„Ich bin eine Filmaktivistin“ – Interview Céline Sciamma
Nach ihrer Coming-of-Age-Trilogie hat die französische Regisseurin und Drehbuchautorin Céline Sciamma mit Porträt einer jungen Frau in Flammen nun einen großen Historienfilm gedreht. Auf dem Filmfest Hamburg haben wir mit ihr gesprochen. Über das Schreiben, die Malerei und die Heldinnen unserer Zeit.
Olga Baruk: Céline Sciamma, ist es Ihnen wichtig sich mitzuteilen? Erklären Sie Ihr Werk gern oder ist das ein notwendiges Übel?

Das ist ein wichtiger Teil von dem, was ich tue. Ich weiß nie, woran ich als nächstes arbeite, bevor mein fertiger Film gesehen wird. Das ist eine Überzeugung. Ein Dialog, der um jeden Film herum entsteht, wie ein Film aufgenommen wird, was ich dazu gefragt werde – all das ist mir wichtig. Filme machen heißt ja, etwas in die Welt zu setzen und damit auch Nachrichten aus dieser Welt zu empfangen. Außerdem sind meine Filme politisch. Ich bin eine Filmaktivistin. Demnach ist es mir wichtig, über meine Arbeit zu sprechen. Auch wenn es manchmal sehr ermüdend ist, werde ich in dem Prozess mir selbst auch immer bewusster, was ich da eigentlich weitergebe. Das macht mich immer radikaler. Radikaler auch in meiner Sprache.
Ihre Filme als Teil des aktuellen gesellschaftlichen Diskurses zu sehen ist also durchaus eine Absicht?
Ich mache meine Filme nicht als Alibi, um Botschaften in die Welt zu setzen. Alle Filme sind politisch. Und die, die so tun, als wären sie es nicht, bilden lediglich die Welt nur so ab, wie sie ist – solche Filme sind konservativ.
Ihre Filme haben einerseits eine aktuelle, sehr reflektierte Seite, sind aber zugleich einfach und berührend wie Popsongs. Ich mag ihre klare Form, ihre Deutlichkeit und ihr geradliniges Streben. Ich spreche zum Beispiel von den häufigen coups de foudre, die so unterschiedliche Werke wie Water Lilies und Mein Leben als Zucchini gemeinsam haben. Ich denke da auch an die Szene in Mit siebzehn, als bei den Hausaufgaben Begehren studiert und offen ausbuchstabiert wird, oder auch an Vivaldis Sommer aus Vier Jahreszeiten in Ihrem neuen Film. Ist das etwas, was Sie an Kunst besonders schätzen?
Ich stelle mir meine Filme als Pfeile vor, die man langsam, sehr langsam in die Herzen der Zuschauenden bohrt. Das ist also die Geradlinigkeit. Und das heißt für mich auch, radikal zu sein. Bei Radikalität geht es nicht um kalte, reine Ideen, sondern darum, etwas Bestimmtes im Sinn zu haben, sich auch zu fragen, zu wem man da eigentlich spricht. Was für eine Kultur man erschafft.
Erzählen Sie bitte ein wenig davon, wie Sie als Drehbuchautorin arbeiten. Wie sieht Ihr Schreibprozess aus?

