„Basically ist es wurscht“ – Doclisboa 2020
Hausbau als Lebensprojekt, Alzheimer-Alltag als Horrorfilm und keine Lust auf art people: Eindrücke von der digitalen Ausgabe des portugiesischen Dokumentarfilmfestivals.
Momentaufnahmen vom Häuslebau: Memória Descritiva

Im Zentrum von Melanie Pereiras Memória Descritiva steht die Errichtung eines Hauses in einem portugiesischen Dorf, die sich über 30 Jahre erstreckt und bis heute nicht fertiggestellt ist. Anhand von Zeichnungen und Fotografien, die eine Hand nach und nach vor das Kameraauge legt, wird der Bauprozess skizziert. Aber die gezeigten Bilder werden mitsamt ihrer Chronologie fraglich, denn in ihnen vollziehen sich Zeitsprünge und Perspektivwechsel. War der Giebel dort nicht vorher schon da? Der Hausbau wird für Pereira zum Anlass, darüber nachzudenken, wie Dokumente Realitäten herstellen; die Zuschauenden konstruieren eifrig mit.
Memória Descritiva ist ein kleiner, unscheinbarer Festivalbeitrag, der insofern bemerkenswert ist, als er eine einfache Inszenierungsstrategie verfolgt: Er lagert Bewegung konsequent aus. Nicht die Filmbilder sind es, die sich bewegen: Es tut sich etwas außerhalb von ihnen. Toneinspielungen begleiten die Momentaufnahmen vom Häuslebau, die auf Anstrengungen hinweisen. In ihnen wird gebohrt, gesägt und gehämmert. Nägel fallen auf den Boden, es klirrt. Der Wind rauscht. Der Ton belebt, bewegt das Bild. Womöglich ist auch ihm nicht zu trauen. Pereiras Anordnung spielt mit den Leerstellen von Recherchematerial und Gedächtnis, feiert das Versäumen und das Imaginieren. Memória Descritiva verweist auf das, was immer schon passiert ist. Vielleicht.
Die Unlust am Spektakel: LOLOLOL

Eine Nacht in Wien. Die Lippen sind rot angemalt und die hippen Mäntel übergeworfen. Anthea und Ada, zwei junge Frauen um die 20, rauchen noch eine Zigarette, bevor sie die Kunsthochschule betreten. Auf die „art people“ haben sie keine Lust, wie die Freundinnen in der Tram vorher besprechen, „weil alle nur pretenden“. Aber heute ist nun mal Rundgang. „Also ok, let’s start this“, verkündet Anthea und seufzt.
In einer sympathischen Unlust am Spektakel zeigt LOLOLOL Nachwuchskünstlerin Anthea auf dem Marktplatz der Selbstpräsentationen. Der auf dem iPhone gedrehte Kurzfilm von Kurdwin Ayub führt ein Milieu vor, zu dem seine Protagonistin nicht gehören will, es aber in ihrer Anti-Haltung, die fast schon wieder Masche ist, dann doch tut. Zwischen (Post-)Ironie und Ungeduldperformance ist Ayubs Film dabei Zeugnis eines exzessiven Sprachhandelns, wo Netzjargon und Wiener Schmäh zusammenfallen.
Obgleich der Rundgang (inklusive späterem selbstverlorenem Tanzen im Foyer der Akademie bei billiger LED-Beleuchtung) den Höhepunkt der filmischen Dramaturgie bildet, begleitet LOLOLOL Anthea nicht nur bei der Betrachtung der Werke ihrer Kommiliton*innen mit obligatorischem Bier in der Hand. Wir beobachten die junge Frau beim Arbeiten im Atelier (das gleichzeitig ihr Zuhause ist), beim Treffen von Freundinnen, Daddeln am Smartphone. Ayubs Film wechselt zwischen Bildformaten hin und her, ist mithilfe eines Apparats gefilmt, mit dem seine Protagonistin kontinuierlich herumgeht und Welt begreift. Wo lang ging’s jetzt aber nochmal zu dieser einen Ausstellung? Na ja: „Basically ist es wurscht.“
Ästhetik einer Krankheit: Persona Perpetua

Am Anfang von Javier Bellido Valdivias Persona Perpetua steht eine Stimme. Das Bild ist schwarz, während jene Stimme zuerst um Hilfe, dann nach der Mutter ruft. Einem Geschlecht oder einem Alter lässt sie sich nicht klar zuordnen, könnte von einem Kind sein. Es wird dauern, bis Valdivias Film den 95-jährigen Körper zeigt, zu dem sie gehört. Vorher ist die Stimme alleine da, tritt zögernd auf in der Ungewissheit, ob da überhaupt ein Gegenüber ist, das die Rufe zu hören vermag, das antworten, das helfen könnte. Die Stimme will und wird es dennoch probieren, immer wieder, auf ein Neues.
Persona Perpetua filmt eine namenlose Alzheimer-Patientin beim Rufen, Beten, Essen, Erzählen und alltäglichen Interagieren mit dem, was sich Umwelt nennen ließe. Wiederholungen sind kennzeichnend für diese Abläufe, die Regisseur Valdivia in ihrer Dauer ausstellt. Dabei versucht er sich an einer Übertragung der Demenz und damit vermeintlich einhergehender Wahrnehmungsmuster auf die Bildgestaltung des Filmes – ein Unterfangen, bei dem sich schon prinzipiell fragen lässt, was das eigentlich soll und für wen dieser Film gemacht ist. Die schwarz-weißen Aufnahmen der Personen und Dinge im Pflegeheim flackern, überlagern sich, reißen ab. Vor und nach der Fokussierung eines bestimmten Punktes erfolgt in Persona Perpetua stets ein langsamer Kameraschwenk, wo ein ganz anderes Detail in den Blick genommen und zur Betrachtung freigegeben wird.
Valdivias Film ästhetisiert die Alzheimer-Erkrankung, verstrickt sich in eine pseudopoetische Verklärung des Vergessens und Erinnerns, für die die anonyme Protagonistin als Anschauungsobjekt dient. Seinen peak der Grenzüberschreitung erreicht Persona Perpetua, wenn mehrmals das Zimmer der Patientin nachts betreten und Kamera plus Taschenlampe auf das Gesicht gerichtet werden. Horrorfilmartig inszeniert der Film die demente Frau, die im Schlaf spricht; ähnlich einem Medium, durch das die Erzählungen aus der Vergangenheit nur so hindurchfließen. Persona Perpetua hat ein Interesse an Fragmentierung und Unterbrechung, aber ignoriert in aller Faszination für die Parabelhaftigkeit der Krankheit die Hilferufe einer Person, die vielleicht gar nicht weiß, dass sie Akteurin in einem Film ist.
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