Henry Fondas lange Beine - Interview mit Alexander Horwath

Die Ideale der Demokratie in Henry Fondas scheuer Körpersprache vs. Trumps „Räuberbarone“. Lukas Foerster spricht mit dem österreichischen Regisseur und Filmhistoriker Alexander Horwath über seinen Film-Essay Henry Fonda for President.

Lukas Foerster: Ich beginne mit dem Hannah-Arendt-Zitat, das fast ganz am Anfang des Films steht: “Das Subjekt legt in der Tat ein objektives Werk der Öffentlichkeit vor und gibt es ihr Preis. Das Subjektive hieran, etwa der Arbeitsprozess, in dem das Werk hergestellt wurde, geht die Öffentlichkeit nichts an. Ist dieses Werk nun aber nicht nur akademisch, sondern das Resultat eines tätigen und erlittenen Lebens, so erscheint mit ihm ein lebendiges Handeln und Sprechen, dessen Träger die Person selbst ist. Was hier erscheint, ist dem, der es zeigt, unbekannt.” Das ist ja eine präzise Zusammenfassung der Poetologie Fondas, wenn man so will, wie sie im Film erscheint. Und auf den ersten Blick könnte man meinen, es gehe dem Film darum, diese Lücke in der Selbstreflexion Fondas zu schließen, also zum Beispiel die Arbeit, die in Fondas Kinofigur steckt, offen zu legen. Aber ich glaube, letztlich geht es darum gerade nicht, oder sehe ich das falsch?

Alexander: Horwath: Wir haben das Zitat an den Anfang gestellt, weil es eine abstrakte Vorgabe ist. Das erfasst man nicht so auf Anhieb. Es sollte schon die Person charakterisieren, bevor wir irgendetwas über Fonda erfahren. Sie spricht da ja über Karl Jaspers, das ist also auf ein anderes Ziel gerichtet. Das Zitat an dieser Stelle war auch strittig zwischen uns dreien, also Michael Palm, Regina Schlagnitweit und mir. Das ist ja schon ein Brett, mit Hannah Arendt so einzusteigen. Man bekommt vielleicht, das war das Ziel, ein Gespür dafür, dass es Menschen gibt, die über eine, wie es später im Film heißt, Autorenschaft verfügen, die ihnen selber nicht vollständig bewusst ist. In diesem Sinne ist es eine Ansage, die der Film bis zu einem gewissen Grad hofft, einlösen zu können, im Blick auf die Art, wie Fonda etwas über dieses Land und auch über einen bestimmten Männertyp sichtbar gemacht hat, ohne dass er glaubt, dass er irgendetwas zu sagen hat. Ich hoffe, dass sich im Laufe des Films jemand zeigt, der nicht nur skeptisch sich selbst gegenüber ist, sondern richtiggehend abwehrend wird, wenn man ihm bestimmte Dinge zuschreibt. Er sei der typische Amerikaner oder jemand, der eine bestimmte Sicht auf die Welt hat. Das hat er in einer Weise zurückgewiesen, die für mich erstaunlich ist.

Man kennt das sonst von Regisseuren des klassischen Hollywood, wenn man etwa Peter Bogdanovichs Film über Ford sieht, aber da ist die Koketterie deutlicher. Bei Fonda ist es nicht unbedingt eine Koketterie, wenn er so redet.

Die Reflexion kollektiver Geschichte in einem einzelnen Körper

Wenn Du mit der Hannah-Arendt-Frage einsteigst, denke ich gleich an das Ende, die letzten Sätze, wenn Fonda sagt, dass er sich immer noch nicht mag. Er hat sich nie gemocht, er ist froh, dass er in der einen Sache, die er seiner Meinung nach doch beherrscht, das Schauspielen, dass er da von sich selbst absehen konnte und alle diese interessanten, spannenden, tollen Leute spielen durfte. Dass das etwas ist wie eine Therapie für seine eigene, ich will nicht sagen Ich-Schwäche, aber für seinen sehr kritischen Blick auf sich selbst. Aber er sagt, er habe keine guten Antworten auf irgendwas, so endet der Film. Und die drei Stunden des Films sind unter anderem ein Versuch zu demonstrieren, dass er sehr wohl Antworten hatte, aber nicht in der Art, wie ein traditioneller Intellektueller meint, Antworten zu haben. Sondern er war eine Art Performer-Philosoph - ein Wort, das ich vorher noch nie gebraucht habe, es ist vielleicht auch übertrieben, aber ich bin ein bisschen bestärkt worden darin, dass sein Biograph Howard Teichmann ihn nach seinem Tod einen closet intellectual genannt hat, das fand ich eine sehr spannende und gute Formulierung. Closet in dem Sinn, dass er sich das selbst nicht eingestehen oder nach außen hin, in seinen öffentlichen Äußerungen, nicht so erscheinen wollte. Für all das ist das Arendt-Zitat eine Vorlage, das werfe ich so hin, nicht wissend, wie viel davon das Publikum so ganz am Anfang des Films mitnehmen wird.

Mein Eindruck war, dass der Film das Arendt-Zitat letztlich historisiert. Also dass es als Beschreibung einer bestimmten Form von Verkörperung im Sinne einer Reflexion kollektiver Geschichte in einem einzelnen Körper wirkt, die im Kino für eine gewisse Zeit möglich war und die in Henry Fonda besonders eindrücklich funktioniert; die aber, vermutlich nicht erst seit Ronald Reagan, in eine Krise geraten ist.

Da würde ich absolut zustimmen. Sie spricht sicher auch einen Typus an, der einer bestimmten Zeit angehört. Mir ist, als wir den Film gemacht haben und auch in den Gesprächen danach, immer deutlicher geworden, dass im 20. Jahrhundert bzw. der Periode, in der Fonda tätig war, 1930 bis 1980 ungefähr, das Kino in der klassischen Ausdrucksform, die Fonda gewählt hat, eine dominante Rolle gespielt hat. Im öffentlichen Diskurs und im Verhältnis zu gesellschaftlichen und politischen Bewegungen. Diese Rolle hat es seither einfach nicht mehr. Reagan war, wenn man so will, die letzte Verwirklichung dieses Zusammenhangs. Da ist wirklich noch ein Hollywood-Schauspieler in diese politische Rolle geraten, und das ist genau die Zeit, mit der der Film endet.

Henry Fonda und James Stewart als demokratisches Modell

Die einen wünschen sich einen wie Fonda als Präsident nach diesen ganzen Nixons und Vietnams und Watergate-Desastern und die anderen eben den Reagan. Aber damit endet diese Rolle des Kinos. Damit endet auch ein bestimmter Habitus oder eine Verkörperung einer Weltsicht in einzelnen Figuren, die das amerikanische Publikum über längere Zeit hinweg begleiten. Mir gefällt das an Arendts Sätzen, dass sie sagt: “(…) nicht nur akademisch, sondern das Resultat eines tätigen und erlittenen Lebens”. Die Autorenschaft kommt aus etwas Anderem als dem strategischen Reden. Was da spricht, ist etwas anderes als die Worte. Zumindest kommt noch viel hinzu, bei jemandem wie Habermas oder Jaspers oder Böll sind natürlich die Worte zentral, aber es kommt noch etwas anderes hinzu. Arendt selbst ist ja ein gutes Beispiel, zum Beispiel dieses bekannte Fernsehgespräch mit Günter Gaus Anfang der 1960er Jahre, da kommt sie mir genau so vor, sie wird selbst zu einer Spur, einem Dokument, einem Archiv. Um diesen Typus des öffentlichen Intellektuellen geht es.

