Abbiegen, Umkreisen, Hinschauen – Filme von Hartmut Bitomsky

Filme sind keine Ideenbehälter, die man einfach ausleeren könnte. Manchmal bleibt ein Rest übrig, der nicht mit Begriffen zur Deckung kommt. Man muss schon richtig hinsehen, sich irritieren lassen – und das Blicken selbst zum Thema machen. Notizen zum Werk von Hartmut Bitomsky.

Hartmut Bitomsky (*1942) drehte in fünf Jahrzehnten mehr als vierzig, mal kleine, mal große Filme: studentische Finger- und Gefechtsübungen; politisierte Lehrstücke; das Gros des Œuvres bildende, meist im Auftrag des Fernsehens entstandene essayistische Dokumentarfilmbeiträge; sogar „Roadmovies“ für die große Leinwand – einen poetischen Reisebericht entlang des Highway 40 und einen Autoschlepper-Kleinganoven-Film.

Sein Filmen war immer auch vom Schreiben begleitet, manchmal miteinander verwoben: Bitomsky prägte bis zur Einstellung der „Filmkritik“ 1984 für mehr als zehn Jahre deren Redaktion mit; schrieb zahlreiche Filmkritiken und -essays, die zum Teil seine Filme flankierten, kommentierten, ergänzten; veröffentlichte im Sammelband Geliehene Landschaften (2008) aphoristische Arbeitsnotizen und Gedanken zum Kino; legte früh mit Die Röte des Rots von Technicolor (1972) eine, von ihm später eher ungeliebte, Filmtheorie vor.

Ein filmender Theoretiker ist er aber nie gewesen, eher im besten Sinne ein Vermittler. „Die Zuschauer müssen anfangen, nicht die Gedanken fremder Leute, sondern die eigenen Sinne zu ihren Theoretikern zu machen.“ Dieser Satz Bitomskys lässt sich gut auf sein Gesamtwerk beziehen. Filme sind generell keine Ideenbehälter, die man, ausgestattet mit intellektuellem Rüstzeug, einfach ausleeren könnte. Manchmal bleibt da ein Rest übrig, der nicht mit Begriffen zur Deckung kommt. Man muss schon richtig hinsehen, sich mitunter irritieren lassen – und idealerweise das Blicken selbst (mit) zum Thema machen.

Auch als Lehrender gibt er dieses nicht konfektionierte Filmsehen weiter, lässt Filmstudenten auch mitarbeiten. So bewegt sich Christian Petzold in den frühen 90ern durch die Bildkader, ebenso wie Angela Schanelecs markant-sanfte Stimme aus dem Off erklingt.

Nachdem man Bitomsky einst in der brodelnden 68er-Phase der dffb wegen politischer Revolten rausschmiss, gab er dort später Seminare und leitete sie gar – ironischerweise? – von 2006 bis 2009. Zuvor war er Dekan an der School of Film and Video in Kalifornien; wollte sich hier auch als ein amerikanischer Filmemacher etablieren, was aber misslang.

Das erscheint rückblickend betrachtet auch gar nicht so sinnig: Wer Bitomskys Filme kennt, verbindet mit ihnen, würde ich behaupten, sofort die Präzision der deutschen Sprache, die er in seinen Voice-overn unverwechselbar einzusetzen weiß, und den Blick auf deutsche Geschichte, deren audiovisueller Überlieferungen er sich oft annahm.

