Alienblut ohne Diskursbezug – Slash Filmfestival
Das Wiener Genrefestival Slash zeigt Fantasy und Horror am Rande des Mainstreams. So skurril einige der Filme sind, so effekthascherisch und plump wirken sie auch. Aber muss das etwas Schlechtes sein?

Jimmy rammt dem großäugigen Alien eine Bierflasche in den Schädel. Alienblut schäumt aus dem Flaschenhals und flutet den Boden. Die Kreatur ist erledigt, aber Jimmy kriegt nicht genug. Er zieht eine Line Koks, säuft noch eine Flasche. Fuck! Nicht alle Aliens sind tot, immer neue strömen nach, alle in Jimmys kleine Wohnung, die in bunten Neonlichtern flimmert und sich zunehmend in eine Raumstation verwandelt. Und dann ist da noch Stiggs, ein verloren geglaubter, leider längst abstinenter Rockerfreund, Jimmys letzter Verbündeter gegen die Invasoren – und einer, der bald mit ihm saufen und koksen wird. Anders ist diese Reise ins All nicht zu überleben.
Jimmy and Stiggs heißt der neue Film von Joe Begos, bekannt für launische, psychedelische Splatter wie Bliss (2019) oder Christmas Bloody Christmas (2022). Sein Neuling reiht sich problemlos ein in die skurrilen Neuerscheinungen auf dem Slash, dem seit 2010 bestehenden Wiener Festival des Fantastischen Films. Neben mehr oder weniger generischen Genrefilmen laufen hier sonderbare Hybride: psychedelische, experimentelle Streifen, solche, die fast als Videokunst durchgingen, wären sie nicht so herrlich unseriös und schmutzig. Anlass genug, um über den avantgardistischen oder einfach nur durchgedrehten modernen Horrorfilm nachzudenken.
Bluttransfusionen und Technoaliens

Während sich Horrorfans diesen Sommer nicht entscheiden können, ob ambitionierte Horrorepen wie 28 Years Later, Weapons oder Blood & Sinners nun Überkunst oder einfach nur durchgeknallter Trash sind, schleichen auf dem Slash ganz andere Filme durch die Hintertür: Sie kümmern sich nicht darum, ob sie nun anspruchsvoller oder gar metamoderner Horror sind.
Nehmen wir etwa Him, ein ausgerechnet vom Horror-Trendsetter Jordan Peele (Get Out, Nope) produzierter und vom eher unbekannten Justin Tipping inszenierter Sportfilm mit Horrorelementen. Kritiker*innen wie David Ehrlich hassen diesen Film, werfen ihm Plumpheit vor. Nun ja, feingeistig geht es in Him von Beginn an nicht zu. In einer aberwitzig beschleunigten Montage, die kaum Exposition genannt werden kann, sehen wir Aufstieg und Fall des Footballspielers Cameron Cade. Seinen die Karriere bedrohenden Hirnschaden holt sich Cade, als er zufällig auf einem verlassenen Spielfeld von einer behornten Gestalt niedergeschlagen wird. Einfach so. Und so geht es weiter. Caden kommt in das illustre Trainingscamp des Footballstars Isaiah White, der nicht nur einen suggestiven Namen trägt, sondern auch jede Menge bizarre Freund*innen auf seinem Anwesen beschäftigt. Als hätte Harmony Korines für Grenzwertiges zuständiges Kreativlabor EDGLRD ein neues vulgär-psychedelisches Musikvideo gedreht, werden zu brutalen Hip-Hop-Beats Bluttransfusionen durchgeführt, Schädel zertrümmert und Sexpartys gefeiert, bei denen die Hälfte der Anwesenden aussieht, als hätte sie beim Sturm auf das Kapitol die Hörner geschwungen.
Ist das der neue Sportfaschismus? Geht es um Rassismus wie bei Jordan Peele? Oder will Justin Tipping einfach nur zeigen, wie schön Skelette aussehen, die sich bei sportlichen Zusammenstößen verformen? Und was will Joe Begos mit Jimmy and Stiggs? Auch er kann es nicht ernst meinen mit diesen riesigen, großäugigen Alienköpfen, die weniger an HR Giger erinnern als an die cuten Bubble-Techno-Außerirdischen in „Blue (Da Ba Dee)“. Wobei diese Aliens aber doch eine Bedrohung sind für Hardrocker Jimmy, der definitiv ein Drogenproblem hat und gerne verschwörungstheoretischen Content schaut. Möchte man diesem toxischen Mann überhaupt dabei zusehen, wie er „Fuck“-schreiend auf drollige Allbewohner einschlägt, während die Kamera durch sein dunkelrotblau leuchtendes Apartment springt, als sei Gaspar Noés DoP Benoît Debie auf Ketamin hängengeblieben?
Burger statt Diskurse

Die Frage lässt sich nicht allgemein beantworten. Die „Allgemeinheit“ würde vermutlich nach dem Sinn fragen, nach einem Grund. Hat Jimmy womöglich eine schwierige Erfahrung in der Kindheit gemacht (siehe Weapons)? Steckt hinter den visuellen Exzessen von Him die Auseinandersetzung mit verschiedenen ästhetischen Codes migrantischer Communities (siehe Blood & Sinners)? Diesem Trend aktueller Horrorfilme, große Thesen zu verhandeln und die Schmerzpunkte unserer Gesellschaft abzutasten, gehen Him wie auch Jimmy and Stiggs nicht nach. Beide Filme können ihre visuell anspruchsvollen Exzesse inhaltlich nicht wirklich begründen. Man hat sogar den Verdacht, dass sie gar nicht versuchen, ihre Themen ernst zu nehmen.
Fehlender Ernst ist auch Buffet Infinity zu attestieren, der nächsten Obskurität auf dem Slash. Benannt ist der kanadische Experimentalfilm nach einem fiktiven Diner, auf dessen Parkplatz ein riesiges schwarzes Loch klafft. Zu sehen sind ausschließlich merkwürdige Werbespots, auch zum titelgebenden „Buffet Infinity“. Bald scheint das schwarze Loch Einfluss auf die Spots zu nehmen, die Merkwürdigkeiten häufen sich: Ein meterhoher Burger, Kinder hinter verborgenen Türen, ein Mann, der in einer Bildstörung verschwindet. Buffet Infinity ist das Debüt des Comedians Simon Glassman und erinnert an das absurd-satirische Profil von Spartenprogrammen wie „Adult Swim“: Eine Groteske folgt der nächsten. Glassmann stellt dem medialen Überreizungszirkus unserer Tage ein Format gegenüber, das noch mehr nach Überreizung giert – bis die spezifischen Inhalte unerkennbar sind. Nach Thesen will man gar nicht mehr fragen. Worum es bei Buffet Infinity geht? Um Kapitalismus und Medien…?
Vielleicht wäre das eine These zur Thesenlosigkeit des Nischenhorrors: Es wird verweigert, wonach das bürgerliche Publikum auf einem Filmfestival womöglich am meisten giert: durchdachte Inhalte, raffinierte Ästhetik, kluger Themenbezug. Aber vielleicht stimmt auch das nicht. Denn in allen drei Filmvorführungen wurde lauthals gelacht und applaudiert – und das nicht nur von Seiten der Metalheads, Punks und Rocker*innen. Vielleicht ist die Horrorcommunity bereits einen Schritt weiter.
Hier geht's zur Website des Slash Filmfestivals.
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