Cannes 2017: Die falsche Palme

Selten wurde die Goldene Palme an einen aggressiveren Film vergeben. Das weckt mehr Sorgen als Hoffnungen.

The Square  3

Ruben Östlund hat ziemlich viel vor mit seinem Film. Er will übertriebene Toleranz als übertrieben kritisieren und konzeptuelle Kunst als eitel dastehen lassen. Sein Film The Square hat die Goldene Palme durchaus überraschend gewonnen. Nicht, weil der Film nicht hoch gehandelt worden wäre, sondern weil er so offensichtlich in seinen Aggressionen ist. Einem linken und einem bürgerlichen Publikum will er damit zeigen, welche Grenzen ihres Denkens er sieht. Diese Grenzen werden allerdings nicht nur von Klischees her gedacht, sondern auch von falschen Alternativen: totale Toleranz oder gar keine Toleranz. Als wäre das jemals die Frage. Konzeptuelle Kunst, ja oder nein? Von Vermittlung keine Rede, weil die Kunst ohnehin nur von eitlen Phrasen begleitet wird. Intellektuelle Zurückhaltung angesichts triebhafter Reflexe? Wieso sollte das überhaupt diskutiert werden? Das Schema ist einfach, in seiner Zusammenstellung dann aber doch einigermaßen komplex. Hier liegen die Stärken von The Square, doch sie werden kaum ausgespielt. Stattdessen wird auf den Putz gehauen.

The Square  1

Mit der Goldenen Palme für einen Film, der spaltet, könnte man die Hoffnung verbinden, dass ein Zeichen für das Kino als Diskursmotor gesetzt wird. Nur ist Östlunds Film dafür kein guter Gegenstand. Um so vieles anregender waren die nicht weniger umstrittenen Filme von Sergei Loznitsa (Die Sanfte) oder Lynne Ramsay (You Were Never Really Here). Filme, die nicht schon alle Antworten kennen, die sich öffnen für verschiedene Positionen, die Angebote machen für ästhetische Forschungsreisen, ohne Angst vor einer eigenen Perspektive und mit einem Vertrauen ins Kino, das sich nicht aus autoritären Gesten speist. Die Sorge, die Östlunds Auszeichnung weckt, ist das Gegenteil: Dass sich die Versprechen, die auch das Kino von Michael Haneke immer wieder in den Raum gestellt hat, weitergetragen werden, von einer Generation zur nächsten und in viele Länder dieser Welt. Es ist einerseits der Glaube an die Immobilisierung des Zuschauers, der als Voyeur und als Inaktiver entlarvt werden soll – und schön so zu bleiben hat, weil er sich doch eigentlich dieser Didaktik gerne stellt. Andererseits steckt in dieser Position auch die viel zu einseitige Perspektive, dass Kino kein Hoffnungsantrieb, keine Anregung zum Anderen oder zur Utopie sein braucht, weil es genügt, Probleme zu behaupten.

The Square  2

Probleme in den Mittelpunkt zu rücken, das funktioniert aber nicht autoritär, sondern nur analytisch. Das ist schon oft genug bei Haneke eine Schwachstelle, weil gefunden wird, wonach gesucht wird. Bei Östlund ist das teilweise noch schlimmer. In The Square stößt etwa auf, mit welch angeberischem Tonfall die Optionen von menschlichem Erleben auf Entfremdung oder Erweckung reduziert werden. Entweder fühlt man nichts, oder man fühlt es mit der Wucht von tausend Blitzen durch den Körper. Die antirealistische Komponente ist dabei noch das Interessanteste, der Humor ein Rettungsanker, die Frauenfiguren oft die einzigen Hoffnungsschimmer. Es bleibt aber vor allem der dringende Verdacht, dass es ein Kino ist, das sich gegen den Zuschauer richtet – nicht, weil es ihn über Gebühr fordert, sondern weil es ihm nicht zutraut, genauso klug oder gar klüger als der Macher zu sein.

Ja, The Square ist ein Film des Misstrauens: seinen Figuren gegenüber, die gar nicht so recht als Figuren entwickelt werden, seinen Gegenständen und Geschichten gegenüber, weil sie zu Pointen degradiert werden, und dem Publikum gegenüber, das ebenfalls funktionieren soll. Es ist eine Vorgehensweise, die in einer Komödie seinen Sinn hat (aber auch da selten ausreicht), es ist ein Verständnis von filmischen Erzählungen als Mittel zum Zweck. Das, was auf der Leinwand erscheint, hat aber immer auch einen Eigenwert, einen ästhetischen, einen menschlichen, einen körperlichen. Die größte Gefahr, die von dieser Entscheidung ausgeht, ist deshalb, dass dieser entkernt wird. Dass die Verführung, die im Bewegtbild auch steckt, missbraucht wird. Hoffen wir, The Square macht nicht Schule.

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