Berlinale 2009 - Perspektive Deutsches Kino
Wenn ohnehin schon knapp achtzig deutsche Produktionen in den kaum noch überschaubaren Sektionen, Sub-Sektionen und Special Screenings zu sehen sind – warum dann noch 12 weitere in der „Perspektive“?
So ein wenig gerät die Sektion damit in den Verruf eines Regionalfensters wie man es von kleineren Festivals kennt – hier findet alles Berücksichtigung, was qualitativ in den Hauptwettbewerben nicht bestehen kann. Tatsächlich stellt sich in diesem Jahr mehr denn je die Frage, was von dem Gezeigten wirklich eine Kino-Perspektive besitzt. Obwohl schon die Untersektion Panorama Dokumente vor nicht-fiktionalen deutschen Stoffen birst, deren Zukunft vor allem in der TV-Auswertung liegt, legt auch die Perspektive 2009 wieder einen Schwerpunkt auf Dokumentationen. Viel schwerwiegender und auffälliger ist allerdings, dass es in der gesamten Sektion nur zwei abendfüllende Spielfilme gibt! Neun der zwölf Produktionen laufen in einer Zwischenlänge von 25 bis 61 Minuten.
Der Kino-Fiktion wird hier keine Perspektive eingeräumt.

Dorfpunks von Lars Jessen
1984 im norddeutschen Nirgendwo an der Ostsee. Malte (Cecil von Renner) und seine Freunde gründen eine Band, um ihrem Lebensgefühl Punk auch musikalischen Ausdruck zu verleihen. Im Vordergrund steht dabei die Findung eines Namens. So richtig funktioniert die Identitätsfindung aber auf keiner Ebene, trotz Künstlerpseudonyme. Die Probleme mit Pubertät und Peripherie gelten für Punks und Provokateure wie für alle anderen. Lars Jessens Adaption des erfolgreichen Buchs von Rocko Schamoni weist deutliche Parallelen zu seinem früheren Berlinale-Beitrag Am Tag als Bobby Ewing starb (2004) auf. Wieder stehen mehr oder minder skurrile Charaktere im Mittelpunkt einer Geschichte, die ihren Humor aus dem Blick auf die 80er und Provinzleben schöpft. So bemüht wie die Rebellion der Protagonisten ist dann auch manchmal der derbe Witz des Films. Viel Fäkalhumor um recht wenig.

Höllenritt von Martin Busker
Eines weiß Jakob ganz sicher: Papas sind Arschlöcher! Sein eigener ist ein Negotiator, ein Polizeieinsatzpsychologe. Und aktuell „jeden Abend auf Fortbildung“. Bald sind Jakob und seine Mutter allein, da lässt sich auch nicht verhandeln. Also tritt der 12 Jährige dem „PSA“-Club von Timo und Daniel bei, die seine Meinung gegenüber Vätern teilen. Von nun an gilt es, dem Erzeuger das Leben zur Hölle zu machen.
Martin Buskers Kurzfilm kann sich auf die hervorragende Drehbuchvorlage von Matthias Schmidt verlassen. So bleibt ihm genügend Raum seinen inszenatorischen Ideenreichtum umzusetzen. Mit absolutem Stilisierungswillen, einer eigenwilligen Erzählweise und einem funktionierenden Verhältnis zu seinen Figuren macht Busker Lust auf mehr, gerne auch im Langformat.

Fliegen von Piotr J. Lewandowski
Filmhochschulabsolventin Sarah (Sandra Hüller) dreht einen Film über Jugendliche am Rande der Legalität und am Rande der Ausweisung. Der charismatische Dima (Jacob Matschenz) nistet sich auf ihrem Dachboden und in ihrem Leben ein, bis es zur Katastrophe kommt.
So richtig erzählt Regisseur Lewandowski weder von Asyl- und Emigrationsproblemen noch von der Liebesbeziehung zwischen den Protagonisten. Angelegt ist dieses erzählerische Scheitern bereits in den eindimensionalen Charakteren, die selbst die ambitionierten Schauspieler nicht zum Leben erwecken können.

Distanz von Thomas Sieben
Dieser Serienmörderfilm der etwas anderen Art stellt einen von nur zwei Langspielfilmen der Sektion dar. Während der schauspielerisch limitierte Ken Duken in so manchem Film als Schwachstelle empfunden werden kann, scheint er hier seine Paraderolle gefunden zu haben. Als schweigsamer stoischer Soziopath mordet er sich durch einen sehr reduzierten Plot mit sparsamen Dialogen. Jana (Franziska Weisz), selbst eher ein Kind von Traurigkeit, findet Gefallen an dem schüchternen Daniel (Duken). Eine eigenwillige Bindung stellt sich ein, die ihn nicht daran hindert, seinen mörderischen Ausflügen in den Park nachzugehen. Die junge Frau scheint bereit, alles für ein wenig Nähe zu ignorieren und zu akzeptieren.

