Der Trost des neugierigen Blicks: Retrospektive Takahisa Zeze

In seinen Filmen ist die Erde nur ein Punkt, und die Menschen scheinen nichts als Wellen in der Zeit. Unter der Überschrift „Terror und Transgression im Niemandsland“ zeigt das Zeughauskino das vielseitige Werk des eigenwilligen japanischen Filmemachers Takahisa Zeze.

Grob gibt es zwei Arten, wie der Weltraum in Filmen dargestellt wird. Einmal ist er dieser überfüllte Hort unzähliger Zivilisationen, Variationen von Flora und Fauna und unbekannter Lebensformen, dessen Weite schnell per Überlichtgeschwindigkeit oder einen Sprung in den Hyperraum überwunden wird. Seine Leerräume sind eine Projektionsfläche für unsere Fantasie. Und dann gibt es die Filme, in denen er einfach nur kalt, leer, unendlich weit und lebensfeindlich ist. Lediglich fragile Schutzvorrichtungen trennen uns vom Tod in seinem endlosen, mitleidlosen Schlund. Würde Takahisa Zeze seine Filme im Weltraum ansiedeln, sie würden in die zweite Sparte fallen. In ihnen ist nämlich schon das Leben nur so von Kälte, Leere, Weite und Lebensfeindlichkeit geprägt und die Erde spürbar nur ein winziger Punkt im ewigen All.

Nicht-Orte und die Gebiete der Zeit

Programmatisch ist da – in Titel, Geschehen und Bildwelten – einer seiner ersten Filme. No Man’s Land (Waisetsu bôsô shûdan: Kemono, 1991) startet in einer lakonischen, entfremdeten Stadtkulisse, die in Richtung einer Sumpflandschaft verlassen wird. Der erste Teil ist dergestalt eine Hommage an Jim Jarmuschs Stranger than Paradise (1984), der zweite an dessen Down by Law (1986). Der Film wechselt dabei auch von einer unnachgiebigen, zähen Gegenwart zu einer irrealen Parallelwelt. Oder: von einem ausgedehnten Nichts in ein anderes. Belagert wird das Geschehen zusätzlich von der TV-Berichterstattung über den Golfkrieg. Doch das Hier und Jetzt des Films bleibt unberührt von diesem weltpolitischen Ereignis, das anwesend ist und doch völlig ungreifbar.

Nicht-Orte bilden das Gravitationszentrum von Zezes Filmen. Mal sind sie allgegenwärtig, mal der Fluchtpunkt, auf den die Figuren zusteuern. Japanische Großstädte bestehen in Filmen wie The Dream of Garuda (Kôkyû sôpu tekunikku 4: Monzetsu higi, 1994) oder Raigyo (1997) großflächig aus Schlammäckern, verfallenen Hinterhöfen, Industriegebieten und einförmigen Reihenblöcken. Das prädigitale Color Grading sieht dabei – bei aller Schönheit – giftig und krankheitserregend aus. Bürgerliche Urbanität und Sauberkeit bilden die Ausnahme und sind eher täuschende Fassaden. Der Superheldenfilm Strayer’s Chronicle (Sutoreiyâzu kuronikuru, 2015) endet in einem verfallenen, niedergebombten Wissenschafts- und Industriekomplex, weil die „Helden“ dort sowohl ihren Ursprung als auch ihr Schicksal finden werden. Der diametral entgegengestellte Park mit seinen spielenden Kindern und Picknicks sieht dagegen wie ein irrealer Wunschtraum aus, der bei genauerem Hinsehen eine Täuschung aufzeigt. Die Protagonisten von Heaven’s Story (Hevunzu sutôrî, 2010) schließlich zieht es immer wieder in eine verlassene, langsam von der Natur zurückeroberte Stadt, in der sie sterben und/oder morden werden.

In Tokyo X Erotica (2002) wird wiederholt die Frage gestellt, ob die Zeit vor oder nach dem Leben länger ist, es geht immer wieder um die unvorstellbaren Gebiete der Zeit. Der Film selbst springt zwischen vier Zeitpunkten hin und her und bietet nur fragmentarische Einblicke in das Leben seiner Protagonisten. Einblicke, die um die Möglichkeit und Unmöglichkeit von Zweisamkeit kreisen. Und wenn nun 1995 jemand auf einen Teppich pinkelt, nehmen eine Szene weiter die Bewohner der Wohnung im Jahre 1989 den Geruch des Urins plötzlich wahr. Ihre Schicksale sind Überlagerungen und Dopplungen. Die Individuen scheinen wie Wellen in der Zeit, eine Wiederkehr des Gleichen (auch Reinkarnation spielt eine wichtige Rolle in Zezes Filmen), und doch vor allem lächerlich kleine Ausprägungen in einem gigantischen Nichts, das sie umschließt.