Tote Winkel

Wenn man Bitomskys künstlerischen und institutionellen Werdegang so betrachtet, könnte man meinen, er habe bis heute Einfluss, werde nach wie vor gesehen und diskutiert. Leider scheitert das schon allein daran, dass im Grunde nur sein schriftstellerisches Werk überhaupt halbwegs zugänglich ist. Vom skizzierten Filmœuvre lässt sich nämlich (abseits der Möglichkeiten, die einem das Netz bietet) gerade einmal ein Titel auf DVD beziehen: sein letzter Film, Staub (2008), der nicht zu seinen besten, nicht mal zu den besseren gehört. Zwar ist über die Jahrzehnte verteilt allerhand zu Bitomsky geschrieben worden, aber man kann nicht behaupten, dass ihm das eine vergleichbare Sichtbarkeit wie etwa seinen Zeitgenossen und Dokumentarfilm-Kollegen Harun Farocki und Klaus Wildenhahn beschert hätte. Bitomsky, der immer wieder uneitel zwischen Fernseh- und Kinoformat hin und her pendelte, scheint in letzter Zeit vor allem im Kinosaal noch eine Heimat zu haben:

Nachdem ihm beispielsweise die Viennale 2000 eine große und das GEGENkino-Festival 2019 eine kleine Werkschau gewidmet hat, zeigt nun das Berliner Zeughauskino in Kooperation mit der Deutschen Kinemathek ein breites Spektrum seines Werks (14.8–12.9). Hier sind zum Teil restaurierte Digitalisate, mitunter auch anachronistische Formate wie Betacams zu sehen (bloß 35mm-Kopien sind leider nicht dabei).

Das „offiziöse“ Bitomsky-Bild soll dabei gewissermaßen neu kadriert werden: Dass er als Vertreter eines deutschen Essaydokumentarismus wahrgenommen werde, ergebe sich vor allem dadurch, dass man die entsprechenden Filme noch am ehesten hier und da sehen – oder etwas über sie lesen – kann. Ihn auf dieses Label festzunageln, blende die Bandbreite seiner erzählerischen und ästhetischen Ansätze ein Stück weit aus, so der Aufhänger der Reihe und der gleichnamigen Monografie, Hartmut Bitomsky – Die Arbeit eines Kritikers mit Worten und Bildern (2020), von Frederik Lang.

Haupt- und Nebenwege

Dementsprechend versucht die sich auf sieben Termine erstreckende Werkschau, Bitomskys Filmografie von den 1960ern bis -90er Jahren gleichermaßen auf den Haupt- und Nebenwegen abzuschreiten – oder vielmehr diese Einteilung, die ja sowieso nur für einen kleineren Kreis etwas bedeuten könnte, zu hinterfragen: Die vergleichsweise einschlägige Werkgruppe der nachträglich so betitelten Deutschlandtrilogie – Deutschlandbilder (1983), Reichsautobahn (1986) und VW-Komplex (1989) – steht so neben Apokryphem wie dem Kinospielfilm Auf Biegen oder Brechen (1975) oder dem genrehybriden Fernsehbeitrag Einmal wirst auch du mich lieben. Über die Bedeutung von Heftromanen (1974).

Als besonders reizvoll erscheint beim Kreuz- und Quersehen das Schlaglicht, das auf eine deutsche Fernsehgeschichte geworfen wird, die aus heutiger Perspektive wie von einem anderen Stern zu kommen scheint: Ungeduldiges Wegzappen war hier noch kein Horrorszenario, hat man den Eindruck. Das heißt nicht, dass die Filme besonders sperrig sind – das sind sie, etwa verglichen mit Godards Filmessays, gar nicht –, aber man stößt schon auf ihre Form. Sie sind nicht möglichst durch- und einsichtig gestaltet. Da gibt es Archiv- und Fremdmaterial-Dokumentationen, die Unbekanntes ausgraben und vermeintlich All-zu-Bekanntes neu sichten (Episoden aus den Mehrteilern Das Goldene Zeitalter der Kinematographie (1976) und Kulturrevue (1979)); dann auch Erzählungen, die aus dem audiovisuellen Fundus der Geschichte ganz ohne schmückendes Beiwerk, mitunter sogar äußerst minimalistisch, ihre eigenen Geschichten bauen (Das Kino und der Tod). Man spürt unmittelbar ihren Vermittlungsdrang und „Kino-Enthusiasmus“ (Bitomsky), muss jedoch gleichzeitig mit „erschwerten Formen“ (Schklowskij) wie der lakonischen, manchmal protokollhaften Sprachpräzision, den fiktionalen Einsprengseln und lose arrangierten Gedankenschnipseln umgehen.

