Community-Arbeit: Film Restored 2024
Die neunte Ausgabe des Filmerbe-Festivals "Film Restored" versammelte aktuelle Wiederentdeckungen unter dem Schlagwort Gemeinschaft. Bericht über eine Reise durch Praktiken der Filmrestaurierung wie durch die politische Geschichte des 20. Jahrhunderts.

„Das Filmerbe-Festival“, das klingt als Untertitel ein bisschen unstimmig, das eine Wort so nach Schwere und Bedeutsamkeit und Heiligtum, nach Wurzeln und Stamm, das andere nach Freude und Feierlichkeit, nach Spaß in den Wipfeln. Und dann ist das diesjährige Thema auch noch Community, eines dieser gern für allerlei Events benutzten Schlagwörter, die schnell ins Nichtssagende kippen können.
Das Festival Film Restored selbst, das von der Deutschen Kinemathek veranstaltet wird und in diesem Jahr zum neunten Mal stattfand, war dann aber eine ziemlich geschmeidige Angelegenheit, die die konkrete Bedeutung filmischer Archivarbeit bewies und zugleich viel Lust am Diskutieren und Zeigen wiedergewonnener, geretteter oder reparierter Bewegtbilder hatte. Die Vorträge, die die Screenings einrahmten, kamen mal aus dem investigativen Bereich, mal aus der Werkstatt und mal aus dem Nähkästchen.
Noch nicht aktiv antikolonial

So erzählte Filmarchivar Clément Lafite von der großen detektivischen Arbeit, den ersten Film von Med Hondo, der anfangs noch nicht einmal genau datiert werden konnte, ausfindig zu machen. War man dabei zunächst auf Filmfragmente, sich teils widersprechende Notizen und Berichte sowie die Befragung von Zeitgenossen angewiesen, um die Sache weitestgehend zu rekonstruieren, fand sich schließlich eine alte Kopie des Films. Lafites Kollege Alessandro Russo war dann für den nerdigeren Teil der Einführung zuständig, sezierte minutiös den Prozess der Soundtrack-Rettung (der sich vor allem aufgrund fehlender Magnetpaste auf der Tonspur als schwierig erwies), inklusive Adobe-Audition-Effekte und Vorher-Nachher-Beispielen. Das war auch für Menschen ohne Tontechnikhintergrund faszinierend zu belauschen.
Der Film, Ballade aux sources (1965), ist auch selbst faszinierend, eine Reise durch Nordafrika kurz nach der Unabhängigkeit der dortigen Länder. Er ist noch nicht so sehr dem aktiv antikolonialen Gestus späterer Hondo-Filme verpflichtet, eher einem ethnografischen Interesse, wohl auch weil der Regisseur ihn gemeinsam mit dem Fotografen und Archäologen Bernard Nantet (bei dem auch die Filmkopie ausfindig gemacht wurde) gedreht hatte. Das Voice-over bietet aber schon Ansätze jener essayistischen Überlegungen zu Migration und Identität, die Hondos Werk durchziehen.
Nah an den Prozessen

Fürs Nähkästchen war etwa Stefan Drößler vom Filmmuseum München zuständig, der über seine Erfahrungen mit Thomas Harlan berichtete. Harlan war in den 1970er Jahren in Sachen Revolution um die Welt gereist, Mitte 1974 von Chile nach Portugal, wo gerade die Diktatur zu Ende gegangen war. Vom Vorhaben, die Debatten der neu eingesetzten Revolutionsräte zu filmen, rückte er ab, als er von der Besetzung eines großen Grundstücks nahe Lissabon erfuhr, das vom Großgrundbesitz in eine kollektive Besitzstruktur überführt werden sollte. Der Film, der in den Folgemonaten entstand, Torre Bela, existierte in unzähligen Schnittfassungen, an deren letzter und einzig wahrer Harlan in seinen letzten Jahren aus einem Sanatorium heraus noch arbeitete.
Dass der Filmemacher damals so schnell vor Ort war, ist eine der großen Qualitäten des Films; so erreichte er das Landstück nämlich noch vor der endgültigen Übernahme und konnte den Gutsherrn kurz vor dessen Verjagung noch interviewen, ein Faszinosum weniger wegen der getätigten Aussagen als wegen des anachronistisch wirkenden Habitus. Der restliche Film bleibt nah an den Prozessen, dokumentiert die hitzigen Debatten zwischen den Landarbeiter:innen, die Versuche, die Bewirtschaftung des Landes neu zu organisieren, schließlich auch das Verhältnis zu den neuen, nachrevolutionären Regierungsbeamten. Manchmal ist der Film etwas zu berauscht von den konflikthaften und anarchischen Diskussionen innerhalb der Gemeinde, baut deshalb Bilder nah am Klischee der ruppigen, zu keiner Vernunft fähigen einfachen Leute, und Harlan selbst bezeichnete Torre Bela mal als manipulierten Film, weil die Filmcrew selbst die von ihr Porträtierten auch beratschlagte, was möglicherweise zu tun sei.
Aufbau von Gegen-Communitys

