ich darüber nach, was die Überleitung hätte sein können und ich komme der Antwort nicht ein bisschen näher. Wenn ich ehrlich bin, will ich das auch gar nicht mehr wissen, ist es fast schon produktiver in seiner Unerklärbarkeit. Es ist schwer auszudrücken, wie schön es ist, von etwas derart Leichtem und Trivialem so überfordert zu werden, aber ich empfinde es als eine immens wichtige Erfahrung.
Humanistischer Kink
Annette Brauerhoch

Es gab hinreißende, nachhaltig bewegende und nachdenklich machende Kinoerlebnisse, aber den Film, der mich am meisten beschäftigte, hatte ich im Kino verpasst und dann auf Netflix nachgeholt. Grundsätzlich neugierig auf Filme von Frauen, doppelt neugierig auf einen Film von einer Frau, der sich mit weiblicher Sexualität und ihren Phantasien auseinandersetzt, war ich gespannt auf Babygirl von Halina Reijn, und wie Kink (feministisch?) in einem kommerziell verträglichen Spielfilmformat inszeniert werden würde.
Wir kennen die Klassiker aus den 1980er Jahren, auf die sich Babygirl explizit bezieht (insbesondere Adrian Lynes 9 ½ Wochen (1987)). Weniger bekannt sind die zahlreichen Experimentalfilme, auch aus den 1980er Jahren, in denen Filmemacherinnen ihre Sexualität inklusive S/M und BDSM Phantasien zum Ausdruck brachten, darunter Klassiker wie Mano Destra (1986) von Cleo Uebelmann oder Bondage (1983) von Monika Treut.
Mittlerweile bekannt geht es um eine S/M Beziehung zwischen Nicole Kidman als CEO einer Techfirma, die diese Rolle ebenso perfekt spielt wie jene als tradwife im Upstate Mansion oder Manhattan Apartment, und ihrem von Harris Dickinson souverän und lässig verkörperten Intern Samuel, der ihre Aufmerksamkeit erregt, als er einen (etwas heavy symbolisch) schwarzen Hund in den Straßen Manhattans mit einem Keks und zärtlichen Zurufen („come here, girl“) bändigt. Den Keks aus der Hand fressen wird Romy später ihm.
Es gibt eine filmhistorische Kontinuität, in der ältere Frauen monströs werden (Mommie Dearest mit Joan Crawford (1981), Hush, hush, sweet Charlotte mit Bette Davis (1964), bis zurück zu Mildred Pierce (1943) auch mit Joan Crawford im sog. women‘s film); wenn Alter mit (einer ihnen eh eigentlich schon abgesprochenen) Sexualität kombiniert wird, wird‘s bestialisch: body horror wie zuletzt in The Substance. Ich war also neugierig. Doch schon die Besetzung mit Nicole Kidman löste jene Ambivalenzen auf der Ebene des Casting aus, die der gesamte Film auf der Ebene der Inszenierung erzeugt. Kidmans Rollengeschichte prädestiniert sie für einen solchen Einsatz, den man mutig nennen kann, wie viele ihrer Entscheidungen, aber ihr Gesicht zeigt in jeder Szene für mein Gefühl zu deutlich die Folgen der Körpermanipulation, die es damit, trotz aller Schönheit, nah an das Monströse reichen lassen. Zwar nimmt der Film diesen Umstand sehr geschickt auf, indem er die Botoxbehandlungen sichtbar inszeniert, doch es linderte nicht mein Unbehagen, was sich als Störung in der Schaulust niederschlug.
Es beginnt mit ehelichem Geschlechtsverkehr (so soft wie gutaussehend: Antonio Banderas), sehr educational und vorwurfsvoll in Richtung aller Ehemänner und Langzeitpartner: wir kommen (vaginal) nicht mit euch, und ihr merkt das nicht in eurer Selbstgefälligkeit. Zwar ein alter Schuh, aber vielleicht durchaus eine aufrüttelnde message auf der großen Leinwand. Nebenbei führt sie so den Unterschied zwischen klitoralem und vaginalem Orgasmus ein, das 101 weiblicher Sexualität also. Gleichzeitig ist damit eine moralische und dramaturgische Rechtfertigung für die Risiken gefunden, die die Chefin mit ihrem deutlich jüngeren Intern in einer sonst eher geradlinig erzählten Geschichte eingeht. Das emotionale Risiko – Selbstzweifel, Infragestellung ihrer Lebensverhältnisse und ihres professionellen Selbstverständnisses – trifft auf äußere Risiken: Erpressbarkeit durch das erregende Rollenspiel mit dem die Regeln ebenso beherrschenden wie diktierenden jungen Mann. Dieser ist auch ein Repräsentant der Gen Z, das macht den Film jenseits des Altersunterschiedes interessant als Aussage über das veränderte Verhältnis der Generationen zu sogenannten Perversionen. Dass der selbstsichere Schnösel neben Arroganz auch Unsicherheit und Empathie zeigen kann, macht seine Rolle schillernder als Kidmans.
