6. Cineasia Filmfestival Köln
Zum sechsten Mal lud Köln die Freunde asiatischer Filme an den Rhein. Im Filmforum NRW, dem Kino des Museum Ludwig, wurde vom 28. März bis 1. April 2007 beim Cineasia Filmfestival ein Programm aus 22 Filmen gezeigt - vor allem aus Japan, aber auch aus Thailand, Malaysia, Südkorea, China, Indonesien und Singapur.
Am Anfang steht ein Sonnenuntergang mit hochgradigem Kitschpotenzial. Der an Alzheimer leidende Saeki (Ken Watanabe) sitzt apathisch in einem Rollstuhl, neben ihm seine Frau Emiko (Kanako Higuchi). Die Kamera steht hinter ihnen, und das Paar und der Zuschauer blicken in eine wie gemalte, in Rot getauchte Landschaft. Doch Memories of Tomorrow (Ashita no kioku) (entpuppt sich dann erfreulicherweise als realistisches Drama, in dem ein überragender Watanabe (kürzlich in Clint Eastwoods Letters from Iwo Jima zu sehen) alle Stadien der Krankheit bis zum bitteren Ende durchspielt.
Beim Cineasia Filmfestival Köln, das am Wochenende zu Ende ging, gewann Memories of Tomorrow den erstmals vergebenen Publikumspreis, dotiert mit 1000 Euro und gestiftet vom Kulturmagazin Choices. Der siegreiche Film ist derjenige mit der breitesten Publikumswirkung - ein Tränendrüsendrücker, der emotionale Szenen mit einer akkuraten Darstellung der Alzheimerschen Krankheit zu verbinden weiß. Der 50-jährige Saeki, ein erfolgreicher Werbemanager, bemerkt die ersten Symptome bei einem Arbeitsessen: Wie hieß noch mal dieser Schauspieler in diesem Film mit dem sinkenden Schiff? DiCaprio, genau. Später entfallen ihm Termine zu wichtigen Sitzungen, und einmal verirrt er sich hoffnungslos in Tokio. Es folgen die üblichen Stationen in solchen Krankheits-Dramen: Das Leugnen, die Einsicht, der Abschied aus dem Beruf. Regisseur Yukihiko Tsutsumi und Drehbuchautor Hakaru Sunamoto gehen dabei ökonomisch vor und treiben die Handlung schnell voran, nehmen sich aber auch Zeit für Milieuschilderungen der japanischen Arbeitswelt.
Memories of Tomorrow war sicher einer der besten Filme auf dem im sechsten Jahr stattfindenden Festival, aber auch einer der berechenbarsten. In dem Programm aus 22 Filmen - 14 davon im Wettbewerb - fand sich manch ungewöhnliche Perle, der man den Preis ebenfalls gewünscht hätte. Strawberry Shortcakes etwa, der, basierend auf einem Manga von Kiriko Nananan, die Geschichten von vier jungen Frauen in Tokio auf der Suche nach Liebe erzählt. Was sich so anhört wie Sex and the City (1998-2004) auf japanisch, ist in Wahrheit ein sensibles Portrait der jungen Generation - und zwar vollkommen aus weiblicher Perspektive. Männer kommen hier nur am Rande vor, als Objekte des Begehrens, die aber dieses Begehren nie verdienen. Und das wird in mitunter drastischen Szenen gezeigt: Etwa wenn ein Kunde der Prostituierten Akiyo beiläufig Geld auf den nackten Körper wirft und sich halbherzig dafür entschuldigt, in ihr gekommen zu sein. Oder wenn ein Büroangestellter ins Gesicht der romantisch-naiven Chihiro ejakuliert, sie aber dann schnell wieder nach Hause schickt wie eine Dienstmagd. Chihiro wohnt mit der Künstlerin Toko zusammen, die ein enthaltsames Leben führt und während des gesamten Films ihr Apartment kaum verlässt. Sie leidet an Bulimie und ist damit beschäftigt, Gott zu malen. Für Riko, die Empfangsdame eines Bordells, ist Gott wiederum schlicht ein kleiner Stein, den sie auf ihren Fenstersims legt. Jeden Abend bittet sie um etwas: Dass sie einen Freund findet, und dass der widerliche Kerl, der ihr an den Hintern gegrabscht hat, sterben möge. Die mit vielen humorvollen Einschüben versehenen, im Grunde aber sehr ernsten Geschichten der vier Frauen werden in Zweierpaaren erzählt. Zusammen kommen sie alle erst ganz spät, wenn der Film dort endet, wo viele Coming-of-Age-Dramen schließen: am Meer.