Was ich mir dann denke: Was, wenn öffentliche Intellektuelle nicht nur Philosophen, Journalisten, Schriftsteller sein können, also nicht nur Menschen, die in diesen stark schriftkulturell geprägten Berufen arbeiten. Was wäre, wenn auch Menschen, die sich in Künsten ausdrücken, ähnliches leisten. Es geht mir aber nicht primär darum, auch wenn man das jetzt vielleicht glauben könnte, dem Kino einen höheren kulturellen Stellenwert zuzuweisen.

Und das ist jetzt vorbei.

Um etwas Aktuelles aufzugreifen: Wenn Trump vom Golden Age spricht, das anbrechen wird, muss ich an das Gilded Age und die „Räuberbarone“ Ende des 19. Jahrhunderts denken. Ich will nicht sagen, dass das dasselbe ist, die Geschichte wiederholt sich nicht eins zu eins, aber es gibt diesen Erinnerungsflash. Was wäre, wenn dieses Amerika des mittleren 20. Jahrhunderts eine Anomalie darstellt, als eine Zeit, in der Figuren wie Fonda und Franklin D. Roosevelt und Adlai Stevenson, den Fonda ja mehr als alle anderen Politiker geschätzt hatte, in der Öffentlichkeit präsent waren. Trotz der McCarthy-Geschichte und vielem anderen. Eine Anomalie, weil in einer gewissen Offenheit die Konflikte angesprochen und ausgehandelt wurden, die zwischen den Idealen des Kapitalismus und den Idealen der Demokratie existieren. Diese Konflikte sind nicht ausradierbar, die Notwendigkeit, das auszuhandeln, besteht einfach. Und damals wurde es offener und weniger feindselig als heute ausgehandelt.

Natürlich gab es links und rechts radikale Kräfte, in den 1930er Jahren sogar besonders, aber die Freundschaft zwischen Fonda und James Stewart ist sozusagen mehr als nur anekdotisch: ein dyed in the wool Republican und ein dyed in the wool Democrat konnten in einer zivilen Weise die Fragestellungen aushandeln, die auf dem Tisch lagen. Trump und seine neuen „Räuberbarone“ jagen mir natürlich einen Schauer über den Rücken. Ich will nicht sagen, dass das Zeitalter der Barbarei wieder begonnen hat, aber wenn das jetzt länger andauert, was gut möglich ist angesichts der veränderten Kommunikationsstrukturen, der Medienformen und der Arten, wie man jetzt politische Fragen angeht... Diese offensichtliche Primitivität, diese barbarische Energie …

Die Kunst, eine Szene zu betreten, indem man aus ihr hinausgleitet

Es gibt nach einer knappen halben Stunde im Film eine Passage, in der gezeigt wird, wie der Kino-Fonda zu seiner typischen Körperlichkeit findet. Vor allem um Sitzen, Gehen und Tanzen geht es da. Für mich hat sich diese Szene erst deutlich später im Film erschlossen. Man kann sich ja fragen: Was genau muss Fonda da über seinen eigenen Körper lernen? Im Film folgt die Antwort, glaube ich, wenn es um Fondas Herkunftsfamilie in Nebraska geht. Das Steife und Strenge, das auch mit einer bestimmten Form von Religiosität zu tun hat, gerade auch Grant Woods “American Gothic”, davon muss er wegkommen, und John Ford zeigt ihm, wie das gehen kann. Aber seine Genialität liegt dann vermutlich gerade darin, dass er gleichzeitig davon wegkommt und nicht davon wegkommt, oder sehe ich das falsch?

Ich würde sagen, dass es im Film drei Momente gibt, in denen das Schauspiel zentral wird. Das erste Mal relativ zu Beginn, wenn es darum geht, seine Augen manchmal zu verdecken. Also das Abgeschattete, das Nach-innen-Spielen, das zu direkt gezeigte Gefühle tendenziell vermeidet. Wie er dann entweder in den Schatten tritt oder, wie in Fail-Safe besonders deutlich, diese Geste mit den Händen vorm Gesicht macht. Das ist schon eine Frage der schauspielerischen Technik.

Zum zweiten Mal kommt das bei John Ford und Young Mr. Lincoln vor, was du angesprochen hast. Ich glaube, dass Ford ihm ein entscheidender Partner war und deswegen ist Ford mit deutlichem Abstand der Regisseur, der im Film am meisten genannt wird. Mit Ford hat Fonda eine Sicherheit entwickelt, die er vorher nicht hatte. Da kommt plötzlich etwas Neues dazu. Nicht nur dieses Interesse für historische Figuren, sondern auch der Umgang mit den langen Beinen, dem ganzen Körper. An Young Mr. Lincoln kann man das wirklich zeigen. Manny Farber hat später geschrieben, wenn Fonda eine Szene betritt, wirkt es so, als würde er sich aus der Szene zurückziehen. Also er betritt einen Raum, macht aber den Eindruck, er gleite schon wieder hinaus. Das hat mit seinem Verhältnis zu seinem Körper zu tun und mit diesen langen Beinen.

Und das dritte, da geht es gar nicht ums Schauspiel, aber das passt trotzdem in die Reihe, das ist das Bild aus Harper’s Bazaar, wo er waagerecht liegt, und hinter ihm sitzt Jane als 10-Jährige und ist so aufrecht und schaut ernst in die Fotokamera, und das überblendet der Film dann mit Fonda als 13-Jährigem, ich verwende da den Ausdruck der „kerzengeraden Kindheit“. Daneben sieht man seinen Vater und sogar seinen Großvater, und die stehen alle so da. Das hat mich ermutigt, dieses Grant-Wood-Bild zu verwenden, das ja oft für so einen Mid-Westerner-Typus stehen soll. Das ist nicht das, was er später schauspielerisch gelernt und entwickelt hat, aber da kommt er her und es bleibt ihm bis zum Schluss, darum ist in dieser Passage dann auch On Golden Pond zu sehen.