Bevor ich mit dem Schreiben beginne, lasse ich mir gern viel Zeit zum Nachdenken. Bei Porträt einer jungen Frau in Flammen waren es drei Jahre. Ab und an mache ich mir Notizen, speichere Ideen ab, lasse Gedanken in meinem Kopf hin und her rollen, bis einige davon zueinander finden. Wenn ich mit diesem Teil fertig bin, schreibe ich kein Treatment, sondern direkt scène à scène – alle Szenen des Films, zusammengefasst in wenigen Sätzen. Das nimmt etwa einen Monat intensiver Arbeit in Anspruch. Wenn ich mit dem Ergebnis zufrieden bin, lege ich direkt mit dem Drehbuch los. Dafür brauche ich zwei bis drei Monate. Ich schreibe also sehr schnell. Die meiste Zeit fließt, wie gesagt, ins Nachdenken vor dem eigentlichen Schreiben, um eigene Vorstellungen und Wünsche zu befragen. Da bin ich streng mit mir selbst.
Die Recherche für Porträt einer jungen Frau in Flammen war sicher umfassend.
Das stimmt. Zudem habe ich bei der Recherche zum Film herausgefunden, wie lebendig die weibliche künstlerische Szene in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war. Es gab hunderte von Malerinnen! Ein reicher Grundstoff, in den ich mich mit viel Begeisterung hineingestürzt habe.
Bevor Sie auf diese Tatsache gestoßen sind, existierte also bereits eine Idee für den Film?
Ja, die ursprüngliche Idee war eine Liebesgeschichte als ein kreativer Dialog zwischen einer Malerin und einem Modell. Ich wollte nicht über die zeitgenössische Malerei sprechen, sondern über die Kunst des Porträts. Das erschien mir für heutige Verhältnisse besonders relevant. Ich wollte es auch vermeiden, das Kino direkt zu thematisieren, wollte kein Filmset zeigen. Das 18. Jahrhundert war die Zeit der Aufklärung, eine bahnbrechende Periode in der politischen und geistigen Geschichte Europas. Die Kunst des Porträts war damals sehr in Mode. Man philosophierte darüber, was erstrebenswerter sei: eine möglichst hohe Ähnlichkeit zu dem oder der Porträtierten oder eine bessere Version? Mit diesen Fragen wollte ich spielen. Zu erfahren, dass es viele weibliche Malerinnen zu der Zeit tatsächlich gegeben hat, war sehr bewegend, aber auch bitter, weil sie alle aus der Kunstgeschichtsschreibung so gut wie verschwunden sind. Ihre Bilder haben in meinem Leben bisher ganz einfach gefehlt! Mein Film sollte in der Vergangenheit spielen, weil diese so noch nicht erzählt wurde.
Interessant, dass Sie ein Potenzial für Stärke ausgerechnet dort gefunden haben, wo das Frauenbild in der kollektiven Vorstellung von extremer Fragilität geprägt ist. Das 18. Jahrhundert – das sieht man in Porträt einer jungen Frau in Flammen auch – ist die Zeit der tiefen Dekolletees und Korsetts, des Eingeschnürt-Sein in der eigenen Weiblichkeit. Und auch die große Zeit der Romanlektüre, die Begehren und Wünsche weckte.

In einer unterdrückenden Gesellschaft hat man natürlich trotzdem Wünsche. Weil es ihnen nicht möglich war, Kunst zu machen, haben Frauen ihre Intimität jedoch sehr lange nicht vermitteln dürfen. Wir Frauen sind einsam, einsam mit unseren Körpern, unserem Begehren und unserem politischen Willen, weil uns das Wissen über unsere Geschichte fehlt. Frauen zu isolieren war schon immer Teil des patriarchalen Masterplans. Entschuldigung, jetzt fange ich an, über das Patriarchat zu dozieren! Aber im Ernst, in Porträt einer jungen Frau in Flammen gibt es keine Anachronismen. Ich bin davon überzeugt, dass alles, was ich erzähle, auch stattgefunden hat. Kino ist ein Ort, wo man Intimität teilen kann. Und die Intimität der Frauen zu teilen heißt, sie unter sich zu zeigen. Darum haben wir Männer im Off gelassen. Sonst hätte es eine Geschichte über Unterdrückung werden müssen.
Porträt einer jungen Frau in Flammen ist eine Liebesgeschichte, in der auch Solidarität und Gleichheit eine große Rolle spielen. Héloïse, Marianne sowie alle anderen Figuren in diesem Film wirken ausgesprochen heutig. Was macht für Sie eine moderne Heldin aus? Wer sind Ihrer Meinung nach die Heldinnen unserer Zeit?
Heldinnen unser Zeit, die kennen wir doch. Greta Thunberg, Carola Rackete, Alexandria Ocasio-Cortez. Nur Frauen machen heute wirklich Politik. Es geht um Widerstand. Um eine starke Figur zu sein, muss man leider jede Menge Verachtung und Feindseligkeit in Kauf nehmen. In der französischen Presse wird Greta Thunberg mit extremen Anfeindungen konfrontiert, obwohl sie noch ein Kind ist! Das Niveau dieser Debatte ist völlig unverhältnismäßig. Das ist meiner Meinung nach eine Herausforderung, der nur weibliche Heldinnen Stand halten müssen. Große Helden, so kennen wir es doch aus Filmen und Büchern, brauchen immer starke Widersacher. Das Paradigma der weiblichen Heldinnen scheint im Gegenteil darin zu bestehen, dass sie keine Gegner haben, die mit ihnen mithalten können.
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