Die Balance zwischen Komik und Tragik wird in Gubra von der malaiischen Regisseurin Yasmin Ahmad noch weiter getrieben. Die quirlige Orked ist verheiratet mit Arif und trifft im Krankenhaus, in dem ihr Vater liegt, auf den Bruder ihres tödlich verunglückten früheren Freundes Jason (diese Vorgeschichte wurde in Ahmads Film Sepet von 2004 erzählt). Dessen Eltern, ein Chinese und eine Malayin, streiten sich ständig, während Orkeds Eltern einen schwarzen Humor an den Tag legen, wie er ähnlich in Filmen wie dem kanadischen Die Invasion der Barbaren (Les Invasions barbares, 2003) zu sehen war. Dann gibt es noch Ehebruch, Prostitution und einen jungen Muezzin, der ständig auf sehr charmante Weise von seiner Frau geneckt wird. Die Szenen sind fast ausnahmslos in langen, unbeweglichen Einstellungen gedreht, weit entfernt von der hektischen Schnittfrequenz westlicher Komödien. Gubra steckt voller unverblümter sexueller Anspielungen, die dem Film in seiner Heimat einigen Ärger eingebracht haben, und ist nichts weniger als ein Plädoyer für die multikulturelle Gesellschaft, mit all ihren Problemen. “Wenn es nur Malaien hier in Malaysia gäbe”, sagt Orked einmal, “wäre ich schon längst abgehauen.”
Fans des Genrekinos wurden mit dem südkoreanischen Gangsterfilm Sunflower und der thailändischen Geistergeschichte The Unseeable bedient, die beide mehr oder weniger gekonnt auf der Klaviatur der Genreregeln spielen. In Sunflower (Haebaragi) von Suk-bum Kang kehrt Taesik (der großartige Rae-won Kim) nach zehn Jahren aus dem Gefängnis zurück. Er wird von einer Restaurantbesitzerin aufgenommen, deren Sohn er einst im Bandenkrieg getötet hat. Taesik hat der Gewalt abgeschworen und will ein guter Mensch werden - leitmotivisch wird das im Film anhand seines Notizbuches gezeigt, in das er all die Dinge hineinschreibt, die zu einem gerechten Leben gehören. Aber, man ahnt es schon, die Gangsterwelt seines Heimatortes kann sich mit der Läuterung nicht abfinden, und ein machtgieriger Lokalpolitiker betreibt seine eigenen Intrigen: Das Restaurant steht seinen Plänen für eine Shopping Mall im Weg. So wird Taesik, als ihm alles genommen wird, das ihm ein normales Leben ermöglicht hätte, gegen seinen Willen wieder zur Kampfmaschine. Der Showdown, in dem er den Politiker und mehrere Dutzend von dessen Schergen tötet, orientiert sich deutlich an der Metzelei in Tarantinos Kill Bill: Vol. 1 (2003).
Aus Thailand war eine vergnügliche Geistergeschichte zu sehen, die auf etwas unbeholfene Weise alle Register des Horrorfilms zieht. Schon von der ersten Minute an wird auf der Tonspur von The Unseeable (Pen choo kab pee) kräftig gewispert, was sich im Verlaufe des Films zu wahren Gespenstergeräuschorgien verdichtet. Das verwunschene Haus, um das es geht, ist dabei fast die einzige Kulisse. Hände kriechen aus Gebüschen, die bewegliche Kamera schaut ängstlich um Häuserecken und Flure entlang, eine kleine Zombiearmee wandert über die Veranda, und am Schluss hat das Skript einige Mühe, alle losen Fäden zu verbinden. Das Ganze wirkt, als hätte jemand kräftig mit dem Baukasten für Horrorfilme gespielt und mächtig Spaß dabei gehabt. Ein schwangeres Mädchen kommt auf der Suche nach ihrem verschwundenen Mann zu einem verwunschenen Haus, in dem sie Unterschlupf findet. Sie freundet sich mit dem patenten Dienstmädchen an, das häufiger für comic relief sorgt, und muss sich der resoluten Haushälterin erwehren sowie der geheimnisvollen Besitzerin des Hauses, die zurückgezogen in ihrem Zimmer lebt und schon bald reges Interesse an dem neugeborenen Baby zeigt. Regisseur Wisit Sasanatieng hat das richtige Gespür für das Timing der Schockeffekte, wenn auch die völlig überladene Tonspur mit der Zeit ermüdet.