"Ah, a lot of pain, nothing to worry about”

Er spricht ja ganz offen von dieser Christian-Science-Erziehung, wo es darum ging, dass man nicht zum Doktor geht, wenn man krank ist. Dass man beten soll und dass der Glaube und das Gebet einen heilen werden. Mit diesen Konzepten und Vorstellungen ist er aufgewachsen. Er hat sich zwar dann sehr weit davon entfernt und sich als Agnostiker verstanden, aber sein Sohn und seine Tochter schreiben in ihren Autobiographien beide, dass sich das trotzdem in der Erziehung ausgewirkt hat. Wenn Peter zu jammern begonnen hat oder sich verletzt hat, oder auch Jane, dann hat er immer gesagt: Jammern, das geht nicht. Nicht weil er so ein tough guy ist, sondern weil er gelernt hat, dass man nicht wegen jedem Schmerz gleich zum Doktor muss. Eben das kommt dann in On Golden Pond vor, wenn Jane ihren Vater, ihren fiktionalen und ihren tatsächlichen, fragt, ob er sich da am Kopf verletzt hat. Und er sagt: "Ah, a lot of pain, nothing to worry about”. Das zieht sich durch, zwischen der kerzengeraden Kindheit und dem letzten Film.

In der Verlagerung des Ausdrucks vom Gesicht, das verschattet bleibt, in die Beine, die sich, beim Versuch, vom kerzengeraden Strammstehen abzuweichen, selbst exponieren, steckt ja jede Menge komisches Potential. Das aber, wie im Film auch angedeutet wird, in Fondas Filmen nicht wirklich oft voll ausgenutzt wurde. Ich habe auch den Eindruck, dass er den letzten Schritt zum Slapstick nicht gehen kann. Hast Du eine Idee, woran das liegt?

Er sagt ja, dass er Comedy geliebt hat, zumindest, wenn die Konstellation gestimmt hat, mit der richtigen Darstellerin als Partnerin und dem richtigen Regisseur. Es ist deutlich, dass er Preston Sturges unendlich verehrt hat und dass er gerne solche Rollen spielte. Aber man muss bedenken, dass er im Kino der A-Liga unterwegs war. Es gab weiterhin Slapstick-Formen im amerikanischen Kino dieser Epoche, aber in den Gattungen, in denen er tätig war, war das nicht so verbreitet.

Wo ist die Männlichkeit? Sogar der Pinguin kämpft um seine Frau

Cary Grant war vielleicht eine gewisse Ausnahme, der war auch ein A-List-Star und hat den Slapstick etwas stärker bedient. Man könnte eine Geschichte über queere amerikanische Männerbilder mit Grant erzählen. Das hat sich Fonda tatsächlich kaum gestattet... Andererseits zeigen die vielen pratfalls in The Lady Eve, die wir bewusst als Serie montiert haben, dass er das schon auch genossen hat, denke ich. Bei Cary Grant wirken diese pratfalls eleganter, und auch wenn Grant in ein überdrehtes Register wechselt, wie in Bringing up Baby, dann ist das etwas anderes... Als Nebenbemerkung: Mich fragen immer wieder Leute, ist George Clooney die heutige Version von Fonda? Und ich sage immer, nein, Clooney mit seinem smirk und seinem Flirtismus, seiner Selbstironie, das ist nicht Fonda. Clooney hat mehr mit Cary Grant zu tun. Fondas Register ist reduzierter, minimalistischer, darum fällt es auch auf, wenn er in The Lady Eve so oft hinfällt. Ich glaube, dass es ihm gar nicht schlecht getan hätte, wenn er das öfter gemacht hätte. Aber es gibt gar nicht so wenige Komödien mit ihm, die sind halt nicht so berühmt oder kanonisch geworden.

In The Male Animal gibt es zum Beispiel eine Szene, die wir nicht reingenommen haben, da hätte man das gesehen. Da hat er eine Szene mit einem männlichen Nebendarsteller, in der sie vollkommen besoffen sind. In einem zwölfminütigen Monolog spielt er dann alle Tiere und deren „Eheleben“ durch, was macht der Seelöwe, was macht der Tiger, was macht der Pinguin? Sogar der Pinguin, merkt er da, kämpft um seine Frau. Und Fonda versucht, im volltrunkenen Zustand herauszufinden, was er jetzt tun muss, damit er seine Ehefrau, die ihm verloren zu gehen droht, wieder für sich gewinnen kann. Das war ein mögliches Material für den Film, aber es war dann, wie vieles andere, zu viel. Da wagt er sich relativ weit aus seiner kerzengeraden Ernsthaftigkeit hinaus. Ich hab das Gefühl, er kann das schon.

Ein kurze Passage aus The Male Animal ist im Film, da kommt er nach Hause, ist auch schon ein bisschen beschwipst und legt eine Schallplatte auf. Er macht zuerst eine Tanzbewegung, als würde er die Frau umfassen mit seinem rechten Arm, dann hat er ein Glas in der Hand und trinkt, und aus dieser Bewegung kommt er dann zu einer Muskelmann-Geste. Wo ist die Männlichkeit genau? Er sucht selber, diese Unsicherheit hat produktive Folgen in seinem Spiel. Man wird natürlich nie sagen können, ob das von der Regie oder von ihm selber kam, ist ja auch egal – es wird zu einem Experimentierfeld für Männlichkeiten.

Die Nebraska-Härte. Henry, Jane und Peter in Zeiten flüssigerer Identitäten

Interessant finde ich ja, damit springe ich im Film weit nach vorne, dass sowohl Peter als auch Jane zwar offensichtlich viel von Fondas Körperlichkeit geerbt haben, aber doch ganz andere Kino-Körper geworden sind. Es ist offensichtlich, dass sie sich von der Nebraska-Härte, die sie selbst in ihrer Kindheit noch miterlebt haben, viel stärker distanzieren, als Henry das tut. Aber gleichzeitig macht sie das, zumindest ist das mein Eindruck, nicht zu nahbareren Körpern. Ganz im Gegenteil gibt es besonders bei Peter, das ist mir vor kurzem in Roger Cormans The Wild Angels aufgefallen, eine Stilisierung, die es bei Henry nie gibt.

Weil er einfach der weniger subtile Darsteller ist, würde ich sagen. Körperlich gibt es durchaus Verwandtschaft, und ich mochte ihn immer, aber er hatte nicht annähernd diese Bandbreite und diese Tiefe als Schauspieler. Bei Jane ist das etwas anders. Ursprünglich habe ich im Text von Omaha morality und California morality gesprochen, jetzt ist die Formulierung etwas anders, aber das kommt in On Golden Pond deutlich heraus. Natürlich sind die zwei Kinder dieses Midwesterners und wurden dadurch stark geprägt, aber sie gehören auch einer anderen Generation an und sind in Kalifornien aufgewachsen. Das sind die 1950er, 60er mit dieser Wendung zur Innerlichkeit, mit allen möglichen Facetten der Gegenkultur. Also das Gegenteil dieses Sich-am-Riemen-Reißens – man lässt los, man gibt sich hin. Das ist nicht nur der Summer of love, es hat viele Facetten, die Beat-Kultur, auch das Interesse an der Psychoanalyse, das Henry überhaupt nicht hatte. Er sagte ja, meine Tochter geht zur Psychoanalyse, ich brauche das nicht. Auch das Method-Acting war ihm recht fremd… Obwohl er ja in Wahrheit auch mit biografischem Material gearbeitet hat, mit seinem „Inneren“, aber eben nicht nach den Regeln der Strasberg-Schule.

