Blutige Weihnachten 2014: Kurzfilme
Von wilden Weihnachtsmännern und tödlichen Tannenbäumen: Über ein paar kurze Weihnachtshorror–Filme.

In den kalten, aber erhabenen Weiten von Finnisch-Lappland: Drei raubeinige Jäger, die besten ihrer Zunft, haben die Spur ihrer Beute, dem König des Waldes, aufgenommen, wie eine großväterliche Stimme im Voice-over mitteilt. Bald haben sie sie im Visier. Vor dem Schuss nimmt der Schütze ehrfürchtig seine Mütze ab, sein Kollege nickt zustimmend. Dann saust der Betäubungspfeil los und trifft sein Ziel: einen nackten alten Mann. Er bäumt sich auf, läuft davon, nach einigen weiteren Pfeilen bricht er zusammen. Natürlich ist das nicht irgendein alter Mann, nicht einmal ein Mensch. Es ist ein – nicht der – Weihnachtsmann. Und Weihnachtsmänner sind in Rare Exports Inc. keine freundlichen alten Herren mit Rauschebart, sondern ungezähmte, Jahrhunderte alte Kreaturen, die in Herden in den eisigen Wäldern Finnlands leben. Rechtzeitig vor der Weihnachtszeit werden einige Exemplare dieser Spezies eingefangen, um sie als Santa Claus zu vermarkten.
Wilde Weihnachtsmänner in pathetischer Werbeästhetik

Der Kurzfilm Rare Exports Inc. aus dem Jahr 2003 war eigentlich als Könnensbeweis der finnischen Werbefilmagentur Woodpecker Film gedacht. Mit entsprechend Werbeästhetik kommt er daher: extremer Pathos, Hochglanzbilder, reichlich Slow Motion und ein sich vor Superlativen überschlagender Erzähler. Der restliche Teil des Filmchens wird dann wesentlich düsterer, nimmt den im Gefolge von Hostel (2005) erst aufkommenden Torture Porn Chic vorweg. In einem schäbigen Lagerraum ist der Weihnachtsmann an einen Stuhl gefesselt, die drei Jäger stehen in Fleischerschürzen um ihn herum und konditionieren ihn auf Kundenfreundlichkeit. Eine Puppe in Form eines kleinen Jungen sitzt auf seinem Schoss, wenn er versucht, ihr den Kopf abzubeißen, gibt es Schläge. Schließlich ist es soweit: Das Biest ist gezähmt und kann in einer Holzkiste in die weite Welt verschickt werden.
2005 wurde mit Rare Exports: The Official Safety Instructions eine elfminütige Fortsetzung der Mockumentary produziert, die über die richtige Handhabung des erworbenen Father Christmas informiert – schließlich kann Unachtsamkeit dazu führen, von ihm zerfleischt zu werden. Hier wird auf die Vorstellung des Weihnachtsmannes als Disziplinierungsinstanz zurückgegriffen. Auf Trinken, Rauchen, Fluchen und andere Unarten reagiert die Kreatur sehr empfindlich. 2010 durfte Jalmari Helander, der Regisseur der beiden Kurzfilme, mitsamt dem Stammcast schließlich die Idee vom Weihnachtsmann als wilde Kreatur in einem Langfilm umsetzen. Rare Exports: A Christmas Tale (Rare Exports: Eine Weihnachtsgeschichte) baut dabei nicht auf den Vorgängern auf, sondern kann eher als eine Art Prequel verstanden werden (allerdings mit einer kleinen Variation).
Die Rache der Christbäume

Bloody Christmas, verdammte Weihnachten, mag sich manch einer denken, angesichts der kommerziellen Auswüchse, die das Fest der Liebe angenommen hat – und die in Rare Exports aufs Korn genommen werden. Michel Leray setzt diesen Gedanken in seinen zwei Kurzfilmen Bloody Christmas (2003) und Bloody Christmas 2: Rise of the Christmas Trees (2010) ganz wörtlich um. Die Gefahr geht hier nicht vom Weihnachtsmann, sondern von einem anderen für dieses Fest typischen Emblem aus: dem Weihnachtsbaum. Jason Eisener schlägt mit seinem Treevenge (2007) in dieselbe Kerbe. Wie auch bei Leray wehren sich hier bewegungsfreudige Tannenbäume gewaltsam gegen ihre Ausbeutung. Lamettagirlanden und Äste werden zu Greifarmen, Christbaumkugeln und Weihnachtssterne zu tödlichen Geschossen.
Die Handlung von Treevenge ist zunächst ausschließlich aus der Perspektive der Tannenbäume erzählt, die zu Beginn noch friedlich im Wald stehen und sogleich von schnaubenden und kreischenden Rednecks in trashigster Horrorfilmmanier mit Kettensägen und Äxten erbeutet werden. Anschließend werden die armen Bäume in einem LKW verschleppt und in hyperkitschigen Familienwohnzimmern in einer Befestigungsvorrichtung arretiert und mit allerlei Weihnachtsdekoration gequält. Das Geschehen zeigt sich meist durch ein tannenzweigverhangenes Sichtfeld. Im Finale dann, wenn den Bäumen der Ausbruch gelingt, dominieren die objektiven Einstellungen und der Zuschauer wird Zeuge, wie sich die vor Wut tosenden Bäume an ihren Peinigern rächen. Wie später in seiner Over-The-Top-Exploitation-Reminiszenz Hobo with a Shotgun (2011) lässt Jason Eisener hier wenig zimperlich die Fleischfetzen fliegen und das Kunstblut spritzen. Auch Treevenge versteht sich als Hommage an das Grindhousekino der 1970er Jahre, wie der Abspann mit psychedelischen Technicolor-Farbkreisen und episch-schmalzigem Soundtrack nachdrücklich verdeutlicht.
Bloody Christmas hingegen ist primär aus der Perspektive des namenlosen menschlichen Protagonisten (Kad Merad) erzählt, der auf Drängen seiner Freundin noch kurzfristig einen Weihnachtsbaum mit nach Hause bringt. Dessen Subjektwerdung vollzieht sich hier in Folge eines suggerierten Blicks der Tanne auf ein Foto, das eine idyllische Berglandschaft zeigt. Die Folgehandlung, in der der Mann vom zum Leben erwachten Baum durchs Haus gejagt wird, scheint in einigen Elementen deutlich durch den Weihnachts-Actionfilm Stirb Langsam (Die Hard, 1988) inspiriert. In der Schlusspointe ist der Objekt-Subjekt-Wandel dann vollends vollzogen.
Last Christmas

Bloody Christmas 2: Rise of the Christmas Trees lässt sich als direkter Anschluss an die Handlung des ersten Films deuten. Noch in derselben Nacht terrorisiert der wütende Baum fünf Menschen in einem Krankenhaus. Eigentlich ließe sich die Fortsetzung als recht geradliniger Slasher in bester Carpenter-Tradition lesen – bloß dass es sich bei diesem Killer eben um einen geschmückten Christbaum handelt. So wird jeder Spannungs- und Schockmoment unweigerlich auch zum Lacher. Am Ende kommt es zur im Plural des Titels bereits angedeuteten Ausbreitung des dämonischen Potenzials des Weihnachtsbaums. Damit erzählt Leray wohl auch von einem wortwörtlichen Last Christmas. Denn diese Heilige Nacht wird zugleich zum Jüngsten Tag, wenn eine Horde mordlüsterner Tannen die Apokalypse einleitet.
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