Wie der ebenfalls zu unbekannte amerikanische Spiel- und Dokumentarfilmer Mark Rappaport dreht Bitomsky gerne Filme über Filme. In Deutschlandbilder (NS-Kulturfilme) oder Das Kino und der Wind und die Photographie (Dokumentarfilmklassiker) darf die sinnliche Präsenz der Quellen auch um ihrer selbst willen aufscheinen. Heißt: Die überlieferten Bilder und Töne werden durchaus einfach mal ein bisschen laufen gelassen, ohne dass sie gleich kommentiert, kontextualisiert oder gar verfremdet werden müssten. Stets mitinszeniert ist aber, dass sie bereits vermittelt sind; dass Fotos, 35mm- oder Videobilder von Sachen eben nie die Sache selbst sind.

Mit üblichen TV-Reportagen hat das wenig zu tun. Die hegen ihre Inhalte ja gerne bestmöglich ein, setzen Quellen- mit Beweismaterial gleich. Dass Bitomskys Fernsehfilme ganz anders aussehen, ist sicherlich nicht zuletzt dem damaligen WDR-Filmredakteur Werner Dütsch (1939–2018) zu verdanken.

Von A nach B

Prozesse, Ab- und Kreisläufe – darum drehen sich Bitomskys Filme auffällig gern. Auf der einen Seite sind sie, dem Realismusverständnis eines Siegfried Kracauer nicht ganz fern, Erkundungen, die dem Entstehen, Vergehen und Sich-Wandeln von ganz greifbaren Dingen der Wirklichkeit nachgehen: wie Autos von A nach B geschleust und sie dabei auch mal zur Seite geschafft werden (Auf Biegen oder Brechen), wie sie sich zunächst einmal in einer Produktionsstraße überhaupt zusammensetzen (VW-Komplex), wie für sie ein Streckenabschnitt der Reichsautobahn entsteht und wie viele Arbeiter dabei, von den hymnischen NS-Propagandainszenierungen verschwiegen, eigentlich zu Tode kamen (Reichsautobahn).

Es gibt auch Stillstand, quasi versandende Aktionen, wie in der frühen politisierten Phase, wo einige Filmstudenten – Farocki als Kopf der Bande; Holger Meins bloß hinter der Kamera – die Hochschulkasse ausrauben wollen (3000 Häuser). Die ganze Sache geht aber schief, da sie die Sache mehr debattierwütig zerreden, als eigentlich zu handeln.

Auf der anderen Seite wird auch gerade das (gedankliche) Umkreisen und Betrachten selbst zum Motiv erklärt; greifbar gemacht: Bitomsky sitzt, begleitet von herunterbrennenden Kippen – ein Vanitasmotiv? – in einem Arbeitszimmer und denkt beim Durchblättern von Filmstills, in denen das Sterben vorgegaukelt wird, über diesen „Kino-Tod“ nach (Das Kino und der Tod). Oder er stellt sich, seinen Assistenten und den auf mehreren Monitoren ablaufenden Videos von Dokumentarfilmen Fragen zur „Kino-Wahrheit“, zur Grenze von Fakt und Fiktion, und ob sie überhaupt einen Sinn ergibt (Das Kino und der Wind und die Photographie). Beim Abschreiten von auf dem Boden liegenden Stills schließlich ergeben die formelhaften Motive aus ganz unterschiedlichen NS-Kulturfilmen doch so etwas wie ein ideologisches Muster, das die film- und illusionsverliebten Nazis über Deutschland ausbreiteten (Deutschlandbilder).

