American Independents

Studenten der Universität Regensburg haben im Rahmen eines Seminars zur Medien-Praxis das Filmfest München besucht und sich individuell oder in Kleingruppen den verschiedenen Sektionen gewidmet. Einige der Texte finden hier auf critic.de ihre Publikation.

Im Laufe der vergangenen 20 Jahre haben sich American Independents zu einem festen Bestandteil des Filmfestes München entwickelt. Auch in der 25. Auflage des Festivals wurden 16 Vertreter aus diesem Produktionshintergrund gezeigt, darunter namhafte Regisseure wie Tom DiCillo und Kevin Smith, aber auch Newcomer wie Ronald Bronstein und Sterlin Harjo. Dabei präsentieren sie sich gewohnt unkonventionell und facettenreich, liefern abseits der allzu bekannten Hollywood-Produktionen einen interessanten Einblick in das Lebensgefühl und die Kultur des zeitgenössischen Amerika. Auffallend sind dabei drei sich abzeichnende Tendenzen: Zum einen die Rückkehr der Pioniere des Genres, die trotz der stetig wachsenden Budgets ihrer Projekte den Wurzeln des Independent Kinos treu geblieben sind. Zum anderen junge Filmemacher, die mit originellen Inhalten und starkem persönlichen Einschlag einen frischen Wind in das Genre bringen, und letztlich auffallend viele Dokumentationen, die sich von starken politischen Themen entfernen und sich auf den Menschen sowie seine Umwelt konzentrieren.

 

Old School – Die Rückkehr der Altmeister

 

Tom DiCillo skizziert in Delirious (2006) die Problematik einer Freundschaft zweier völlig unterschiedlicher Charaktere. Der eigenwillige Paparazzo Les (Steve Buscemi) gewährt dem Obdachlosen Toby (Michael Pitt) Unterkunft in seiner Wohnung, der ihm im Gegenzug kostenlos als Assistent zur Seite steht. Der Boulevard-Fotograf lernt erstmals den Wert von Freundschaft und Vertrauen kennen, während er Toby Ehrgeiz und Durchsetzungsvermögen vermittelt. Delirious gewährt Einblick in die bunte aber unerbittliche Welt der Celebrities und zeigt die Absurdität medialen Starkultes auf. Dies wird insbesondere an der Person Tobys ersichtlich, der von einer zufälligen Bekanntschaft des Popsternchens K’harma (Alison Lohman) beinahe lächerlich schnell zum Medienstar avanciert. DiCillo spielt auf brillante Weise mit dem Überehrgeiz der Agenten die hinter den Stars stehen, die er permanent mit dem Handy am Ohr beim Abwimmeln von Anrufern oder dem bewusst überdramatisierten Aushandeln der Reihenfolge für den roten Teppich zeigt. Wie die bunte Medienwelt, in der Delirious spielt, wirkt auch der Film stellenweise überstilisiert, doch gerade Steve Buscemi verhindert das drohende Abdriften ins Klischeehafte.

Smiley Face (2005) zeigt den (Road-)Trip der tagträumerischen und erfolglosen Schauspielerin Jane (Anna Faris), die auf charmant chaotische Weise von einem Fettnäpfchen ins nächste tritt. Schon zum Frühstück raucht sie Marihuana, die darauf folgenden Hungergelüste stillt sie versehentlich mit den Haschkeksen ihres Mitbewohners Steve (Danny Masterson). Die Bühne ist bereitet für einen unvergesslichen und folgenschweren Tag. Von dem Versuch Dope an ihre Casting-Agentin zu verkaufen, über die paranoide Flucht vor der Polizei bis hin zum Diebstahl des kommunistischen Manifests, Regisseur Gregg Araki zaubert dem Zuschauer ein, dem Titel entsprechendes, permanentes Lächeln auf die Lippen, auch wenn die ganz großen Lacher nur spärlich gesät sind.

