22. Filmfest Oldenburg: Retrospektive George Armitage
Das Filmfest Oldenburg würdigt das Werk des zu Unrecht in Vergessenheit geratenen George Armitage. In der Retrospektive lassen sich wiederkehrende Motive ebenso finden wie präzise Bestandsaufnahmen von Mythen und Macht in Amerika.

Der Gangster, der Cop und die Ex-Nutte sitzen zusammen am Tisch, essen Schweinekoteletts und unterhalten sich über Rezepte. Weil das Bier irgendwann alle ist, geht der Cop nach Hause. Man wird sich ohnehin wiedersehen, als Jäger und Gejagter. Nur die Rollenverteilung ist noch nicht ganz so klar. Erdacht hat diese Szene der eigenwillige Krimiautor Charles Willeford, der für Miami Blues (1990) die Vorlage geliefert hat. Die Retrospektive des diesjährigen Filmfests Oldenburg lässt sie aber auch als zentrale Ambition jenes gewalttätigen und dabei zutiefst anti-autoritären Kinos deuten, dem George Armitage anhängt: nämlich die auf unterschiedlichen Seiten des Gesetzes Stehenden an einen Tisch zu setzen. Was bedeutet, die Kräfteverhältnisse ihres Überbaus zu entledigen, die symbolische Macht in den Praktiken aufzulösen, jeden Schein einer Judikative und die zugehörigen generischen Kausalitäten den mannigfaltigen Exekutiven des Kinos zu opfern.

Armitages Werk mit der Phrase von den „Schattenseiten des amerikanischen Traums“ zu kommen, wird ihm nicht gerecht, nicht nur, weil das für unzählige Filme passt, sondern auch, weil man nirgendwo so sehr wie auf der Zeitreise einer Werkschau gewahr wird, dass dieser Traum und seine Schatten ein hochkomplexes Gefüge sind, das sich fortlaufend wandelt. Vom Hippieploitation-Trip Gas-s-s-s bis zu seinem wohl bekanntesten Werk Grosse Point Blank (1997) fühlen sich Armitages Filme nicht wie eine Wiederholung der immer gleichen Themen an, sondern wie eine Aktualisierung der immer gleichen, weil immer relevanten Fragen. Und doch: Die USA, ihre Mythen, ihre Politik, ihre Symbole, ihre Träume und Albträume, stehen im Zentrum.
Unmittelbar Absurdes

In Miami Blues spielt ein wahnsinnig gewordener Alec Baldwin den leicht wahnsinnigen Ganoven Junior, der dem Cop mit Gebiss Moseley (Fred Ward) – Willefords Anti-Helden mehrerer Bücher – bald Waffe wie Dienstmarke entwendet. Das erleichtert dem Robin Hood mit Unternehmergeist seine Lieblingsbeschäftigung: Junior überfällt die Überfallenden und schnappt sich ihre Beute, lässt den Teil mit den Armen aber weg. Ein Verbrecher auf Verbrecherjagd, aber eben ein Mann, der nicht rot sieht, sondern Dollars – und der sich bald in die Prostituierte Susie (Jennifer Jason Leigh, die ihre etwas naive Figur herzzerreißend ernst nimmt, der Tonalität dieses Films damit nochmals eine andere Färbung gibt) verliebt und sich mit ihr zur Ruhe setzen will.

Junior können wir uns nicht entziehen, so viel ist er: Kind seiner Zeit, White Trash mit Yuppietraum, unbeholfen in seiner Coolness und souverän in seinen hyperaktiven Bewegungen, ultrasmart und naiv, charmant und ein ekliger Großkotz. Armitage, der in Begleitung seiner Familie und sichtlich dankbar für diese Gelegenheit jedes Screening in Oldenburg mitnimmt, erzählt später, wie er Baldwin immer wieder dazu anhalten musste, diese Figur zu spielen, zu sein – ohne sie zu kommentieren. Und diese Suche nach Unmittelbarkeit noch in den skurrilsten Momenten (gejagt wird Junior etwa, weil er einem Hare-Krishna-Anhänger den Finger gebrochen hat, woraufhin dieser verschied) ist wohl ein wesentlicher Grund, warum Miami Blues derartig vibriert. Aus der Rückschau, die freilich niemals ohne Vereinfachungen und blinde Flecken auskommt, wird man ein bisschen wehmütig. Die 1980er sind vorbei, Tarantino und seine Epigonen stehen schon in den Startlöchern, aber hier widersteht noch die absurdeste Idee der ironischen Einholung. Vielleicht der Unterschied zwischen B-Movie-Fan und B-Movie-Macher.
Rock ’n’ Roll und Raserei

