Danke für die Empfehlungen und Begleitung der Berlinale. Es wird ja derzeit viel über ihre Zukunft gesprochen, ich möchte mit Blick darauf an einer Stelle Wasser in den Wein gießen, ein Thema, das in Deutschland aus verbreiteter Nichtbetroffenheit allzu selten interessiert, aber kräftig im Hintergrund als hochaktueller Sortierungs- und Marginalisierungsmechanismus wirkt: Die Tickets kosten mittlerweile 12 Euro, im Wettbewerb 15 Euro (zzgl. 1,50 Euro Gebühr pro Ticket im Online-Verkauf, der ausschließlich per Kreditkarte geht). 2010 waren es, wenn ich mich richtig erinnere, 7/10 Euro. Das Ermäßigungsangebot von 50 % klingt, bald klang erstmal äußerst einladend, leider gilt es nur an der Tageskasse im jeweiligen Kino, d.h. populäre Veranstaltungen sind ohnehin ausgeschlossen, statt Geld muß enorm viel Zeit investiert werden, und eine Planung wird sowieso unmöglich, weil bei mehreren Filmen am Tag jedes einzelne Kino (in einer so großflächigen Stadt!) abgegrast werden muß mit dem ständigen Risiko, kein Ticket mehr zu erhalten und dafür andere Filme wieder zu verpassen. Und dann muß in der Schlange noch ein Nachweis (und ohne Foto auch noch ein Ausweis) vorgelegt werden, weil ärmere Menschen ja generell unter Betrugsverdacht stehen. Um die obigen Filme als Nicht-Berliner sicher sehen zu können, also per Online-Vorverkauf, müßte man 189 Euro bezahlen. Und dazu noch vor jedem einzelnen Film L'Oréal, Audi, Glashütte und dem ZDF für ihre natürlich vollkommen uneigennützige Großzügigkeit ganz im Sinne der Kinokultur danken. 189 Euro sind für einen Audi-Hybrid-Käufer vermutlich noch nicht einmal der Lack für einen Außenspiegel, vom monatlichen Regelsatz der Grundsicherung in Deutschland (also Sozialhilfe, ALG II etc.) sind es dagegen knapp die Hälfte, von einem Monatsgehalt in Zeitarbeit oder z.B. in vielen sozialen und künstlerischen Berufen auch ein nicht unerheblicher Anteil. Und da ist noch keine Übernachtung drin. Und noch kein Happen (Bio-?)Essen und kein Schluck (fair gehandelter?) (Bio-?)Espresso. Welche Kaufkraft jemand aus Süd- oder Osteuropa oder anderen Teilen der Welt im dort jeweils herrschenden Maßstab mitbringen muß, um an der Berlinale teilhaben zu können, wird hoffentlich deutlich. Ein Tagesticket in Locarno (in der Schweiz am Lago Maggiore!) kostet ca. 53 Euro. Da die Verpflegung hier aber ein Vielfaches von Berlin kostet, würde ich im Vergleich geradezu sagen, nur 53 Euro. Größtes Publikumsfestival der Welt, schön und gut, aber das ist alles andere als eine rein nichtambivalente und mit einem einzelnen Begriff abzuarbeitende Eigenschaft. Für die Einheimischen sowieso nicht, wie wir hoffentlich wissen. Welches Publikum denn? Wer ist das Publikum? Welches Publikum will die Berlinale? Welches Publikum soll die Berlinale wollen? Solche Schlagwörter werden so unfaßbar unterkomplex und auch ignorant verwendet. Natürlich sind in den letzten Jahren Kosten gestiegen, z.B. Energie, Mieten/Pachten und ggf. Löhne. Aber man kennt es von Musikkonzerten, komischerweise werden die immer teurer, je größer sie werden. Ich weiß, bei kleineren Konzerten fallen dann wieder Löhne weg, was durch Leidenschaft ausgeglichen werden muß usw. Alles komplex, aber bzw. deswegen möchte ich gerne das Thema Geld in eine Diskussion über die Zukunft der Berlinale eingebracht wissen. Weil sich das ach so liberale Festival sonst sein Publikum per Kontostand aussucht. Kino gehört möglichst allen, übrigens auch in seinen Anfängen eine seiner historisch bedeutsamen Eigenschaften, der Traum von einem egalitaristischeren Zugang zu Kunst und Unterhaltung (vielleicht einer der Gründe, warum nicht wenige Intellektuelle dem Kino damals sehr skeptisch gegenüberstanden). Ich beobachte seit einigen Jahren auch im Wochenkino, wie der Zugang zu Kino für viele Menschen mehr und mehr erschwert wird. Und wenn wir es ernst meinen mit unserer kritischen Haltung, sollten wir - gerade wir, die aus Leidenschaft und Überzeugung von seiner Relevanz viel Zeit und Energie in Kino stecken - in diesen Tagen auch steigende Kinopreise, oder präziser gesagt für weniger Menschen bezahlbare Kinopreise als Symptom und Ursache gesellschaftlicher Fehlentwicklungen und Marginalisierungen sehen. Das alles hat weniger mit Filmkritik im Werksinne zu tun, aber vielleicht ja doch damit, von wem Filme mit welchem Aufwand gesehen werden können und sollen und welche Art von Gemeinschaft durch Kino gestiftet werden soll.
Monsieur Moinet
Korrektur: Offenbar entfällt in diesem Jahr erstmals die Online-Gebühr in Höhe von 1,50 Euro pro Ticket. Dann wären es statt 189 noch 168 Euro für die obigen Filme.