Es ist auch kein Zufall, dass die 1970er dann als die Me decade gelten, das ist eine Folge dieser flüssiger gewordenen Identitäten, und das meine ich mit California morality. Das sieht man eben besonders in der Szene in On Golden Pond, wenn er die Hand vor die Augen schlägt, damit Jane nicht sieht, dass ihm die Tränen kommen – und sie greift dann an seinen Arm. Das hätte er umgekehrt nie gemacht, aber sie berührt seinen Arm. Da treffen diese verschiedenen Typologien aufeinander. Auch die fast einminütige Szene in unserem Film, wenn Peter einen Hügel hinaufgeht und sagt: “For the people in the studios, the guy next door is still my father”, aber er will selbst der guy next door für 1968 sein. Das war noch bevor Easy Rider ins Kino kam. Die Konflikte, die sich da abspielen, sind nicht direkt im Politischen zu suchen. Linke waren sie alle, natürlich ist dem Vater die Neue Linke der späten 1960er fremd gewesen – und umgekehrt. Aber das waren oft eher Habitus-Fragen. Mit wem verkehrt man, mit wem hängt man ab. Als Jane einmal, nachdem sie sich von Roger Vadim getrennt hatte, eine Weile wieder bei ihrem Vater lebte, brachte sie unter anderem die Black Panthers und Angela Davis mit nach Hause. Ich glaube nicht, dass Fonda der politische Kern dessen, was Angela Davis erzählt, so besonders gestört hat, sondern eher dieser Radikalinski-Gestus, diese Rhetorik, das Militante.

Der verschattete Blick

Die Hand vorm Gesicht, das ist mir erst beim zweiten Sehen aufgefallen, ist ja eine sehr ambivalente Geste bei Fonda. In Fail-Safe drückt sie Selbstzweifel und Reflexivität aus, einen verschatteten Blick in die Zukunft, der der Situation angemessen ist. In On Golden Pond dagegen, in der Szene am Ende mit seiner Tochter, ist es eine rein passive, fast schon passiv-aggressive Geste der Kommunikationsverweigerung. Im Voice-over kontrastierst Du dann, wie Du eben beschrieben hast, Jane Fondas kalifornische Sensibilität mit der Nebraska-Moral ihres Vaters. Die Frage wäre dann für mich, wie und ob das beides zusammenhängt, also die sehr gerechtfertigte Skepsis und die nicht zu rechtfertigende Verschlossenheit.

Ich denke, das ist einfach Teil seines Bestecks als Schauspieler. In On Golden Pond mag es schon mehr in die Richtung gehen: Ich will gar nicht, dass du siehst, dass das eine emotionale Wirkung hat, wenn du mit mir über das Vater-Tochter-Verhältnis redest. Das ist anders als in Fail-Safe, aber es ist trotzdem das Instrumentarium, über das er verfügt und das er für verschiedene Zwecke einsetzen kann. In beiden Fällen soll es wahrscheinlich helfen, Eitelkeit zu vermeiden. Das ist jetzt wirklich sehr spekulativ, aber ich glaube, dass Fonda gewusst hat, dass er über eine bestimmte Virtuosität verfügt. Der größte Horror war für ihn, dass man sehen kann, wie er seine Virtuosität ausspielt.

Er schwärmt zwar von Robert De Niro und Al Pacino und Robert Duvall, das sind für ihn Künstler. Von sich selbst sagt er, ich bin kein Künstler. Es ist also nicht so, dass er gegen Method-Acting wäre, auch Brando hat er geschätzt, aber für sich hat er sehr früh entschieden, dass er diese traditionellen Weisen, sich als Schauspieler zu gerieren, vermeiden muss. Diese „Shakespearean Actor“-Existenz. Es gibt bestimmte Techniken und Gesten, mit denen er alles Demonstrative runterdrücken wollte. Eben dieses nach innen Gerichtete, wenn er in Young Mr. Lincoln dasitzt und sagt, ich habe einmal eine Frau geliebt, die hat so ausgeschaut wie du, aber die ist auch tot. Er hat die Erwartungen, die mit dem Star-Beruf einhergehen, schon irgendwie erfüllt – in Talkshows gehen und bestimmte öffentliche Auftritte machen. Da hat er mitgespielt, so gut er konnte, aber überall dort, wo es vermeidbar war, etwas von sich selbst offen zu legen, hat er es vermieden.

Darum auch diese Weißclown-Geschichte, wenn er mit seiner Frau zu William Randolph Hearsts Party geht, vollständig geschminkt und nicht als Henry Fonda erkennbar. Dieses Verschwindenwollen war ihm, glaube ich, als Person wichtig, und er hat es bis zu einem gewissen Grad ins Schauspielerische übersetzen können.

Grapes of Wrath

Die lange Passage zu The Grapes of Wrath ist ja ein bisschen das Centerpiece des Films, sie steht ziemlich genau in der Mitte. Es ist glaube ich auch diejenige Szene, in der Deine und Michael Palms Bild-Ton-Montage die prägnantesten Verbindungen ziehen zwischen der durch Hollywood gefilterten Geschichte und der Gegenwart, gerade in dieser längeren Road-Movie-artigen Passage. Wie kam es zu der Entscheidung, The Grapes of Wrath ins Zentrum zu rücken, und nicht so sehr, oder jedenfalls nicht ganz so sehr, den Zweiten Weltkrieg, der ja direkt danach thematisiert wird?

Wobei das 1945-Kapitel auch nicht eines der kürzeren ist. Das sind oft praktische Dinge, die mit Fragen der Darstellbarkeit zu tun haben. Wir haben das Glück, dass es nicht nur die Verfilmung des Steinbeck-Romans gibt, in der Fonda die Hauptrolle spielt, sondern dass er außerdem eine Schallplatte aufgenommen hat, auf der er selbst aus dem Roman liest. Das hört man in dieser Passage am meisten: Fonda, der Steinbeck liest. Hinzu kommt, dass die Reise der Familie Joad über so eine weite Strecke vom Mittleren Westen nach Kalifornien auch visuell einiges hergibt. Es hat uns gereizt, diesen Weg nachzuvollziehen. Also sind wir schlichtweg beim Dreh ein paar Tage lang auf der Route 66 gefahren.

Wir hatten Elemente, bei denen wir schon beim Drehen dachten, das wird spannend und schön. Und wir hatten auch Orte aufgesucht, die bei Steinbeck vorkommen. Dann dieser berühmte Moment, auch in der Verfilmung, wenn sie auf diese Anhöhe nach der Mojave-Wüste fahren. Da sind wir auf einem Pass im Gebirge und schauen runter ins Central Valley. Da sind diese Plantagen und Orangenhaine, es ist grün und satt. Das hat sich auch für uns so dargestellt auf unserer Reise.

