Berlinale 2005: Marktplatz der Kreativität

Empfehlungen aus dem Filmprogramm des Forum

 

Schon im antiken Griechenland war der Marktplatz – das Forum - Mittelpunkt des Lebens. Aus dem stark verschlankten und verjüngten Internationalen Forum des Jungen Films der Berlinale 2005 haben wir für Sie sieben prägnante Filme ausgewählt, die Ihnen einen Eindruck vermitteln sollen von der Dynamik und Kreativität junger Filmschaffender aus aller Welt.

Eröffnet wird das diesjährige Forum mit der Kurzfilmkompilation Lost and Found. Sechs Regisseure aus Estland, Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Bosnien-Herzegowina und Serbien-Montenegro, von denen Fünf im vergangenen Jahr am Berlinale Talent Campus teilnahmen, setzen sich manchmal durchaus originell mit dem Thema „Generation“ aus ganz unterschiedlichen Perspektiven auseinander: von einer Hochzeit mit zwei Feiern bis zur Straßenbahnkontrolleurin Vera, die aus Versehen die Tram entführt.

Der Blick auf den Moloch Großstadt wagen, allerdings aus ganz unterschiedlichen Motiven, die Macher von On the Outs und Stadt als Beute (Berlin Stories). Lori Silverbush und Michael Skolnik haben zusammen mit straffällig gewordenen Jugendlichen das Konzept für On the Outs erarbeitet. Ihr Film beleuchtet ohne falsches Pathos und mit Respekt vor den Charakteren, die nie nur Opfer oder nur Täter sind, anhand der Schicksale dreier Mädchen aus Jersey City die Lebensumstände in den ärmeren Vierteln der USA. Stadt als Beute wiederum basiert auf dem Theaterstück René Polleschs, dem künstlerischen Leiter des Praters, dem Nebenspielplatz der Berliner Volksbühne. Die drei Regisseurinnen Irene von Alberti, Miriam Dehne und Esther Gronenborn folgen drei der Hauptakteure des vor der Aufführung stehenden Stücks, unter ihnen die herausragende Inga Busch, bei ihrem Kampf mit der Rolle, dem Versuch, Arbeit und Leben miteinander in Verbindung zu bringen. Stadt als Beute ist eine interessante Einführung in die Arbeit und das politisch-künstlerische Anliegen des Berliner Regisseurs und gleichzeitig Ausstellung dieser Arbeit.

Zero Degrees of Separation und On the Objection Front (Ratziti lihiyot gibor) beschäftigen sich mit dem politischen und sozialen Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern und sind thematisch so eng verknüpft, dass man sich unbedingt beide ansehen sollte. Regisseurin Elle Flanders begleitet in Zero Degrees of Separation ein schwules und ein lesbisches, jeweils Israelisch-Palästinensisches Paar durch ihren Alltag. Diese aktuellen Aufnahmen verbindet sie mit den 16mm Filmen ihrer Großeltern, die in den 50er Jahren, der Periode des Aufbaus des Staates Israel, gemacht wurden. Die Regisseurin zeichnet ein düsteres, aber sehr subjektives Bild des modernen israelischen Staates, das jedoch wegen der ungewöhnlichen portraitierten Persönlichkeiten beeindruckt. Trotzdem wünscht man sich als Zuschauer, dass Elle Flanders auch der Gegenseite, dem Staat und seinen Organen, Raum zur Erklärung eingeräumt hätte. Ein differenzierteres Bild zeichnet die in den USA geborene, ebenfalls, wie Flanders, in Israel aufgewachsene Shiri Tsur in On the Objection Front. Sie interviewte und begleitete sechs hohe Offiziere aus Eliteeinheiten der israelischen Armee, die ihren Dienst in den besetzten Gebieten verweigerten und aufgrund dessen ins Gefängnis mussten. Sie erzählen von willkürlicher Grausamkeit gegenüber Palästinensern durch die Armee, an denen sie nicht länger teilhaben wollten. Dabei wird der Konflikt in der Gesellschaft - Besetzung und Siedlung in den entsprechenden Gebieten oder nicht - schon innerhalb der Familien sichtbar. Shiri Tsur bemüht sich dabei immer um einen objektiven Blick, macht die Spaltung innerhalb der modernen israelischen Gesellschaft offenbar.

