„In Indien weint man sehr gerne im Kino"
Interview mit Florian Gallenberger zu Schatten der Zeit
Mit seinem Diplomfilm Quiero ser gewann Florian Gallenberger den Oscar für den besten Kurzfilm. Sein Kinodebüt Schatten der Zeit erzählt eine tragische wie romantische Geschichte zweier Liebender, deren Liebe jedoch nie erfüllt wird. critic.de sprach mit dem jungen Regisseur über sein in Indien der Kolonialzeit spielendes Melodram.
critic.de: Wie wichtig ist der Oscar Gewinn Deines Diplomfilms Quiero Ser für die Entstehung von Schatten der Zeit gewesen?
Florian Gallenberger: Dass es den Film gibt, verdanke ich zu einem großen Teil dem Oscar. Es ist aber ein zweischneidiges Schwert. Zum einen öffnet das natürlich Türen, zum anderen entstehen aber auch ein ungemeiner Druck und eine Erwartungshaltung. In schlechteren Momenten lässt man sich dann auch von diesem Druck anstecken und macht sich große Sorgen. Aber ob man sich diesen Schuh auch anzieht, ist eine eigene Entscheidung. Daran kann man auch reifen. Erfolg kann man nicht intendieren, der Erfolg „erfolgt“ erst nach der Arbeit. Für mich kommt es vor allem darauf an, dass wir diesen Film in Indien gemacht haben und wie ich Zeit mit diesem Film verbracht habe und nicht nur, wie erfolgreich er im Kino läuft.
Quiero ser spielte in Mexiko. Jetzt hast Du in Indien gedreht. Wie kam es dazu?
Ich hatte ursprünglich vor, einen Film zu machen, der in Berlin spielt. Im Radio habe ich während der Arbeit an einer Filmidee ein Interview mit einem kleinen Mädchen aus einer indischen Teppichfabrik gehört. Die hatte dort als Kinderarbeiterin geschuftet und ist befreit worden. Das hat mich nicht losgelassen. Mit dem Näherrücken der Deadline für das Treatment habe ich immer mehr gemerkt, dass ich etwas abgeben muss, was ich selber gut und faszinierend finde. Zumal man ja zwei, drei Jahre mit der Arbeit an dem Film verbringt und Faszination an der Geschichte empfinden muss. Das habe ich mit dieser indischen Geschichte. Und zum Glück hat Helmut Dietl, der Produzent des Films, nicht gesagt, „Indien, du spinnst ja!“, sondern fand die Geschichte gut. So war das Projekt geboren. Helmut Dietl hat mir ja schon vor dem Oscar das Angebot gemacht, meinen nächsten Spielfilm zu produzieren. Er war sozusagen mein Mentor im Hintergrund und von seinen Möglichkeiten und seiner Erfahrung als Regisseur habe ich sehr profitieren können.
Spielt bei Deiner Arbeit mit Kinderdarstellern die eigene Erfahrung als Kinder- und Jugenddarsteller eine Rolle?
Als ich als Kind gespielt habe, gab es für mich Regisseure, die mir Angst gemacht haben. Da dachte ich immer, die passen nur auf, dass ich nichts falsch mache und wenn, dann bekomme ich sofort Ärger. Und es gab Regisseure, die habe ich gemocht, die waren wie Freunde und da hat alles Spaß gemacht. Dieser Spaß ist mir, glaube ich, in Erinnerung geblieben und war wichtig für die Arbeit mit den Kindern in Indien und auch in Mexiko. Ich arbeite mit Kindern immer so, dass sie kein Drehbuch bekommen, sondern ich erzähle die Geschichte, was das für Figuren sind und dann beginnen wir Szenen aus dem Film zu improvisieren. In der Improvisation baue ich dann Stück für Stück mit den Kindern die Handlung und die Texte zusammen, so dass sie das Gefühl haben, sie erfinden die Figur und die Situationen selber durch ihr Spiel. Das hat den unglaublichen Vorteil, dass es beim Drehen dann keine Probleme gibt.
Hast Du erst das Drehbuch geschrieben und bist dann nach Indien gereist?
Ich hatte zuerst diese Grundidee auf ungefähr acht Seiten. Mit diesem Skelett der Geschichte sind wir nach Indien gefahren. Und das war die ausschlaggebende Reise. Denn wenn die Inder gefunden hätten, der Plot wäre schlecht, hätte ich die Sache noch einmal überdenken müssen. Aber die Inder sagten alle, dass es eine vollkommen indische Geschichte sei. Es gibt auch in den indischen Göttergeschichten zwei Götterpaare, bei denen es Parallelen zu unserer Geschichte gibt. Es war sehr bestärkend zu sehen, dass die Inder sich mit ihren Emotionen in unserer Geschichte haben wieder finden können. Das Drehbuch ist dann in über eineinhalb Jahren Recherche entstanden. Wir hatten erst das Skelett und das Fleisch ist dann in Indien aus Erfahrungen und aus Begegnungen mit Personen dazugekommen.
Warum ist das eine indische Geschichte? Als Melodram funktioniert es doch überall?
Ich glaube auch. Das Grundschema der Geschichte ist, dass zwei, die früh verbunden werden und dann auseinander gerissen werden, sich erst wieder treffen, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Das ist sicherlich nicht nur indisch. Aber ich glaube, eine Liebesgeschichte, bei der zwei eigentlich zusammengehören, in der es aber Hindernisse gibt, die sie voneinander abhalten und die nicht in der Macht der beiden Menschen liegen, ist sehr indisch. Die Liebesheirat über die Kastengrenzen hinweg war früher sehr problematisch. Und es ist tief im indischen Geschichtenerzählen als Schema verwurzelt, dass die Liebe zwei Leute zusammenbringt, die aber eigentlich nicht dürfen. Damit haben sich, glaube ich, die Inder sehr gut identifizieren können. In Indien weint man sehr gerne im Kino. Selbst die Zensurbehörde in Indien hat sich von meinem Film sehr mitreißen lassen.
Was ist ein guter Film?
Ich glaube, das Erzählen hat immer mit einem Geheimnis zu tun. Es muss von etwas erzählt werden, was noch nicht entdeckt ist: wie Leben verlaufen, wie Entscheidungen fallen, wo die Schuld liegt. Solche Themen. Ein Film muss zum einen dieses Thema auf eine klassische Weise aufziehen, damit man sich darin wieder findet, er muss aber auch etwas zeigen, was man ohne den Film nicht hätte sehen können. Außerdem glaube ich, dass es eine Kommunikation zwischen dem Film und den Menschen, die den Film machen, geben muss. Als Regisseur darf man den Film nicht nur „machen“, sondern muss auf ihn hören und darauf achten, was er einem selber sagt. Und dann wiederum lebt ein Film erst, wenn er vom Publikum wahrgenommen wird. Wenn diese Kommunikation vom Film zum Filmemacher zum Publikum funktioniert und ein echter Austausch stattfindet, dann hat der Film etwas geleistet und ist ein guter Film. Das kann ein Melodram sein, das kann ein sozialkritischer Film sein. Aber dafür gibt es kein Rezept.
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