Das heißt, die Konstellation der Elemente war einfach günstig. Aber der Hauptgrund war trotzdem der Film. Er hat ja in der Filmgeschichtsschreibung und in der Kritik eine gewisse Wellenbewegung durchlaufen. Es gab eine Zeit, als man gesagt hat, das ist bloß ein humanistisches message movie, aber schon Andrew Sarris hat dem in den 1970er Jahren widersprochen und gesagt, das ist eine Anomalie im amerikanischen Kino. Oder auch Brecht in seinen Tagebüchern, er geht mit seinen Freunden in New York ins Kino und schaut sich The Grapes of Wrath an und ist erstaunt, dass so etwas aus Hollywood kommt. Ich glaube schon, dass man bis heute sagen kann, dass das ein spezieller Film ist in dem, was er in diesem politisch so angespannten Moment der späten 1930er Jahre erzählt. Das hat eine Kraft und eine Deutlichkeit, wie Fragen der Demokratie und der Migration und so weiter angesprochen werden, auch als Echo für die heutige Zeit.

Aber es hat eben auch pragmatische Gründe, man kann es sehr gut und sehr flüssig erzählen, denke ich. Vieles war intuitiv, wir wollten den Joads einfach nachfahren. Wir wussten, dass wir am Schluss im Weedpatch Camp landen werden, weil Regina organisiert hatte, dass wir in den noch existierenden Holzhäusern aus den 1930er Jahren filmen konnten. Sharon Garrison, die in dem Camp geboren ist, zeigte uns die Räume – obwohl es die Corona-Zeit und das historische Camp geschlossen war. Sie ist jetzt über 80, kam aber mit ihrer Tochter und mit ihrem Gehstock und nahm sich sehr viel Zeit für uns.

Das ist ja der Ort, an dem die Okies schließlich landeten und wo die Roosevelt-Regierung endlich begonnen hatte, öffentlich geführte Camps, die nicht auf Ausbeutung basierten, für die Erntearbeiter zu bauen. Wir wollten im Film zeigen, dass es diese Camps immer noch gibt, dass sie immer noch in öffentlicher Hand sind und dass es eben keine Leute aus Oklahoma mehr sind, sondern hauptsächlich Mexikaner oder Lateinamerikaner, die dieselbe Art von Arbeit machen für die Plantagenbesitzer, unter faireren Bedingungen. Darum kommen auch César Chávez und Dolores Huerta vor, die das Konfliktfeld der Erntearbeit in den 60er und 70er Jahren beackerten. Diese Arbeiter sind immer noch in verschiedenen rechtlichen Fragen anderen Arbeitern nicht gleichgestellt. Das kennt man ja auch aus Europa gut, die rumänischen Erntehelfer und deren Ausbeutung. Es gab also ein paar Gründe, um dem einen relativ zentralen Platz zu geben.

Interessant ist The Grapes of Wrath natürlich auch, weil es ein Kalifornien-Film ist und weil Dein Film auf den Spuren Fondas ebenfalls kalifornischen Boden betritt. Aber es ist eben das ländliche Kalifornien der Orangenplantagen, was eine, vielleicht die zentrale Leerstelle des Films deutlich macht: Hollywood, als physischer Ort, an dem Filme entstehen. Du filmst an Orten, die für die Filme wichtig sind, und auch an Orten, die für Fondas Familie wichtig sind, aber der Ort, an dem die Filme entstehen, ist zwar nicht ganz abwesend; er kommt aber nur in Material aus zweiter Hand vor, in den Szenen der Oscarverleihung zum Beispiel. Für mich ist das eine Art Geste der Komplizenschaft mit Fonda und seinen Filmen, insofern als die Illusion beim Wort genommen wird. Das heißt, Du filmst Tombstone, aber nicht das Monument Valley, die Movie Ranch und das Fox-Studio, also die Orte, an denen My Darling Clementine tatsächlich entstanden ist. Vielleicht kannst Du etwas dazu sagen, wie es dazu gekommen ist.

All come to look for America

Hollywood als der Ort, an dem diese Fiktionen erzeugt wurden, hat mich tatsächlich deutlich weniger interessiert, auch weil man dieses Hollywood jetzt nicht mehr filmen kann. Es kommt vor, wenn Fonda und John Ford 1971 auf dem Dach der 20th Century Fox einander wiederbegegnen, um sich schauen und sagen, ah dort, kannst Du Dich erinnern, dort bist Du entlang gegangen, das ist ein sehr bewegender Moment.

Da kommt Hollywood als Ort der Produktion schon vor, aber jetzt in Hollywood zu drehen – ich wüsste nicht, wie. Hollywood war auch für Fonda kein relevanter Ort, er lebte zwar am Ende in den Hügeln über Los Angeles, aber über weite Strecken war New York sein Zentrum, auch in den 1960ern, in der Zeit von The Best Man und Fail-Safe. Er war viel mehr am Theater interessiert, deshalb war es logischer und wichtiger, den Ort seiner Theaterarbeit zumindest in irgendeiner Weise einzufangen, daher der Times Square und Broadway mit diesen Straßenperformern und Kleindarstellern, die ich von sehr vielen New-York-Besuchen kenne. Immer wieder sehe ich die und denke mir, irgendwas treibt die an, die wollen entdeckt werden, es ist egal, wann man dort ist, am Abend treiben sich diese Figuren dort herum. Das war für mich das passende Bild zu der Passage, in der Fonda über seine erfolglosen Jahre als junger Theater-Schauspieler spricht.

Er ging ja vom Mittelwesten zunächst nicht nach Kalifornien, sondern nach Osten. Zwei Jahre an der Universität in Minneapolis, Abbruch des Studiums – und nach New York, zum Theater. Und auch nach dem Krieg übersiedelte die Familie wieder an die Ostküste, weil das Stück Mr. Roberts fünf Jahre lang so erfolgreich am Broadway lief, gefolgt von weiteren Theater-Rollen dort. Insofern ist, streng biografisch betrachtet, Los Angeles kein allzu wichtiger Ort für ihn. Nur in der Spätphase seines Lebens, mit seinem Interesse für das organic farming, da hat ihn diese Gegend schon interessiert, da konnte er sich ausleben mit seinen Bienenstöcken, mit der Apfel- und Hühnerzucht.

Das Letzte und Wichtigste ist aber wahrscheinlich, dass es mich nicht interessiert hat, diese Bilder des abgefuckten heutigen Hollywood, das moderne Hollywood am Sunset Boulevard, am Hollywood Boulevard, dem Illusions-Hollywood gegenüberzustellen. Das ist so abgenutzt durch Fernsehreportagen, immer rund um die Oscar-Verleihung zum Beispiel, da war für uns nichts zu holen. Uns war es wichtiger, an der Südgrenze Kaliforniens zu filmen, an der „Trumpschen Mauer“ – die Grenze zu Mexiko, das Zurückweisen der Migranten. So ist südlich von San Diego die Schlusseinstellung des Films entstanden. Wir waren schon fertig, und am Abend ging der Rückflug nach Europa. Wir waren ein bisschen ermattet, und da Regina und ich schon immer die Pelikane an der Pazifikküste bewundert hatten, hofften wir ein bisschen, wieder welche zu sehen. Da hatten wir einfach Glück, Michael hatte die Kamera noch aufgebaut und es kam tatsächlich ein richtiges Pelikan-Geschwader vorbei, ganz nahe. Er konnte einen 180-Grad-Schwenk mit ihnen drehen. Am Horizont sieht man auch noch ein Kriegsschiff, auch das ist wichtig, weil diese Grenze eine semi-militarisierte Zone ist, da rotieren die ganze Zeit Helikopter über einem, die schauen von oben, ob es illegale Grenzübertritte gibt.

