Sein eigener Souverän sein – Interview mit Franz Rogowski
Als Schauspieler mühelos zwischen Jazz und Klassik wechseln. Seit Franz Rogowskis Durchbruch im German Mumblecore sind nur ein paar Jahre vergangen. Wenige Filme später dreht der gelernte Tänzer nun mit der A-Liga des internationalen Autorenkinos. Ein Gespräch über das gespaltene Verhältnis zum modernen Theater, die besondere Freiheit im Kino und die Herausforderung eines unregelmäßigen Lebensstils.

Michael Kienzl: Du bist gerade noch im Ensemble der Münchner Kammerspiele, oder?
Franz Rogowski: Seit August lebe ich wieder in Berlin, mach jetzt auch weniger Stücke und drehe mehr. Davor war ich zwei Jahre in München.
MK: Die Kammerspiele unter Matthias Lilienthal stehen ähnlich wie die neue Volksbühne von Chris Dercon für eine konzeptuellere Art von Theater, die von Kritikern als schauspielerfeindlich bezeichnet wird. Wie siehst du das als ehemaliges Ensemblemitglied?
FR: Ich kann die Sehnsucht verstehen, dass man große Monologe sehen will, die mit feurigem Atem an der Bühnenrampe vorgetragen werden, dass man auch eine Sehnsucht hat nach Theater, wie man es aus der guten alten Zeit kennt. Speziell München wirkt auf mich wie eine Stadt, die diese Kunst wie kaum eine andere beherrscht, das Altbewährte in seiner reinsten und höchsten Form aufrechtzuerhalten. Es sollte deswegen eigentlich eine Bereicherung sein, wenn da einer kommt, der neue Formen bringt.
Ich hab im Film die Erfahrung gemacht, dass ein Regisseur und ein Schauspieler zusammen überlegen, wie man eine Szene am besten spielen kann. Und dann eine Szene schaffen, in der das glaubhaft ist und berührt. Im Theater habe ich das nicht so erlebt. Da helfen Regisseure ihren Schauspielern oft nicht, sondern versuchen ihr eigenes Konzept auf die Bühne zu bringen. Da gibt es so einen Wunsch, Künstler zu sein. Da verstehe ich schon, dass das zu einer Krise führen kann. Bei so einer Form von Kunst sehe ich die spannenderen Arbeiten im Hamburger Bahnhof oder auf der Documenta, aber nicht im Stadttheater. Ich finde, dass die Schauspielkunst eine Stärke des Theaters ist und dass im modernen Theater oft eher der künstlerisch relevante Diskurs die Rampensau ist.
Ich glaube aber trotzdem, dass einer Stadt wie München ein weiteres klassisches Theater nichts bringen würde. Dafür muss man nur auf die andere Straßenseite gehen. München sollte schon froh sein, dass es die Kammerspiele in dieser Form gibt. Wenn die Stadt ein Problem hat, dann ist es das Provinzielle und Konservative, nicht, dass da jetzt der Punk regiert.

MK: Du würdest also sagen, dass du als Schauspieler im Theater weniger Möglichkeiten hast?
FR: Im Moment ja, aber das liegt daran, dass ich dort bisher eher so performative Interaktionen mit der Materialität bestimmter Stoffe gemacht habe. Da tritt zwar der Körper in den Vordergrund, aber als Person bleibt man zurück. Das ist halt ’ne andere Art zu arbeiten. Dass jemand mit dir eine Rolle erarbeitet, in der du glänzen sollst, kenn ich nur aus dem Film. Ich glaube aber, dass jemand wie Lars Eidinger das auch aus dem Theater kennt.
MK: Was Thomas Ostermeier an der Schaubühne macht, ist aber doch auch wieder näher am klassischen Theater.
FR: Es kommt aber eben auch darauf an, wie viel Raum man bekommt. Es gibt bestimmte Dinge, die kann man nur erleben, wenn man alleine eine Geschichte tragen darf. Natürlich nicht immer. Es geht auch nicht darum, da jetzt ’ne Riesen-Egoshow draus zu machen. Aber wenn man immer nur im Kollektiv Texte erarbeitet, kann man bestimmte Erfahrungen eben nicht machen.
MK: Ich habe mich gefragt, wie wichtig so etwas wie Authentizität und Figurenpsychologie für dich ist. Du bist gelernter Tänzer, und auch wenn das der Schauspielerei nicht unähnlich ist, handelt es sich dabei doch um eine nonverbale und dadurch auch abstraktere Kunstform.
FR: Ich versuche so viel Psychologie zu verstehen, wie es für die Figur nötig ist, aber wie ich das dann umsetze, das sind ziemlich abstrakte Vorgänge. Ein Gefühl stelle ich eher körperlich her.