Ohne die Rede vom „male gaze“ bemühen zu wollen fällt auf, dass der Film in seinen Sexszenen die Machtverhältnisse und Inszenierung der Spiele als räumliche Konstellation im Auge behält, indem er meist in die Totale geht und auf (sexistische) Details verzichtet. So entsteht neben dem Raumgefühl Spannung für die Interaktion in diesen Räumen, die wiederum mit ihren ästhetischen Merkmalen auf die Stimmung Einfluss haben. Wenn Romy auf Samuels Geheiß hin ihre Schenkel unter dem roten Satinkleid spreizt, bleibt die Kamera außen vor, kein Zoom oder Schnitt in den Schritt. Im Vordergrund steht die Hemmung, das Unbehagen der sich Öffnenden, ihr Hin- und Hergerissensein zwischen Scham und Verlangen.
Samuel ist vor allem Instrument, ein Katalysator, ein Mittel zum Zweck. Dafür eignet sich das etwas hohle Image Harris Dickinsons aus Triangle of Sadness (2022) bestens, das hineinspielt in Babygirl. Eine Beziehung wünscht man sich mit ihm nicht, als eyecandy ist er willkommen. Schnoddrige Arroganz, Anflüge eigener Unsicherheit, und cockyness spielt er mit großer Bildpräsenz. Aber für mich bleibt unerklärlich wieso ihm der in dieser Rolle viel zu softe und damit irgendwie fehlbesetzte grandiose Antonio Banderas gegenübergestellt wird. Eine fehlgeleitete Idealprojektion.
Dem Film fehlt es – trotz aller vielleicht auch menschlich zu würdigenden Versöhnlichkeit und Harmonie – an Konsequenz in der Adressierung „dunkler Phantasien“, wenn die Traumlösung zum Schluss in der erotic education des Ehegatten besteht und Samuel praktisch weit weg nach Japan versetzt wird. Jetzt kann sich der befreite Sex ohne äußere Einmischungen im heimischen Bett ausleben und das glaubt doch kein Mensch. Muss man auch nicht, es geht um das Kino, aber von dem wünsche ich mir immer noch mehr als im Leben. Wenn der Film auf der Ebene von kinky sex zu naiv humanistisch ausfällt, so zeigt er doch nebenbei eine interessante Sozialkritik und -korrektur am Image neoliberaler weiblicher Emanzipation, die unbedingt Brüche braucht, vielleicht auch solche, die weniger harmonisch integriert werden. Wenn der humanisierte Kink sein Pendant in einem der Einfühlung und Fürsorge einem anderen Mann gegenüber fähigen Protagonisten findet, dann hat der Film nicht nur zu sexueller Öffnung, sondern auch zu menschlicher Empathie aufgerufen. Und damit hat er dann doch auch etwas angestoßen, aber vielleicht nicht das, was er vorrangig im Sinn hatte.