Singapur war mit einem sympathischen Low-Low-Budget-Erstlingswerk der Sorte “Wir kaufen uns eine Digicam und verwirklichen unseren Traum vom eigenen Film” vertreten: Becoming Royston von Nicholas Chee. Herausgekommen ist ein technisch und dramaturgisch alles andere als perfektes Werk, dem man ansieht, dass die Macher ihrer Sache gegen Ende immer sicherer wurden. Stimmen am Anfang, der die Kindheit des Helden erzählt, schon ganz simple Dinge wie die Ausleuchtung nicht, gelingen später einige wirklich schöne Momente. Es geht um einen jungen Mann, der sich vornimmt, Filmemacher zu werden. Sein Vorbild ist der Regisseur Royston Tan, der in Singapur eine Berühmtheit ist, und der sich in einem kurzen Auftritt selbst spielt. Wie Regisseur Chee in Köln nach der Vorführung verriet, sind er und Royston auf dieselbe Schule gegangen.
Professioneller gedreht ist Faces of a Fig Tree (Ichijiku no kao) der japanischen Schauspielerin Kaori Mamoi (bekannt als Mutter in Die Geisha, Memoirs of a Geisha, 2005), die in ihrem bunten, mit vielen visuellen Einfällen garnierten Regiedebüt über eine dysfunktionale Familie auch gleich selbst die Hauptrolle spielt. Ein Vater, der selten zu Hause ist (und bald an Überarbeitung stirbt), eine desperate Hausfrau sowie zwei erwachsene Kinder und die wichtigen Dinge des Lebens, so ließe sich die chaotische Handlung vielleicht beschreiben. Es geht um Tod, Geburt, Liebe und um alle Sinne, vor allem um den Geschmackssinn. Übergangslos lässt der Film sich in die Phantasiewelten seiner Protagonisten fallen, die beim Vater vor allem mit der schönen Frau aus dem Nachbarhaus zu tun haben, während die Ehefrau gegen Ende immer mehr in der Vergangenheit lebt. Seh-Erwartungen werden dabei bewusst unterlaufen, der Zuschauer absichtlich im Regen stehen gelassen, etwa wenn einmal im Hintergrund der Fernseher läuft, einen Schnitt später ausgeschaltet ist, um wiederum einen Schnitt später erneut zu flimmern. Fluchende Ameisen in Großaufnahme tauchen auch noch auf. Das alles ergibt völlig überkandidelte 90 Minuten, von denen vor allem das raue, leicht hysterische Lachen der Hauptdarstellerin im Gedächtnis bleibt.
Auf einem Festival, das sich dem asiatischen Kino verschrieben hat und den Schwerpunkt dabei auf Japan legt, darf natürlich ein Samurai-Film nicht fehlen. The Samurai I loved (Semishigure) von Mitsuo Kurotsuchi enttäuschte leider. Die Romanverfilmung erzählt die Geschichte des sanften Samurais Bunshiro, der erst sehr effektiv zum Schwert greift, als es gilt, die Frau, die er liebt, zu retten. Bunshiro erlebt als Kind, wie sein Vater zum Tod verurteilt wird und gerät als Erwachsener ebenfalls in die Machtkämpfe verfeindeter Clans. Seine Liebe zu der Konkubine Fuku, die er seit Kindheitstagen kennt, bleibt dabei unerfüllt. Dazu kommt ein bisschen Kurosawa und ein bisschen Ozu, aber vor allem viel Melodram und ein Soundtrack, der den Zuschauer mit aller Geigengewalt zum Weinen bringen will.
Das japanische Kino, das deutlich den Schwerpunkt im Programm des Cineasia Filmfestivals Köln ausmachte, kam zu besseren Ehren mit experimentellen Beiträgen wie den oben besprochenen Faces of a Fig Tree oder auch dem massentauglichen Drama Memories of Tomorrow. Zeichentrick-Abenteuer wie Tekkon Tinkret von Michael Arias und Paprika von Satoshi Kon rundeten dieses Angebot ab. Überraschungen gab es aber vor allem aus Ländern mit wenig entwickelter Filmindustrie. Ein charmantes Stück wie Gubra aus Malaysia (wann haben Sie zuletzt einen Film aus Malaysia gesehen?) lässt den an höhere technische Standards gewöhnten westlichen Zuschauer sofort das Hohelied der Einfachheit singen.
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