Oder auch die Ölpumpen nördlich vom Weedpatch Camp – die nächste größere Stadt ist Bakersfield. Und Bakersfield ist heute umgeben von diesen Ölpumpen und der fossil fuel industry, was mir wichtig war im Zusammenklang mit Jane und Henry Fondas Interesse für die Bewahrung des Planeten. Und mit seiner Rede über Reagans bedingungslose Unterstützung des Big Business. Das waren einfach logische Zielpunkte auf unseren Fahrten, wir wussten, dass sie dem Film mehr zu sagen haben als das Hollywood von heute.

Etwas allgemeiner zur Temporalität im Film. Er ist ja strikt linear konstruiert, aber in einer Linearität, die gewissermaßen nicht unterscheidet zwischen Illusion und Realgeschichte, das heißt insbesondere die historischen Filme, die Fonda mit Ford gedreht hat, werden eingerückt in denselben Zeitstrahl, der auch Fondas Familiengeschichte und die politische Geschichte der USA enthält. Es kommt dadurch manchmal zu interessanten Spannungen, zum Beispiel wenn Fort Apache schon recht früh auftaucht, obwohl es ein Nachkriegsfilm ist, entstanden sogar noch ein Jahr nach Daisy Kenyon, der als sein paradigmatischer Nachkriegsfilm vorgestellt wird. Ist das vielleicht auch eine Art Test, um zu überprüfen, wie tragfähig die Geschichtserzählung, die Fonda und Ford ausarbeiten, tatsächlich ist?

Ich habe die Schauplätze und Zeiten, in denen die Filme angesiedelt sind, als wichtigere Daten erachtet als die Momente, in denen die Filme gedreht wurden. 1839 ist für Young Mr. Lincoln zumindest so wichtig wie 1939. Ich wusste, wir haben diese Timeline, diese Achse, das wird eine Art Handlauf sein, den der Film unbedingt braucht, weil ich wusste, dass er in sehr viele Richtungen ausscheren wird. Der Film macht Seitwärtsbewegungen und holt Figuren und Gedanken herein, die vielleicht ungewöhnlich oder nicht so einfach in der Rezeption sein werden, dafür braucht es ein Rückgrat, das war mir wichtig.

Es geht mir nicht um „Täuschungen“, sondern darum, das Publikum einzuladen, die fiktionalen und die re-inszenierten historischen Zeiten und Orte gemeinsam mit der Faktengeschichte zu betrachten. Wenn ich vom dream life und von dieser Wirkkraft des Kinos rede, was das Verständnis von Geschichte betrifft, wenn ich behaupte, dass diese Medien und diese populärkulturellen Konstellationen eine gewichtigere Rolle in der Entwicklung gesellschaftlicher Imaginationen haben, als gemeinhin zugestanden wird, dann muss ich es auch wagen, diese verschiedenen Re-enactments als Teil der Geschichte zu zeigen.

Sagen wir es anders: Zu den Formen, in denen Geschichte gesellschaftlich aufgerufen wird, zählt nicht nur die akademische Geschichtsforschung, die Befragung historischer Dokumente. Es gibt auch die popular history mit diesen Museumsdörfern, in denen Menschen in Kostümen der betreffenden Zeit herumlaufen und als interpreter fungieren, die einem sehr viel erzählen können über diese Zeit. Sie imitieren in ihrer Kostümierung die Menschen von damals, aber auch die Filme, die über vergangene Zeiten gemacht wurden. Das ist alles Teil der Historiografie. Man kann nicht so tun, es wäre das nichts, als hätte das keine Auswirkung auf die Weisen, wie wir geschichtliche Formationen verstehen.

Message und Massage

Für mich ist der entscheidende Bruch, glaube ich, der zwischen Ford und Lumet. Vielleicht ist es auch ein klein bisschen ein Bruch mit Deinem Film, also der Punkt, ab dem mein Blick auf Fonda ein bisschen von dem des Films abweicht. Was mir bei den beiden Lumet-Filmen, 12 Angry Men und Fail-Safe, zuallererst auffällt, ist das Klaustrophobische. Das sind ja beides ziemlich stickige Kammerspiele, die in dieser Hinsicht kaum weiter entfernt sein könnten von John Fords Kino der offenen Horizonte. The Best Man funktioniert ein bisschen anders, passt aber doch auch dazu als eine Art Back-Stage-Film, in dem es keine Stage mehr gibt, weil die Medien den Bewegungsspielraum allen Handelns einengen. Dein Film hebt in diesen Passagen sehr auf die politische Konfrontation ab zwischen Fonda und reaktionären Kräften, die mehr und mehr den Raum der politischen Öffentlichkeit in Beschlag nehmen. Aber kann man diese Entwicklung nicht vielleicht auch beschreiben als eine Krise einer bestimmten Art von Ästhetik? Also eine Welt, in der die Form von Verkörperung nicht mehr funktioniert, auf der die Filme von Ford und Fonda basieren?

Was Du beschreibst, sehe ich nicht unbedingt als Bruch im Film, aber ich sehe einen Bruch in der Film- bzw. Kulturgeschichte und stimme dem völlig zu, was Du sagst. In den 60er Jahren sehen wir dieses klassische Hollywood-Dispositiv in der Krise. Nicht zufällig sind sowohl die Lumet-Filme als auch The Best Man von Franklin Schaffner Filme von Leuten, die aus dem Fernsehen kommen. Jemand wie Ford hat sein Geschäft als Stuntman und als Assistent in den 1910er Jahren gelernt, zu einer Zeit, als noch Wyatt Earp in Los Angeles oder Pasadena lebte und Geschichten aus dem Alten Westen erzählte. Das ist eine Zeit, in der das amerikanische Kino überhaupt erst seit ein paar Jahren in Hollywood lokalisiert war. Von dort kommt Ford her, abgesehen einmal von seinen irischen Wurzeln.

Lumet und Schaffner kommen aus dem Fernsehen, und Fonda kommt aus einer langen Zeit der Bühnenarbeit. 12 Angry Men war ein Stück und ein Teleplay. Und Fonda hat sich dafür eingesetzt, dass es auch ein Kinofilm wird – es ist der einzige Film, den er selbst produziert hat. Aber vom Ursprung her ist es stage und TV stage. In The Best Man geht es um das Fernsehgerecht-Werden der Politik, die politische Show. Das politische Geschehen muss sich jetzt einem neueren Medium vielleicht nicht gefügig machen, aber doch anpassen. Fail-Safe ist tatsächlich klaustrophobisch, auch weil es ein billiger Film war und man den dräuenden Dritten Weltkrieg nicht anders inszenieren kann als über so ein Kammerspiel. Lumet und Fonda haben das bei 12 Angry Men durchgespielt und erhöhen jetzt den Einsatz. Das heißt, beide Macher dieser Filme und er als Akteur sind sich vielleicht im engeren Sinne dieses Wandels, dieses Paradigmenwechsels nicht bewusst, aber sie agieren ihn aus.