Trotzige Hoffnung

Die intensivste Leere findet sich aber zwischen den Menschen. Ob Zezes Filme nun von Superhelden, Tankstellenmitarbeitern, Mördern oder Vergewaltigern erzählen, stets sind die Figuren Traumatisierte. Sie suchen nach Nähe, nach Sühne und Vergebung, nach Heilung ihrer Wunden. Sie suchen sie in Sex und Gewaltausbrüchen. Sie finden aber nur die Indifferenz einer verlassenen Welt oder den Tod. Sie enden verzweifelt und mit leeren Augen. Nur manchmal geben die Filme diesen Figuren eine trotzige Hoffnung, wenn diese sich gerade von den Rückschlägen, von der Unmöglichkeit ihrer Unterfangen nicht unterkriegen lassen.

Zezes Geschichten greifen dafür oft auf reale Mordfälle zurück, die reißerisch durch die Medien gingen. Bei allem Blut, bei aller irrationalen und zwanghaften Gewalt, bei aller Verlorenheit, ist sein Ansatz ein intimer. Er legt es weniger darauf an, kathartische Gewaltausbrüche ins Bild zu rücken, als den Menschen und ihrem Suchen zu folgen. Sein Stil ist folglich kein expressiver. Die Geschichten sind nicht pointiert, folgen keinem klaren dramaturgischen Überbau und sind schon gar nicht darauf aus, uns etwas zu erklären. Oft bleiben die Filme obskur, und der Zuschauer muss selbst verarbeiten, was er gerade sah. Die Einstellungen bleiben zumeist auf Distanz und zeigen eher Räume als Gesichter und Details. Und spätestens mit der Flexibilität digitaler Kameras – Tokyo X Erotica (2002) war etwa der erste digital gedrehte Pinkfilm überhaupt – sind die Bilder selbst zu Suchenden geworden, die den Leuten, ihren Bewegungen und damit den spärlichen Ausdrücken ihres Innenlebens folgen.

Das Ergebnis all dessen ist aber kein Slow Cinema, dafür ist Zeze doch noch zu sehr Genrefilmer, sondern eine ausgebreitete, assoziativ geschnittene Sammlung von Eindrücken, die ein eigenwilliges Bild ergibt. Anstatt die Menschen und ihre (oft schrecklichen) Taten zu erklären, folgt Zeze ihnen unaufdringlich und lässt ihnen ihre Würde, vergreift sich nicht an ihrem Innersten. Und in diesem neugierigen Blick, der nicht urteilt, sondern möglichst viel aufnehmen möchte, findet sich der ganz eigene Trost seiner Filme.

Die Schmuddeljahre

Bekanntheit erlangte Takahisa Zeze in den 1990er Jahren als Teil der sogenannten vier Teufel. Gemeinsam mit Hisayasu Satō, Toshiki Satō und Kazuhiro Sano wirbelte er die seit den 1960er Jahren existierenden Pinkkinos auf. Dort werden unabhängig produzierte Filme gezeigt, die um die siebzig Minuten dauern und denen nur gemeinsam ist, dass alle zehn Minuten Sex zu sehen ist. Wie alle Sexfilmwellen der Welt hatten die Pinkfilme nach der Einführung von Videos in den 1980er Jahren zu kämpfen. Mit ihren radikaleren, artifizielleren Werken brachten die vier Teufel einen neuen Wind in das Genre, und die Filme selbst schafften den Ausbruch aus den Pinkkreisen. Die Werke der vier tragen deshalb meist zwei Namen, einen für die breitere Auswertung, einen für die speziellen Pinkkinos. Der japanische Titel von No Man’s Land heißt übersetzt „Gruppe obszöner Ausreißer: Biest“, The Dream of Garuda ungefähr „Einseiftechnik 4: Ohnmacht durch mysteriöse Qual“ und Raigyo (wobei es sich um den japanischen Namen der für den Film wichtigen Schlangenkopffische handelt) eben „Die Frau in schwarzer Unterwäsche“.

Zeze war nach seinem Studium an der Universität von Kyoto, einer der angesehensten Unis Japans, vor allem Pinkfilmer geworden, weil er in diesem Bereich trotz geringer Budgets künstlerische Freiheiten besaß. Zudem fanden seine Filme ein Publikum. Anders als seine drei Mitstreiter, die gar nicht oder nur bedingt außerhalb der Pinkfilme Fuß fassten, schaffte er es relativ schnell, auch in anderen Kontexten Filme zu realisieren.

Spätestens seit dem Jahr 1997, mit dem Horrorfilm Kokkuri und dem Pinkfilm Raigyo, der für einen solchen schon sehr wenig Sex enthielt, weisen Budget, Produktionszusammenhänge und Inhalte von Zezes Filmografie keine rote Linie auf. Das Ergebnis ist ein bunter Strauß, in dem eine Liebeskomödie (Dog Star, 2002) mit einem Hund, der von seinem verstorbenen Herrchen den Wunsch erfüllt bekommt, zum Menschen zu werden, um sich in seine ehemalige Trainerin zu verlieben, ebenso Platz hat wie ein Pinkfilm, in dem ein zu Unrecht Verurteilter durch Erotikmassagen Sühne erlangen möchte (The Dream of Garuda), oder eine viereinhalbstündige Meditation über Schuld, Sühne und Rache (Heaven’s Story). Zumindest das Werk dieses Regisseurs gleicht damit einem überbevölkerten, vielförmigen Weltall.

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