Dies gelingt Kevin Smith in seinem Sequel Clerks II (2006) bedeutend besser. Wer zudem Clerks – Die Ladenhüter (1994) und Jay & Silent Bob schlagen zurück (2001) kennt, wird mit zahlreichen, herrlich komischen Anspielungen belohnt. Wie gewohnt dreht es sich um „explicit language“, die hohe Kunst des Nichtstuns und den festen Willen niemals erwachsen zu werden. Nachdem der altbekannte Quickstop zu Anfang des Films abbrennt, finden sich Randal (Jeff Anderson) und Dante (Brian O’Halloran) als Burgerverkäufer der Fastfoodkette Mooby’s wieder. Allerdings wird das Gleichgewicht ihrer langjährigen Freundschaft durch Dantes Verlobung mit der spießigen Emma (Jennifer Schwalbach Smith) empfindlich gestört. Wie nicht anders zu erwarten löst sich dieses Problem jedoch im Verlauf des Films wie von selbst. Die Perlen dieser Komödie sind eher abseits des eigentlichen Handlungsverlaufes zu finden: wunderbare Kurzparodien über die Herr der Ringe Trilogie (2001 - 2003) und die Star Wars Saga (1977 - 2005), bewusst unkorrekte Debatten über Diskriminierung und Sexualität, Jay & Silent Bob auf einem Bibeltrip. Schlicht: Der schräge Humor macht den Film zu einem Highlight des diesjährigen Independent Kinos.

 

The Young Guns – frischer Wind im Genre

 

Die Originalität und Innovationsfreude junger, aufstrebender Regisseure im amerikanischen Independent Film wird besonders in Ronald Bronsteins Regiedebüt Frownland (2007) deutlich. Kennzeichnend, und nach eigenen Angaben auch beabsichtigt, ist der beinahe vollständige Verzicht auf narrative Elemente, während das Hauptaugenmerk auf Charakterdynamik und Beziehungsstrukturen liegt. Dreh- und Angelpunkt eines in Brooklyn situierten Mikrokosmos ist Keith (Dore Mann), dessen erbärmliches Dasein näher betrachtet wird. Abgesehen von einer starken Kommunikationsstörung scheint dieser ein relativ unscheinbarer Typ zu sein, der die Küche eines heruntergekommenen Appartments bewohnt und seinen Lebensunterhalt als Hausierer verdient. Bemerkenswert sind die permanenten close-ups und die stark übersteuerte Geräuschkulisse in größeren Menschenansammlungen, die Einblick in Keiths Seelenleben gewähren und seine Schwierigkeiten im Umgang mit seiner Umwelt dokumentieren. Als seine Inspiration nennt Bronstein Menschen, die bereits im ersten Eindruck derartig unsympathisch erscheinen, dass man jeglichen weiteren Kontakt vermeiden möchte. Frownland – der bis auf eine Ausnahme ausschließlich mit Laienschauspielern besetzt ist – polarisiert das Publikum durch seinen rauen und anstrengenden Charakter, vermag es jedoch, den Zuschauer nachhaltig zu beschäftigen.

Völlig gegensätzlich dazu wirkt Bethany Ashton Wolfs Little Chenier – A Cajun Story (2006), der auf eine ausgeprägte Story in einem authentischen Setting setzt. Schauplatz des Dramas stellen die sogenannten Bayou dar, eine Sumpflandschaft in den Südstaaten der USA, in der die franko-amerikanische Cajun Kultur angesiedelt ist. In dieser Enklave leben die Brüder Beaux (Jonathan Schaech) und Pemon (Frederick Koehler), die ihren bescheidenen Lebensunterhalt mit dem Fischfang erwirtschaften. Wie ein roter Faden zieht sich der metaphorische Bezug zur Natur durch den Film: Die Story fließt langsam und stetig auf ein absehbares Ende zu, in dem sich aufgestaute menschlichen Spannungen und eine bedrückende Hitzewelle in einer Art Parallelmontage durch ein reinigendes Gewitter entladen. Sowohl die langsamen und fließenden Kamerabewegungen als auch die zahlreichen Naturaufnahmen verleihen dem Film einen ländlichen Charme. Die passende musikalische Untermalung mit klassischen Country-Songs und Balladen, sowie der durch frankophonen Spracheinschlag gekennzeichnete Südstaaten-Slang sorgen für einen glaubwürdigen, beinahe dokumentarischen Charakter. Wie der Titel bereits nahe legt, erzählt der Film nur eine kleine Geschichte aus einem verborgenen, aber faszinierenden Kulturkreis, dem auch die Regisseurin entstammt.