Die Welt gehört Dir nicht
Pavao Vlajcic

2025, zweifelsohne ein annus horribilis, fühlte sich an wie der Anfang des Winters unseres Missvergnügens. Ich meine das weder in persönlicher noch in kinematographischer Sicht, hier gab es durchaus viel Schönes. Die politischen und sozio-ökonomischen Entwicklungen präsentieren allerdings jeden Tag aufs Neue eine völlig aus den Fugen geratene Welt, bei der man eigentlich nur noch versuchen kann, sich in Deckung zu bringen und zu hoffen, dass die Sintflut einen irgendwie verschont. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so wenig hoffend nach vorne geblickt habe. Drei Filme und Sichtungen des Jahres, die meine Stimmung zusammenfassen:
Dass Kathryn Bigelows A House of Dynamite in diesem Kontext noch wie einer der hoffnungsfroheren Filme des Jahres wirkt, erscheint wie ein Hohn, aber rückblickend: Der Film hat etwas tröstendes. Sicher, er ist ein effizient arrangiertes Spiel mit Angstlust, das über die volle Laufzeit zu fesseln vermag und fatalistisch auf ein vorher definiertes Ende zusteuert. Bigelows Blick in die Hinterzimmer der Macht offenbart allerdings keine korrupten, narzisstischen oder inkompetenten Arschlöcher, sondern rational und vernünftig agierende Menschen, die versuchen, das Beste aus einer völlig entgleisten Situation zu machen. Auch wenn die Wirklichkeit diese hoffnungsvolle Vision täglich Lügen straft – es ist schön, sie einen Moment lang zuzulassen.
Zulassen in diesem Zusammenhang will ich aber nicht mehr die Rashomon-Vergleiche, die in Besprechungen dieses Films ständig gemacht wurden, und würde am liebsten jeden Filmkritiker, der damit ankommt, mit lebenslangem Schreibverbot belegen. Ja, Bigelow präsentiert die Ereignisse aus drei verschiedenen Perspektiven. Diese, und das ist der zentrale Unterschied zu Kurosawas Klassiker, widersprechen sich aber nicht, sondern ergänzen einander. Insofern: Thema verfehlt, setzen, 6.
Der ekstatisch-trübsinnige Existentialismus-Trip Sirāt von Oliver Laxe war dann für mich der zentrale Film des Jahres. Auf den großen Festivals verpasst, musste ich mit einer Sichtung im kleinen Frankfurter Kino Mal Seh’n vorliebnehmen, welches sich aber der Aufgabe mehr als gewachsen gezeigt hat. Der so wichtige und wuchtige Donnersound, der als Puls des Films fungiert, kam überraschend kraftvoll aus den Boxen des kleinen Arthouse-Saals. Die Geschichte eines Vaters auf der Suche nach seiner Tochter in der marokkanischen Wüste erlebt man am besten ohne viel Vorwissen. Wenn die Einschläge dann kommen – und das tun sie ohne Vorwarnung, hart und überraschend – bleiben einem nur noch Schreie und Seufzer im Kinosessel. Das Schicksal prasselt ziel-, gnaden-, und wahllos auf die Protagonisten ein. Wer überlebt, macht weiter, ohne zu wissen, was ihn erwartet. Diese Möglichkeit immerhin lässt der Film.
Abschließen möchte ich den Exkurs zum vergangenen Jahr mit einer Wiedersichtung. Im Rahmen einer Werkschau lief Brian De Palmas legendärer Scarface im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt, von 35mm und mit 4-Kanal-Magnetton. Der für seine Exzesse berüchtigte Klassiker war nie einer meiner Lieblingsfilme des Regisseurs, ein bisschen teilte ich hier die Einschätzung von Pauline Kael, dies sei ein De-Palma-Film für Leute, die keine De-Palma-Filme mögen. Die Neubegegnung hat diese Sicht revidiert.
Oberflächlich gesehen ist es leicht nachzuvollziehen, wie der Film (nach dem anfänglichen finanziellen Misserfolg) aus seinen filmästhetischen Stilisierungen riesiges Kapital schlagen und massiven Einfluss auf die Kultur ausüben konnte. Was dabei untergeht ist die kompromisslos defätistische, nihilistische, unerbittlich trostlose Grundstimmung des Films, laufend verstärkt durch Giorgio Moroders melancholischen Soundtrack. Von Anfang an deutet bereits alles auf eine komplette und vernichtende Niederlage ohne Entkommen hin, mit dem zusätzlichen Bonus, dass der Preis, um den man in den Kampf zieht, zu keinem Zeitpunkt den Einsatz wert ist. „The World Is Yours“ verheißt die berühmte Schriftzug-Chimäre in dem Film. De Palma scheint zu meinen: Die Welt gehört Dir nicht und sie schert sich einen Dreck darum, was aus Dir wird.
Was 1983 galt, gilt 2025 zumindest doppelt. In diesem Sinne: Frohes Neues.
























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