Hin und Her

So vielseitig Bitomskys filmisches Gesamtwerk in seinen Genres, Politisierungs- und Fiktionalisierungsgraden ist, so wenig wollen sich mitunter auch einzelne Filme auf eine Form des Erzählens festlegen. Bitomsky ist eher kein Filmemacher, der irgendwann „seine“ Form gefunden hat: Die Filmsprache scheint sich eher danach zu richten, was die jeweiligen Geschichten – vorgefundene oder ausgedachte – ihr quasi diktieren. Es gibt, sieht man vielleicht von den genannten „Kino“-Metafilmen ab, kein wirklich vorgefertigtes Konzept, an die Sache heranzugehen.

Ein solcher eher „intuitiv“ komponierter Film ist Reichsautobahn. Neben den typischen Fotostapeln, den Archivfilmschnipseln und unterkühlten Voice-over-Einsätzen gibt es hier auch ganz traditionelle Elemente wie Interviewsituationen und mehr beobachtende Aufnahmen: Zeitzeugen berichten vom schweren Schuften; Staus schlängeln sich auf den Autobahnen der Gegenwart durch die Landschaften, ganz im Gegensatz zur NS-Zeit, wo gähnende Leere herrschte. Gerade dieser undogmatische Stil macht Reichsautobahn zu einem Film, von dem man im Nachgang sagen kann, man hat hier zwar nichts „Spektakuläres“, aber doch etwas gesehen, was die eigenen Sinne für das Phänomen geschärft hat.

Zwei der in der Werkschau vertretenden Spielfilme pendeln seltsam zwischen unterschiedlichen Polen hin und her: In Einmal wirst auch du mich lieben gibt es die BRD-Arbeitswelt, die gleichermaßen pflichtbewusst wie lustlos bewältigt wird, und die Welt des Groschenromans, die voller Leidenschaften, Schicksalsschläge und Wunscherfüllungen ist. Gemeinsam ist ihnen die entrückte Frauenstimme aus dem Off: „Wenn einem die Arbeit nichts bedeutet, dann liest man lieber etwas, in dem das Leben viel Bedeutung hat.“ Mit leicht befremdlicher Didaktik spielt der zusammen mit Farocki gestaltete Film die Bauformen und Ideologien des Trivialromans in unterschiedlichen, betont stagy inszenierten Episoden durch. Durchbrochen werden sie von Passagen, die, fast veristisch, den Blick auf ganz durchschnittliche Wohn- und Arbeitsstätten richten. Man könnte sagen: Ein Hin und Her zwischen betonter Ungeschönheit und – vermeintlich – schönem Schein, zwischen der Welt, in der die Arbeit alles bestimmt, und der, in der die Arbeit nicht existiert.

Auf Biegen oder Brechen ist in seiner Lakonie so etwas wie ein deutscher Two-Lane Blacktop (Monte Hellman, USA 1971). Bloß, dass statt der überall aufblitzenden Coolness hier nur eine behauptete und statt der amerikanischen Weite hier eher triste Stadt- und Autobahnabschnitte ins Bild kommen. Charly ist ein Automechaniker, der das Buckeln satt hat, nochmal ein Ingenieursstudium antritt, diesen Weg dann aber doch zu steinig findet, so Teil einer Autoschieberbande wird. Merkwürdig auch hier, wie sorgfältig auf der einen Seite die Mechanismen der Arbeit registriert, auf der anderen pathosgeladene Genreformeln aufgegriffen werden: Dröger Werkstattalltag, unterkühlte Zweck-WGs, bürokratischer Sprech, enge Schlaghosen und markige Sprüche – das dockt an das außerfilmische Deutschland des Hier und Jetzt an. Eine Autoexplosion, eine finale Umarmung sich Liebender zu dramatischer Musik, die Sehnsucht nach der Ferne, die die Dialoge transportieren – das ist zeit- und kontextloses Kino. Und noch ein Kreislauf. Als Charly mit seiner späteren Freundin, eine Krankenschwester, zum ersten Mal flirtet, stellt er fest: „Ich repariere die Autos, die die Leute kaputtfahren – und du reparierst die Leute, die die Autos kaputtfahren.“

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