Ähnliche Einblicke in seine kulturellen Wurzeln eröffnet Sterlin Harjo in seinem Spielfilmdebüt Four Sheets to the Wind (2007), der das kleinstädtische Leben der amerikanischen Ureinwohner in Holdenville, Oklahoma, zeigt. Der Regisseur illustriert dabei die „völlig normalen“ Probleme einer indianischen Familie, bei denen es sich nicht etwa um Diskriminierung, sondern vielmehr um Verlust, Geldmangel und Perspektivlosigkeit handelt. Der Tod von Vater Frankie (Richard Ray Whitman) führt die Familie Smallhill auf der Beerdigung wieder zusammen; die in der Großstadt lebende Miri (Tamara Podemski) versucht prompt ihren Bruder Cufe (Cody Lightening) aus dem öden Kleinstadtleben zu lösen, doch eigentlich ist sie nur auf der Suche nach jemandem, der ihrem Leben mehr Stabilität verleiht. Schlussendlich tauschen die Geschwister die Positionen im Leben: Miri kehrt nach einem Selbstmordversuch in das behütete Nest ihrer Mutter zurück, während Cufe wie befreit mit seiner ersten Liebe Francie (Laura Bailey) auf Reisen geht. Harjo lässt in seine, gerade einmal 200.000 US Dollar teure Low-Budget Produktion, viele persönliche Elemente mit einfließen: Gedreht wurde in nur 18 Tagen, unter anderem auf familieneigenen Grundstücken, der Soundtrack besteht im Ganzen aus kostenlos zur Verfügung gestellten Stücken regionaler Künstler. Zahlreiche humorvolle Szenen lockern dabei das eigentlich ernsthafte Thema angenehm auf und verleihen dem Film einen wunderbaren Charme. Ebenso offen und sympathisch präsentierten sich der Regisseur und seine Hauptdarstellerin, die persönlich auf dem Filmfest anwesend waren, die sich geduldig allen Fragen des Publikums stellten und mit einem indianischen Lied etwas indianisches Flair in den Kinosaal brachten.

 

Straight Forward – Ohne Umwege zur Wahrheit

 

Neben Spielfilmen fanden erstaunlich viele Dokumentationen den Weg in die Kinosäle. Dabei lässt sich eine zunehmende Abkehr von den politischen Themen der letzten Jahre feststellen. Deren Platz wird von ökologischen, wirtschaftlichen und spirituellen Inhalten eingenommen.

In The Unforeseen (2007) beschäftigt sich Regisseurin Laura Dunn mit den negativen Auswirkungen der rasanten Urbanisierung ihrer Heimatstadt Austin, Texas. In einem historischen Rückblick dokumentiert sie die Einzigartigkeit der Naturlandschaft Barton Springs, die innerhalb der letzten 20 Jahre durch die verstärkten Baumaßnahmen nachhaltig geschädigt wurde. Mitverantwortlich für die Zerstörung zeigt sich Bauunternehmer Gary Bradley, der das Stadtbild von Austin mit den Projekten „Circle C“ und „Barton Creek“ nachhaltig geprägt hat. Dort wo früher ein Naturschutzgebiet den Lebensraum bedrohter Vogelarten darstellte, finden sich nun uniformierte Wohnsiedlungen im Stile amerikanischer Vorstädte. Dunn illustriert den Verlust an Wertigkeit, den die Natur durch das Ausleben des amerikanischen Traums erfährt, mittels einer starken Kontrastierung zwischen beeindruckenden Naturaufnahmen gegenüber in Raster gepressten Bauplänen und nüchternen Bilanzen. Im Zuge der aktuellen Klimadebatte reiht sich The Unforeseen als ein weiterer Aufruf zum Handeln ein, der dem Zuschauer nahe legt, den Wert der Natur niemals aus den Augen zu verlieren.