MK: Die große Angst eines Schauspielers ist vermutlich, Opfer von Typecasting zu werden. Wie beeinflusst das deine Rollenwahl?
FR: Es gibt schon Bücher, die mich reizen, weil sie etwas ganz Neues machen. Ich glaube aber eigentlich sehr an die Wiederholung, und dass man dadurch auch etwas lernen kann. In der Musik ist das ja auch so. Es könnte also auch gut sein, immer die gleiche Rolle zu spielen, in Variationen.
MK: Du hast dich in den letzten Jahren zu sehr unterschiedlichen Regiestilen positionieren müssen. Auf der einen Seite gibt es jemanden wie Jakob Lass, bei dem Improvisation eine wichtige Rolle spielt, auf der anderen einen vergleichsweise totalitären und kontrollsüchtigen Filmemacher wie Michael Haneke. Gibt es einen Zugang, der dir leichter fällt?
FR: Da werden verschiedene Energien freigesetzt. Jeder Ansatz hat seine Berechtigung. Und bei jemandem wie Michael, der genau weiß, was er machen will, wäre es ein totaler Albtraum, wenn einer anfängt, ihm plötzlich etwas vorzuimprovisieren. Jakob oder Terrence Malick kreieren dagegen Räume, die man mit Leben füllen soll. Leben heißt, auf das reagieren, was da ist, also die Sonne, die Menschen, die Situation. Da gibt es den ausdrücklichen Wunsch, dass man selbst Autorenschaft mit übernimmt. Das ist ein bisschen so, als wenn man klassische Musik und Jazz miteinander vergleicht.
MK: Die Figuren, die du bisher verkörpert hast, waren überwiegend extrovertiert. Und selbst in Love Steaks, wo es sich um einen sehr schüchternen Protagonisten handelt, ist dein Spiel sehr körperbetont. Gerade hast du mit Angela Schanelec zusammengearbeitet, die ihre Schauspieler bis an die Grenze zur Ausdruckslosigkeit treibt und damit für das genaue Gegenteil steht. Wie ging’s dir damit?
FR: Genau das hat mich an ihrer Arbeit interessiert, dass sie einen eigenen Ansatz hat und den auch rigoros verfolgt. Auch nach langer Schaffenszeit hat sie immer noch die Kraft, ihre Sachen zu machen, selbst wenn die nicht so gefördert werden, wie sie sollten. Sie lässt sich nicht weichkochen vom System, das finde ich erst mal toll. Außerdem hat sie ein gutes Buch geschrieben, diese Figuren sind sehr persönlich und lebendig. Erst durch die Form, die sie bei der Inszenierung wählt, entsteht das, was Du als die Grenze der Ausdruckslosigkeit bezeichnest.

MK: Bei Schanelec arbeiten auch immer wieder mal Laien mit. Auch wenn du selbst keine Schauspielschule besucht hast: Wie empfandest du diese Zusammenarbeit?
FR: Wenn ich meine Erlebnisse mit Schauspielern und Nicht-Schauspielern insgesamt vergleiche, würde ich sagen, dass es jeweils gleich viele gab, die es gut oder schlecht gemacht haben. Vielleicht ist die Art des Schauspiels, die man gerade an Schulen lernt, auch nicht immer das Gelbe vom Ei.
MK: Wie würdest du diese Art zu spielen beschreiben?
FR: Ich kenn sie gar nicht so richtig, die Schauspielschulen, aber ich glaube, es gibt immer noch so eine komische Idee, die Schüler dort zu brechen und dann wieder aufzubauen. Und ich finde, diese Lehrer sind zu abgefuckt, um so viel Macht über eine Person zu kriegen. Es wäre besser, die Leute zu ihrem eigenen Souverän zu machen.
MK: Ist es für dich eine Herausforderung, berufsbedingt einen so unregelmäßigen Lebensstil zu haben?
FR: Unbedingt. Manchmal arbeitet man von vor Sonnenaufgang bis in die Nacht und ist dabei auch in so einer kleinen Sondereinheit. Das ist total strange. Da haben alle Kopfhörer auf, halten Mikrofone in die Luft, einer schielt durch die Kameralinse, man selbst ist mit dem Regisseur verheiratet. Und dann gibt es auch wieder Zeiten, in denen ist man nur zu Hause, liest Drehbücher oder macht gar nix.
MK: Als Freiberufler gibt es ja oft auch die Sehnsucht nach einem Nine-to-Five-Job.
FR: Klar, das gibt einem Sicherheit und Struktur. Aber mein Gefühl ist momentan eher so: Erst ganz krass arbeiten und dann wieder gar nicht. Ich hätte nur gerne eine gute Fee, die meinen Alltag strukturiert.
[Das Interview wurde von Franz Rogowski nachträglich um einige Stellen gekürzt.]
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