Fonda lebt zu der Zeit in New York, er will vor allem Theater spielen und nur hin und wieder Filme machen. Es nervt ihn eher, wenn er wegen Geld irgendwelche Routinewestern drehen muss in dieser Phase. Daraus befreit ihn zum Glück Sergio Leone, aber das war schon das Werk eines in New York verankerten Theaterschauspielers. Das Band zu dem, was John Ford und Fords Kino repräsentiert, das Band zwischen dem Land als einer noch präsenten Geschichte und einem Kinopublikum, das im Mittleren Westen genauso wie in Florida oder in New York diese Filme sieht, und darin eine Zusammenhalt gebende Kraft fürs amerikanische Leben sieht, dieses Band hält immer weniger in den 1960er Jahren. Das Fernsehen übernimmt mehr und mehr diese Funktion, so wie es jetzt noch neuere Medien tun, mit anderen Folgen, aus anderen Gründen. Diese Krise, wenn man so will, oder diesen Wechsel - das Medium nicht nur als Message, sondern auch als Massage, wie McLuhan das sehr klug gesagt hat -, diesen Übergang und dieses Zu-Ende-Gehen von etwas, das repräsentiert und artikuliert Fonda schon auch. Nicht umsonst landet er dann wirklich bei Leone, weil der in fast schon postmoderner Weise das ganze Fordsche Paradigma noch einmal aufgreift, aber vollkommen woanders hin führt. Da ist Fonda dann, wenn man so will, in seinem New-Hollywood-Moment.

Zu Leone komme ich gleich. Noch einmal kurz zurück. In der zweiten Hälfte des Films entsteht für mich gelegentlich eine Erzählung, bei der ich nicht ganz mitgehe, auch wenn sie immer genug Widerhaken hat, an denen ich mich sozusagen entlang hangeln kann. Auf der einen Seite gibt es ein Konglomerat aus instrumenteller Vernunft und Technisierung, dessen Rückseite dann die Gesellschaft des Spektakels ist - Tombstone im Loop der Daueraufführung seiner selbst, die Donald-Trump-Maske auf dem Times Square -, auf der anderen Seite die Fonda-Nachdenklichkeit, die von seinen Kindern zumindest in politischer Hinsicht noch besser vertreten wird als von ihm selbst. Das ist ein bisschen ein Ungleichgewicht, vielleicht auch eine Idealisierung.

Da muss man bedenken, dass wir im Film dann schon in der Zeit sind, in der Fondas Lebenszeit und die jeweils thematisierte Zeitgeschichte stärker übereinstimmen. Das ist ja nicht der Fall, wenn wir 1878 in Fort Apache sind.

In den Filmen der zwei Nachkriegsjahrzehnte kommt das aber immer stärker zur Deckung. Selbst die McCarthy-Jahre und die Blacklist – von der war Fonda zwar nicht betroffen, auch weil er die ganze Zeit am Theater und nicht in Hollywood beschäftigt war, aber dieser Politik- und Politikertypus hat ihn schwer irritiert. Etwa der junge Nixon, der bei McCarthy mitmachte. Fonda war eng befreundet mit Melvyn Douglas und dessen Frau, der linken Demokratin Helen Gahagan Douglas. Die wurde von Nixon auf ganz miese Weise schlecht gemacht und als Kommunistin denunziert. Das hat ihn wahnsinnig aufgeregt. Und in einem Film wie The Best Man tritt in der Kontrastfigur, die Cliff Robertson da spielt, genau dieser Politikertyp in den Vordergrund. Also Figuren, wie wir sie heute zuhauf haben, Leute wie Roy Cohn und Nixon, die McCarthy unterstützen. Da war schon eine Vergiftung des zivilen politischen Diskurses zu spüren, die uns heute sehr vertraut ist. Darüber redet Fonda in The Best Man, wenn er sagt: “You have no sense of responsibility. That is a tragedy in a man, and it is a disaster in a President.”

Aber das Tolle ist, dass dann der Film diesem Populisten mit seinem antikommunistischen Verschwörungsgerede auch die Antwort lässt. Es gibt in diesem Film immer noch beide Sichtweisen, Robertson antwortet dem liberalen Fonda und sagt, du bist ein Narr, du verstehst Amerika nicht, du verstehst nicht, wer wir sind, du verstehst Politik nicht. Nicht, dass man als Publikum unbedingt eingeladen ist, dem zuzustimmen, aber ich finde es spannend, auch einmal aus dieser Sicht auf das zu schauen, was bei Fonda, vielleicht auch bei Adlai Stevenson die Grenzen waren, weil sie sich nicht in dem Maße in politische Gefühlswallungen auf der Magen- und Nieren-Ebene begeben wollten. Diese Ebene schlachten eben Leute wie Trump oder diese Cliff-Robertson-Figur oder Reagan aus.

Da wird also noch abgewogen – wie sollen wir das Geschäft der Politik verstehen, was ist die richtige Einschätzung dessen, was in der Politik benötigt wird. Der Film und wir als Publikum tendieren wohl eher zu Fondas Sicht der Dinge, aber er gibt auch der anderen Sicht Raum. Aus diesen Gründen habe ich dann wahrscheinlich die instrumentelle Vernunft oder diese Kalte-Krieg-Situation hinein genommen. Es ging immer auch darum, mit welchen historischen Figuren ich Fonda umgeben sollte. Wir haben sie Satellitenfiguren genannt. Ich dachte beim Kalten Krieg an den einflussreichen General Curtis LeMay, der mich schon länger interessiert hatte. Ein „Falke“. Als ich herausfand, dass der Vietnamkrieg, diese Eskalation, die dann ab 1965 stattfand, auf seine Doktrin zurückging, obwohl er schon in Pension war, da ist mir auf einmal die Walter-Matthau-Figur in Fail-Safe wie ein Schatten dieser Denkungsart erschienen.

C'era una volta il West: Meine Güte, das ist ja Henry Fonda!

Das sind keine Antworten auf das, was du sagst, aber da läuft wirklich einiges parallel, das Älterwerden, der Karriereverlauf, New York, Theater, hin und wieder Filme – und zwar in dieser Phase politische Filme. Da gibt es ja noch mehr bei Fonda, Advise & Consent zum Beispiel. Und abseits von ihm The Manchurian Candidate, Dr. Strangelove, Seven Days in May, das war ein Moment, rund um die Kennedy-Jahre, als Hollywood auf einmal viele Filme zu solchen Themen machte. Die geschichtsträchtigen Fiktionen in dieser Phase sind solche, die die Gegenwart betreffen, während die geschichtsträchtigen Fiktionen, die er mit John Ford bearbeitet hat, meist frühere Epochen illustrieren – mit The Grapes of Wrath als einziger Ausnahme. Mit Leone kommt dann noch einmal, da ist der Vietnamkrieg in vollem Gange, der Alte Westen ins Spiel – aber aus der Sicht des linken Europäers Sergio Leone. Und der „Fordianer“ und alte Western-Darsteller Fonda kommt dem Leone in die Gasse.