Der Schriftzug „Ordem e progresso“, zu Deutsch „Ordnung und Forschritt“, ziert die brasilianische Flagge, „Verbrechen und Betrug“ ist jedoch vielmehr das, was die neoliberale Gesellschaft Brasiliens hervorgebracht hat. Jason Kohns Erstlingswerk Manda Bala (2007) zeichnet ein erschreckendes Bild des gesellschaftlichen Zustands eines Landes zwischen Korruption und Terrorismus. Eine Froschfarm dient als bewusst kurioses Beispiel für das SUDAM Projekt, das eigentlich zur Subventionierung des wirtschaftlich schwachen Nordens gedacht war, jedoch zur Bereicherung mittels Scheinfirmen missbraucht wird. Nicht minder kurios ist die Personalie des Politikers Jáder Barbalho, der trotz seiner Veruntreuung von Subventionsmitteln gerade in den armen Bevölkerungsschichten großen Rückhalt genießt. Allgegenwärtig ist der momentan stattfindende Klassenkampf zwischen Neureichen und den armen Teilen der Bevölkerung Sao Paulos. Kohn stellt das wahllose Entführen von Menschen zur Erpressung von Lösegeld, das mittlerweile probates Mittel zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die mittellose Bevölkerung geworden ist, den Sicherheitsbemühungen der Vermögenden, die von kugelsicheren Autos bis zur Einpflanzung von Ortungschips reichen, gegenüber. Neben dieser Dualität werden auch die unmittelbaren Auswirkungen dieses Terrors aufgezeigt: Sowohl ein Kidnapping-Opfer, dem zur Lösegelderpressung beide Ohren abgetrennt wurden, als auch ein plastischer Chirurg, der sich auf die Wiederherstellung ebensolcher Verstümmelungen spezialisiert hat, berichten über ihre Erfahrungen. Jason Kohn führt dem Publikum die Brutalität und Korruption eines Landes vor Augen, die hierzulande nur schwer nachvollziehbar erscheinen.

„Everybody thinks of changing humanity, but nobody thinks of changing himself“ (Tolstoy). Dieses auch im Film verwendete Zitat trifft die Problematik, mit der sich Khashyar Darvichs Dalai Lama Renaissance (2007) im eigentlichen Sinne beschäftigt, sehr genau. Im Rahmen des Synthesis Congress wurden vierzig renommierte Wissenschaftler und Theoretiker des westlichen Kulturkreises vom Dalai Lama eingeladen, um Problemlösungsstrategien für die Herausforderungen des neuen Jahrtausends zu entwickeln. Der Regisseur dokumentiert, wie die geistige Elite trotz intensiver Vorbereitung auf diese einwöchige Versammlung das eigentliche Ziel durch Profilierungssucht und Personenkult um den vierzehnten Dalai Lama aus den Augen verliert. Populistische Vorschläge, den Dalai Lama zum geistigen Anführer der Welt zu erheben, wirken in Anbetracht des wissenschaftlichen Hintergrunds des Plenums äußerst deplaziert und gerade deswegen belustigend. In dem Maße, in dem er die Diskussionen vor dem Ausufern bewahrt, wirkt der Dalai Lama in dieser Dokumentation speziell durch seine zwar scharfsinnige, aber trotzdem lockere und vor allem humorvolle Art als ein beruhigendes und angenehmes Element.

 

Same procedure as every year

 

Im Vergleich der etablierten Genre-Größen wie Kevin Smith, Tom DiCillo und Gregg Araki mit den aufstrebenden Jungregisseuren wirkt auffällig, dass sich gerade die Debütanten mit tiefgründigeren und persönlicheren Themen auseinandersetzen. Eine ausgeprägte Tendenz ist dem Bezug auf eigene sozio-kulturelle Hintergründe, Tod, Verlust und Mittellosigkeit zuzuschreiben. Demgegenüber wirken die Werke der Altmeister sehr viel lockerer und unbeschwerter, gesellschaftliche Probleme und Missstände werden auf subtilere Art und Weise verarbeitet. Trotz dieser unterschiedlichen Strömungen ist das typische Muster amerikanischer Independent Filme weiterhin das sogenannte „Slacker“-Dasein geblieben, das Sinnbild einer Generation der Motivations- und Antriebslosen. Gegensätzlich positionieren sich die angesprochenen Dokumentationen, die sich vielmehr an ein politisch interessiertes und handlungsbereites Publikum richten. Sie sprechen gezielt globale Missstände an und scheuen in altbekannter Independent Manier weder Konfrontation noch Polarisation. Charakteristisch für die aufgezählten Filme ist in jedem Falle der allgegenwärtige „Indie Spirit“, ein Hauch von alternativer Weltanschauung und Lebenseinstellung, der die American Independents so sehenswert macht.

Matthias Hartmann und Nikolas Kleinhans

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