Elf Jahre vorher hatte Armitage nochmal den goldenen Zeiten von Hollywoods Billigschiene gehuldigt. Seine TV-Produktion Hot Rod (1979), die in Oldenburg leider nur in einer auf DVD überspielten VHS-Kopie zu sehen war (aber immerhin zu sehen!), beschwört die Dragstrip-Reihe der späten 1950er Jahre: Das waren Teenpics über Konkurrenzkämpfchen unter Rasern, meist zwischen einem Schnösel und einem James Dean (oder eben Brando), das große Rennen am Horizont, und mittendrin, na klar, ein Mädchen. Dieser Konstellation spendet Armitage nicht nur seine persönlichen Erinnerungen an die eigene Raser-Vergangenheit und einen großartigen Rock-’n’-Roll-Soundtrack aus den Anfängen der wilden Zeit – Hot Rod ist in seine Jukebox mindestens ebenso verschossen wie in seine Motorenbasteleien –, sondern stellt auch hier wieder die Machtfrage: Sonny (Grant Goodeve) ist nämlich nicht nur Schnösel, sondern der Sohn des lokalen Brauerei-Magnaten Munn, der die großen „Nationals“ sponsort und alles dafür tut, gefährliche Konkurrenten unschädlich zu machen. Und so wird Brian (Gregg Henry), eindeutig eher Dean als Brando, einen ganzen Film lang vom lokalen Sheriff gepiesackt, lässt sich aber nicht beirren, sabotiert die Sabotierer, gewinnt die Gunst des Mädchens und die Spiele, während sich das Blatt gegen den Großkapitalisten wendet: Dieser entlässt den Sheriff vor lauter Wut auf dessen Zaghaftigkeit und befördert den Assistenten, der daraufhin aber nicht Brian verhaftet, sondern Munn. Die Banalität und Willkür der Macht treffen manchmal eben doch die Richtigen.

Hot Rod beschwört eine Zeit unschuldiger Jugendkultur, Subversion noch vor jener großen Revolte, deren Teil denn auch George Armitage war. Für Roger Corman schrieb er 1969 sein erstes Drehbuch, das anarchische Hippie-Exploitation-Stück Gas-s-s-s (alternativer Titel: Gas! or It Became Necessary to Destroy the World in Order to Save It), das glücklicherweise in die Werkschau integriert wurde. Der Film ist geprägt durch einen so anregenden wie anstrengenden gegenkulturellen Übermut, doch stets ungemein faszinierend und wahnsinnig komisch; er erinnert an eine Zeit, in der Kreativität noch was mit Anarchie zu tun hatte. Zugleich parodiert er die Obsession der Zeit mit Generationenfragen: Aus einer Militäranlage entweicht ein Gas, das alle Menschen über 25 tötet. Der Revolution hilft das erst mal nicht. Im letzten Teil attackiert ein College-Footballteam unsere auf eine Golfanlage geflüchteten Helden, was für einen herrlichen Showdown sorgt. Auch angenehm, wie mal nicht Hillbillys oder Anzugspießer als Gegner des großen Umbruchs imaginiert werden.
200 Jahre Töten