Wir sind schon mittendrin von Elmar Szücs
Regisseur Elmar bricht auf, um seine Schulfreunde Flo, Mathis und Stoffel nach ihrem mehr oder weniger stockenden Leben zu befragen. Elmar selbst steht wie seine Kumpels noch oder wieder im Studium, ist aber gerade bereits Vater geworden.
Ein Dokumentarfilm, der seinen eigenen Regisseur als Ausgangspunkt nimmt und sich dann in dessen Umfeld bewegt, das klingt sowohl veraltet, als auch problematisch. Elmar Szücs trifft bei seinen Freunden auf Depressionen, soziale Ängste, Drogenkonsum und Studienabbrüche. Dass sich die aktuelle Generation junger Erwachsener in vielerlei Hinsicht auf ungewissem Terrain befindet, in eine ungewisse Zukunft blickt und sich viele Abläufe nach hinten verschoben haben, ist kein Geheimnis. Die hier porträtierten Hamburger Jungs sind alle zwischenzeitig gescheitert. Hieraus irgendetwas über ihre Generation abzuleiten, wäre vielleicht etwas weit gegriffen. Die im Film mehrmals inszenierten Neuanfänge wirken sehr orchestriert und grübelnde Männer am Meer sind ein entsprechend ebenso gesetztes Bild. Wir sind schon mittendrin eifert seinen Protagonisten nach, denn als Versuch eines Dokumentarfilms ist er gescheitert.

Achterbahn von Peter Dörfler
Die Eingangsbilder des verlassenen Spreeparks mit seinem Riesenrad und umgekippten, verwitternden Dinosauriern, sind das Versprechen auf einen visuell virtuos gestalteten Dokumentarfilm. Regisseur und Kameramann Peter Dörfler wird diesem Versprechen gerecht mit einer dramatischen Geschichte, die ohne inszenatorische Manipulation auskommt. Ihr Protagonist, der gescheiterte und verurteilte Schausteller Norbert Witte, könnte vermutlich eine ganze Filmreihe füllen. Dabei ist Achterbahn mehr als nur ein Porträt – und das unbestrittene Highlight der Sektion.

Gitti von Anna Deutsch
Gitti tanzt. Gitti ist 70 und Gitti ist allein. Mit den Männern hat sie in ihrem Leben nie richtig Glück gehabt, einer schlug sie sogar. Eine Wahrsagerin hat das Drama schon in der Kindheit vorausgesehen. Nun betätigt Gitti sich auf dem Kontaktanzeigenmarkt.
Der Film lebt ganz von seiner gut ausgewählten Protagonistin mit Hang zur Selbstdarstellung. Die Oldie-Perspektive auf den jüngsten Dating- und Partnervermittlungswahn funktioniert. Von dem dokumentarischen Format hätte man sich allerdings über viele gut getroffene, Amüsement auslösende Momente hinaus ein durchdringenderes Ausloten der Befindlichkeiten dieser Person gewünscht.

Polar von Michael Koch
In diesem Halbstünder mit André M. Hennicke trifft ein Sohn auf seinen Vater und dessen neu geregeltes Leben. Es kommt wie es kommen muss, nämlich zur Konfrontation.
Die ist nicht nur vorhersehbar, sondern auch prätentiös in Szene gesetzt. Ein Gespür für das Medium kann Schauspieler Michael Koch leider nicht nachweisen.

Für Miriam von Lars-Gunnar Lotz
Was zunächst wie eine Widmung wirkt, ist bereits der Titel des Films. Genauso schnell und überrumpelnd nimmt das Drama einen Lauf: Miriam rast in das Auto der Lehrerin Karen (Nina Petri). Die weiß in der Folge des Todesfalls weder mit sich selbst, noch mit Miriams Bruder, ihrem Schüler Lukas, umzugehen. Beide suchen in dieser Ausnahmesituation den Weg zueinander. Ihre unartikulierten Gefühle brechen sich Bahn in einer immer wahnhafteren, von Nachhilfeunterricht gedeckten Beziehung. Beide verhandeln Schmerz und Verlust nicht verbal, sondern in einem Machtspiel der ungesunden Art. Was zu Umbrüchen und Neuanfängen führt. Diese komplexe Anordnung wird von der häufig kruden Inszenierung, inklusive Schwimmbadromantik, sabotiert. Der Film endet so abrupt wie er begonnen hat.

Jedem das Seine von Stefan Schaller
Die Brüder Nico und Milos finden sich zunächst gemeinsam im Asylantenheim, dann Jahre später in äußerst unterschiedlichen Positionen wieder. Milos hat die „klassische“ Laufbahn genommen, schlägt sich durch, wäscht Fensterscheiben. Nico hat sich geradezu überassimiliert. Er ist deutscher Beamter, Polizist, gründet eine Familie. Mit seinem besten Freund und Kollegen Georg verbindet ihn neben dem Job die Liebe zum Fußball und zur Deutschen Nationalmannschaft. Als Milos eines Tages auf dem Polizeirevier im Verhörzimmer sitzt, gerät Nicos Welt aus den Fugen.
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