In diesem und in anderen Filmen des Programms war der Community-Begriff dann doch mehr als ein Catch-all-Begriff, ging es doch tatsächlich um Fragen kollektiven Widerstands und gemeinschaftlichen Wirtschaftens, ebenso um den Aufbau von Gegen-Communitys für von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossene Lebensweisen, Letzteres etwa in der Wiederaufführung des lesbischen BDSM-Films Mano Destra, der 1988 nicht nur heftige Diskussionen, sondern auch Angriffe auf Vorführungen, etwa im Frauenkino Xenia in Zürich provozierte. Eingeführt wurde der Film denn auch vom Zürcher Kinokollektiv, wie überhaupt Kollektive eine große Rolle auch in den Filmpräsentationen deutscher Werke spielten: Die 1968 gegründete Hamburger Filmmacher-Cooperative war Gegenstand des Eröffnungsabends, und Andy Räder hielt einen Vortrag über die DEFA-Produktionsgruppe Sorbischer Film.
Die deutsche Filmgeschichte war in diesem Restored-Jahr ähnlich präsent wie die internationale. Frank Ripplohs schwuler Klassiker Taxi zum Klo (1980) wurde in einer neuen Fassung gezeigt, ebenso Doris Dörries erster Langfilm Ob's stürmt oder schneit (1977), den sie gemeinsam mit Wolfgang Berndt drehte. Einen größeren historischen Bogen spannte das Festival von Carl Froelichs NS-Komödie Die vier Gesellen (1938) zu Živorad Mitrovićs Zeugin aus der Hölle, der 1967 als erster westdeutscher Film die Perspektive einer Shoah-Überlebenden einnahm. Flankiert wurde das Screening von einem Vortrag von Lea Wohl von Haselberg und Johannes Praetorius-Rhein, die schon seit Jahren zur jüdischen Filmgeschichte in Deutschland forschen.
Einfach mal bei den Black Panthers anklopfen

Mindestens implizit stand bei vielen der gezeigten Filme und ihrer Kontexte die Frage im Raum, inwiefern Filmemacher:innen selbst Teil jener Community sein können, dürfen oder müssen, die sie in ihren Filmen porträtieren. Hatte Harlan die eigene Involviertheit in die Besetzung des Landstücks nur am Rande in Torre Bela integriert, forscht Jillian Borders von der UCLA über ein Stück Filmgeschichte, in dem ganz offensiv das Filmemachen selbst als Community-Arbeit verstanden wurde: Borders präsentierte den Film We're Alive (1974), der entstanden war, als eine Gruppe von UCLA-Filmstudentinnen einen Videoworkshop mit Insassinnen eines kalifornischen Frauengefängnisses durchführte. Ganz selbstverständlich tauchen zwischen den Interviews mit den inhaftierten Frauen und den Texttafeln mit Statistiken zum beginnenden Zeitalter der Masseninhaftierung, die ein Verständnis der strukturellen Dimensionen kalifornischer Strafpolitik in den 1970er Jahren vermitteln, auch die Filmemacherinnen selbst mit auf.
Eine ähnliche Form des Filmemachens als widerständige Praxis präsentierte schließlich ein Programm, das die Filme Mayday (1970) des May-First-Media-Kollektivs und Arturo Ripsteins La Causa (1974) verband. Vor dem Screening von Mayday erzählte Kollektivmitglied Josh Morton, wie er als linker Yale-Student im New Haven der späten 1960er Jahre einfach mal unbedarft bei der Black-Panther-Party von nebenan klopfte, um seine Hilfe anzubieten. Nach ein paar Frühstückstouren mit seinem Auto kam es dann zu ersten Filmaufnahmen. Im Zuge des Auftrags der Uni, eine große Demonstration gegen die Haftprozesse einiger Panthers zu filmen, kamen weitere Aufnahmen dazu, sodass der fertige Film schließlich einige poetische Sequenzen der Lebensrealität im New Haven jenseits der Ivy-League-Bubble mit den kämpferischen Reden der Uni-Proteste verbindet.

Der halbstündige La Causa schließlich erzählt ebenfalls von Protest und Politik in den USA der 1970er, der Film zeigt einerseits Interviews mit César Chávez, der die Streikbewegung vor allem mexikanischer Landarbeiter:innen im Süden der USA anführte, bietet zum anderen aber auch krasse Szenen der Niederschlagung dieser Proteste, in denen sich die US-Polizei auf die Unterstützung der Teamsters verlassen konnte, jener Kraftfahrer-Gewerkschaft, deren Mitglieder auch heute noch als besonders konservativ gelten – und die in diesem Jahr zum ersten Mal im neuen Jahrtausend darauf verzichteten, die Präsidentschaftskampagne der Demokraten zu unterstützen.
Was ist rettungs- und reparierwürdig?
Die fünftägige Reise durchs Film Restored führte also sowohl durch die aktuelle Praxis der Filmrestaurierung wie durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts, mit einem Community-Begriff, der breit genug war, um räumlich wie zeitlich einen beeindruckenden Bogen zu schlagen, aber zugleich doch spezifisch genug, um rote Fäden entdecken und Parallelen erkennen zu lassen. Ob und inwiefern die notwendige Aufgabe der Filmrettung selbst Teil gemeinschaftlicher Verständigungsprozesse werden kann, bleibt vielleicht die große offene Frage. Was ist rettungs- und reparierwürdig, für welche Filme ist genügend Geld da, und welche Filme fallen in der aktuellen Archivlandschaft vielleicht weiterhin durchs Raster? Orte wie Film Restored bieten immerhin einen geeigneten Raum, diese Fragen zu diskutieren.
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