Armitages erster eigener Regiearbeit Private Duty Nurses – die in Oldenburg nicht zu sehen war, von der aber die schönen Opening Credits überliefert sind – folgte 1972 der Blaxploitation-Beitrag Hit Man. Von Jugendrevolte und Black Power ist Mitte der 1970er Jahre aber nicht mehr viel übrig; in Vigilante Force (1976) erinnern am ehesten Kris Kristoffersons wilde Mähne und die Gang, die er anführt, an die Kids aus Gas-s-s-s. Nur sind die Langhaarigen hier keine Kriegsprotestler, sondern Vietnam-Veteranen, die in einer durch frisch angezapfte Ölfelder im Chaos versinkenden Kleinstadt für Recht und Ordnung sorgen sollen, weil das örtliche Sheriffbüro nicht mehr hinterherkommt. Der Mythos des Outlaws als besserer Polizist gelangte in den von Regierungsskepsis und steigenden Kriminalitätsraten geprägten 1970ern zu neuer Blüte und versprach mal wieder die Auflösung des amerikanischen Widerspruchs zwischen Individualismus und Law & Order. Doch während genügend andere Filme mit ihren Vigilantes ordentlich flirteten, entpuppt sich Kristoffersons Aaron Arnold als echter Maniac, der seine zunächst widerwillig akzeptierte Macht schamlos ausnutzt und, ohne mit der Wimper zu zucken, die alte Ordnung aus dem Weg tötet. So veraltet, konformistisch, ineffektiv dieses von den Sixties gebrandmarkte Establishment auch sein mochte, es ist nichts gegen die Kriegsmaschine, die auf ihren Trümmern entstanden ist. Für Armitage war Vigilante Force ein Beitrag zum 200. Jahrestag der Amerikanischen Revolution, sein Glückwunsch für „200 years of ... basically this“, wie er mit kurzem Blick zur leeren Leinwand erklärt.
Im Kern die Anarchie

So klar und kausallogisch sich der Plot auch anhört, der mit dem American-Revolution-Showdown zwischen Aarons Besatzer-Gang und dem ad hoc von seinem Bruder Ben (Jan-Michael Vincent) zur Guerilla umfunktionierten Jagdclub gipfelt: Auch Vigilante Force ist kein präzise konstruierter, sondern ein rauer und in alle Richtungen fliehender Film. Wie in Miami Heat und auch in Hot Rod, in dessen schönster Szene der Held seinem Konkurrenten das Mädchen ausspannt, indem er sie ans Steuer lässt, gibt es auch hier eine tolle Frauenfigur: Barsängerin Little Dee (Bernadette Peters), die sich durch nichts vom Singen abbringen lässt („What key did you play in“, fragt sie empört den Begleiter am Klavier. „In all the keys you were singing in“, antwortet der trocken) und glaubt, jeder Person schon mal begegnet zu sein.

Kristofferson ist die perfekte Besetzung für diesen charmanten Psychopathen, der am Ende – den Ölfeldern als Setting sei Dank – buchstäblich in die Luft fliegt, während Ben seine nun autoritätsfreie Gemeinde in die Zukunft führen muss. Die Anarchie, sie ist in Armitages Kino zwar nicht ästhetischer Modus, von Gas-s-s-s einmal abgesehen, aber doch stets inhaltlicher Kern. Und anders als bei manchen seiner Zeitgenossen kommt diese Radikalität weniger zynisch als analytisch daher. Die Macht, sie existiert nicht, franst sich aus in den Besitz einer Badge, in Sprechakte („Polizei!“, „Sie sind entlassen!“), die am Chaos der Welt nichts ändern. Die großen symbolischen Gesten, die gesellschaftlichen Plot Points sind niemals Einschnitte in die filmische Bewegung, stets nur Motive, die angeeignet, umgearbeitet werden. Sie führen niemals von einer Ebene auf die nächste, von einer Welt in die andere. Es gibt nur die eine Welt, keinen doppelten Boden, keine Moral. Deshalb strebt das ewige Jagen und Gejagt-Werden nicht zur Closure, sondern höchstens zum tödlichen Ende, das nach dem nächsten Anfang fragt. Keine Exekutive, sondern nur Exekutionen. Ausgang offen: Armitage hat einen ausgeprägten Sinn für Schlussbilder und großen Spaß an ihnen, aber ein letztes Wort ist nie gesprochen.
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