Kommentare zu „Berlinale 2018: Empfehlungen“
Monsieur Moinet
Danke für die Empfehlungen und Begleitung der Berlinale. Es wird ja derzeit viel über ihre Zukunft gesprochen, ich möchte mit Blick darauf an einer Stelle Wasser in den Wein gießen, ein Thema, das in Deutschland aus verbreiteter Nichtbetroffenheit allzu selten interessiert, aber kräftig im Hintergrund als hochaktueller Sortierungs- und Marginalisierungsmechanismus wirkt: Die Tickets kosten mittlerweile 12 Euro, im Wettbewerb 15 Euro (zzgl. 1,50 Euro Gebühr pro Ticket im Online-Verkauf, der ausschließlich per Kreditkarte geht). 2010 waren es, wenn ich mich richtig erinnere, 7/10 Euro. Das Ermäßigungsangebot von 50 % klingt, bald klang erstmal äußerst einladend, leider gilt es nur an der Tageskasse im jeweiligen Kino, d.h. populäre Veranstaltungen sind ohnehin ausgeschlossen, statt Geld muß enorm viel Zeit investiert werden, und eine Planung wird sowieso unmöglich, weil bei mehreren Filmen am Tag jedes einzelne Kino (in einer so großflächigen Stadt!) abgegrast werden muß mit dem ständigen Risiko, kein Ticket mehr zu erhalten und dafür andere Filme wieder zu verpassen. Und dann muß in der Schlange noch ein Nachweis (und ohne Foto auch noch ein Ausweis) vorgelegt werden, weil ärmere Menschen ja generell unter Betrugsverdacht stehen. Um die obigen Filme als Nicht-Berliner sicher sehen zu können, also per Online-Vorverkauf, müßte man 189 Euro bezahlen. Und dazu noch vor jedem einzelnen Film L'Oréal, Audi, Glashütte und dem ZDF für ihre natürlich vollkommen uneigennützige Großzügigkeit ganz im Sinne der Kinokultur danken. 189 Euro sind für einen Audi-Hybrid-Käufer vermutlich noch nicht einmal der Lack für einen Außenspiegel, vom monatlichen Regelsatz der Grundsicherung in Deutschland (also Sozialhilfe, ALG II etc.) sind es dagegen knapp die Hälfte, von einem Monatsgehalt in Zeitarbeit oder z.B. in vielen sozialen und künstlerischen Berufen auch ein nicht unerheblicher Anteil. Und da ist noch keine Übernachtung drin. Und noch kein Happen (Bio-?)Essen und kein Schluck (fair gehandelter?) (Bio-?)Espresso. Welche Kaufkraft jemand aus Süd- oder Osteuropa oder anderen Teilen der Welt im dort jeweils herrschenden Maßstab mitbringen muß, um an der Berlinale teilhaben zu können, wird hoffentlich deutlich. Ein Tagesticket in Locarno (in der Schweiz am Lago Maggiore!) kostet ca. 53 Euro. Da die Verpflegung hier aber ein Vielfaches von Berlin kostet, würde ich im Vergleich geradezu sagen, nur 53 Euro. Größtes Publikumsfestival der Welt, schön und gut, aber das ist alles andere als eine rein nichtambivalente und mit einem einzelnen Begriff abzuarbeitende Eigenschaft. Für die Einheimischen sowieso nicht, wie wir hoffentlich wissen. Welches Publikum denn? Wer ist das Publikum? Welches Publikum will die Berlinale? Welches Publikum soll die Berlinale wollen? Solche Schlagwörter werden so unfaßbar unterkomplex und auch ignorant verwendet. Natürlich sind in den letzten Jahren Kosten gestiegen, z.B. Energie, Mieten/Pachten und ggf. Löhne. Aber man kennt es von Musikkonzerten, komischerweise werden die immer teurer, je größer sie werden. Ich weiß, bei kleineren Konzerten fallen dann wieder Löhne weg, was durch Leidenschaft ausgeglichen werden muß usw. Alles komplex, aber bzw. deswegen möchte ich gerne das Thema Geld in eine Diskussion über die Zukunft der Berlinale eingebracht wissen. Weil sich das ach so liberale Festival sonst sein Publikum per Kontostand aussucht. Kino gehört möglichst allen, übrigens auch in seinen Anfängen eine seiner historisch bedeutsamen Eigenschaften, der Traum von einem egalitaristischeren Zugang zu Kunst und Unterhaltung (vielleicht einer der Gründe, warum nicht wenige Intellektuelle dem Kino damals sehr skeptisch gegenüberstanden). Ich beobachte seit einigen Jahren auch im Wochenkino, wie der Zugang zu Kino für viele Menschen mehr und mehr erschwert wird. Und wenn wir es ernst meinen mit unserer kritischen Haltung, sollten wir - gerade wir, die aus Leidenschaft und Überzeugung von seiner Relevanz viel Zeit und Energie in Kino stecken - in diesen Tagen auch steigende Kinopreise, oder präziser gesagt für weniger Menschen bezahlbare Kinopreise als Symptom und Ursache gesellschaftlicher Fehlentwicklungen und Marginalisierungen sehen. Das alles hat weniger mit Filmkritik im Werksinne zu tun, aber vielleicht ja doch damit, von wem Filme mit welchem Aufwand gesehen werden können und sollen und welche Art von Gemeinschaft durch Kino gestiftet werden soll.
Monsieur Moinet
Korrektur: Offenbar entfällt in diesem Jahr erstmals die Online-Gebühr in Höhe von 1,50 Euro pro Ticket. Dann wären es statt 189 noch 168 Euro für die obigen Filme.