Der eindrucksvolle Mountain Patrol (Kekexili) ist ein auf wahren Ereignissen basierender chinesischer Film über den Kampf einer Gruppe Freiwilliger im tibetanischen Hochland, die Antilopen-Wilderern, welche den Bestand dieser Art im Kekexili-Gebirge bereits bedenklich dezimiert haben, das Handwerk legen wollen. Regisseur Lu Chuan lässt die Kameraeinstellungen wechseln zwischen den zerfurchten Gesichtern der Tibeter und den Ansichten des Naturreservats, lässt die Geländewagen vor der imposanten Kulisse der Berge ganz klein wirken und demonstriert damit die Abhängigkeit der Menschen von den Gegebenheiten der Natur und deren Ausnutzung in dieser einsamen und armen, aber wunderschönen Region Chinas. In dieser Umgebung wird der Versuch der Freiwilligen, die Wilderer zu stoppen, zum Kampf um Leben und Tod und gleichzeitig von Vernunft gegen Instinkt.

Ein Western, der ähnlich wie Mountain Patrol das Instinkthafte des Menschen, hervorgerufen durch die Angst ums Überleben, in den Vordergrund stellt ist Michael Ciminos in den USA bis heute umstrittenes Meisterwerk Heaven’s Gate (1980), dessen finanzieller Verlust das produzierende Studio, United Artists, beinahe ruinierte. Das 225 Minuten lange Epos über die Konflikte zwischen den meist osteuropäischen Einwanderern und der etablierten amerikanischen Gesellschaft ist nicht nur eine bis ins kleinste Detail perfekte Inszenierung der Johnson County Wars von 1890, sondern auch ein politisches Statement mit überraschender Aktualität. Verzichten kann man allerdings auf die konventionelle Dokumentation Final Cut: The Making and Unmaking of Heaven’s Gate von Michael Epstein. Schauspieler, Produzenten und Cutterin erzählen und diskutieren Ciminos Arbeit am Set, er selber kommt dabei aber nur in Archivaufnahmen zu Wort. Hauptdarstellerin Isabelle Huppert, die sicherlich einen anderen, europäischen Blick auf Ciminos Werk hätte bieten können, äußert sich gar nicht,. So hat man am Ende den Eindruck, nur eine Seite wirklich gehört zu haben, was vor allem bei einem kontroversen, aber meisterlichen Film wie Heaven’s Gate schade ist.

Vorführungen während der Berlinale:

Lost and Found:
Fr, 11.02. 18:30 Delphi Filmpalast
Sa, 12.02. 12:30 Arsenal
Sa, 12.02. 17:00 Filmkunsthaus Babylon
So, 20.02. 14:30 CineStar 8

On the Outs:
Sa, 12.02. 21:30 Delphi Filmpalast
So, 13.02. 20:45 Colosseum 1
Mo, 14.02. 22:30 Arsenal
Do, 17.02. 15:30 CinemaxX 3

Stadt als Beute (Berlin Stories):
Di, 15.02. 19:30 CineStar 8
Mi, 16.02. 12:30 Arsenal
Sa, 19.02. 20:30 Colosseum 1
So, 20.02. 19:00 Delphi Filmpalast

Zero Degrees of Separation:
So, 13.02. 16:45 Delphi Filmpalast
Mo, 14.02. 22:00 Filmkunsthaus Babylon
Di, 15.02. 12:45 CinemaxX 3
Mi, 16.02. 20:00 Arsenal

On the Objection Front (Ratziti lihiyot gibor):
Sa, 12.02. 16:00 CinemaxX 3
Mo, 14.02. 17:30 Arsenal
Di, 15.02. 21:30 Filmkunsthaus Babylon

Kekexili: Mountain Patrol:
Sa, 12.02. 21:30 CineStar 8
So, 13.02. 20:00 Filmkunsthaus Babylon
Mo, 14.02. 15:00 Arsenal
Mi, 16.02. 20:30 Colosseum 1

Heaven’s Gate:
Fr, 11.02. 13:00 Arsenal
Mo, 14.02. 12:00 CinemaxX 3
So, 20.02. 19:00 CineStar 8

Final Cut: The Making and Unmaking of Heaven's Gate:
Fr, 11.02. 17:00 Arsenal
Mo, 14.02. 10:15 CinemaxX 3

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