Stichwort Leone. Ein Interviewsatz von Henry Fonda selbst, der mich sehr interessiert hat, taucht auf, wenn er über seine Rolle in Spiel mir das Lied vom Tod spricht: “Jesus Christ, it’s Henry Fonda”. Ansonsten blockt er ja die Versuche, seine eigene Rolle in der kollektiven Imagination zu thematisieren, komplett ab. Ausgerechnet in dem Moment, in dem seine Figur dekonstruiert und gegen sich selbst gewendet wird, analysiert er eben das dann total luzide und tritt sich selbst rhetorisch gewissermaßen selbst gegenüber. Interessanterweise ist bei Leone der Blick in Fondas Gesicht auch gerade nicht verdeckt oder verschattet, sondern perfekt ausgeleuchtet, wie im Reagan-Fernsehbild. Wie kommt es, dass Fonda ausgerechnet bei Leone sich selbst wiedererkennt?

Du musst aber bedenken, er sagt schon am Anfang: “I know people speak of me as the typical American, trustworthy, loyal, full of integrity. I read it, but it doesn’t mean anything to me”. Das heißt, er weiß schon, dass das sein Image ist. Und das weiß er auch, wenn er über Leone spricht. Er sagt, zuerst habe ich mir die braunen Kontaktlinsen eingelegt und einen Spitzbart wachsen lassen wie der Lincoln-Mörder, weil ich dachte, ich muss ein villain sein, das muss ich jetzt liefern. Ich komme so nach Rom und Leone sieht mich und sagt, bitte weg damit! Er will keinen Bart, und er will meine blauen Augen, meine baby blues. Und erst, als Fonda dann im Kino sitzt und sieht, wie das inszeniert ist, versteht er, was Leone wirklich wollte. Er kommt ja erst ins Bild, nachdem er und seine Leute das Gemetzel schon angerichtet haben. Vorher war er gar nicht zu sehen, und nun fährt die Kamera seitlich an ihm vorbei – und das Publikum erkennt auf einmal: Meine Güte, das ist ja Henry Fonda!

Das widerspricht sich also überhaupt nicht, denn er weiß ja, dass sein Bild in der Öffentlichkeit das eines guten Amerikaners und eines Menschen ist, der solche Dinge nicht tut. Er hat die Effektivität von Leones Idee und Leones inszenatorische Gesten da erst vollständig verstanden. Dass es genau darum ging, den Henry Fonda in Anführungszeichen zu setzen, um ihn etwas ganz anderes repräsentieren zu lassen.

Ich denke, er konnte sich selbst nicht als das sehen, was die öffentliche Imageproduktion „Henry Fonda“ war. Aber ihm war klar, dass dieses Produkt seiner jahrzehntelangen Rollenwahl, seines Spiels, seiner Partnerschaften mit bestimmten Regisseuren, dass das bei vielen Leuten Spuren hinterlassen hatte – bis hin zu der Sitcom-Figur Maude, die für ihn dann eine Präsidentschaftskampagne ausrichten wollte. Das hat er schon gewusst. Er hat nur in allen Interviews vermeiden wollen, den Leuten das Gefühl zu geben, dass er sich selber auch so sieht, dass er selbst denkt, dass er das wäre, dieser tolle, integre Typ.

Das Kostüm der Wahrheit. Spielen als wären die eigenen Geister anwesend

Fast am Schluss steht ein Günther Anders-Zitat aus “Die beweinte Zukunft”, das sich für mich auch wie eine Antwort liest auf das Arendt-Zitat vom Anfang. “So also, in allertiefster Trauer, verkleidet in das Kostüm der Wahrheit. Ein Schauspieler im Kostüm des Schmerzes, der sein wirklicher Schmerz war. Ein Hinterbliebener der Toten von morgen. (...) ‚Drehe die Zeit um‘, sprach die Stimme zu ihm, ‚nimm den Schmerz schon heute vorweg. Vergieße die Tränen im Voraus‘ (...).” In gewisser Weise ist das sich seiner selbst nicht bewusste Subjekt Arendts jetzt angefüllt worden mit Geschichte, vor allem mit einer Gewaltgeschichte. Könnte man vielleicht sagen, dass die Karriere Fondas auch ein Test ist, mit wie viel Geschichte, aber vor allem auch mit wie viel Reflexivität man ein solches Subjekt, das sein Werk der Öffentlichkeit darbietet, belasten kann?

Was der Anders-Text da aufnimmt, habe ich indirekt auch dank eines tollen Buchs über Fonda verstanden, The Man Who Saw a Ghost von Devin McKinney, dieses andauernde Gedenken der Toten und quasi auch der Toten von morgen.

Das ist in Fail-Safe so signifikant, dieser Satz, wenn er den sowjetischen Premier fragt: “What do we say to the dead?” Auch in Young Mr. Lincoln, das kommt immer wieder in seinen Filmen, das sind auch Fordianische Dinge, aber Fonda macht das mit und nimmt es auch in anderen Filmen auf. Die Präsenz derer, die vor langer Zeit gestorben sind, und derer, die noch sterben werden, das ist bei ihm in einer für mich sehr ungewöhnlichen Weise wichtig. Das kann man nicht allein seinen Performer-Gesten zuschreiben. Es hat schon auch mit tatsächlichen Erfahrungen zu tun, die sich immer wieder neu in die Performances übersetzen. So als wären seine eigenen "Geister“ anwesend. Das ist in Devin McKinneys Buch ein zentrales Motiv. Fonda wirkt manchmal, als wäre er schon halb im Geisterreich. Es gibt bei ihm eine Art Verweigerung gegenüber dem absolut präsentischen, auf die akut notwendige Aktion gerichteten Handeln und Leben – und das ist sehr ungewöhnlich unter den Star-Schauspielern Hollywoods. Ich glaube, daran musste ich denken, als ich “Die beweinte Zukunft” las – und dann noch diese Aufzeichnung sah, in der Anders den Text selbst spricht.

Das sind ja immer auch pragmatische Fragen: Kann ich diese Gedanken mit einer Stimme besetzen? Und ich füge in Klammern dazu: Es gibt eine Stelle, an der ich es nicht konnte, nämlich bei James Baldwin, dessen Bemerkungen über Fonda nicht als Audio existieren. Da habe ich ausnahmsweise einen anderen Weg gewählt, nämlich eine vielleicht etwas kindische James-Benning-Hommage. Das werden nicht viele Leute überhaupt wahrnehmen, aber es gibt einen Benning-Film, in dem den ganzen Film hindurch ein Text von rechts nach links läuft, American Dreams, in dem es um Arthur Bremer geht, den Attentäter von George Wallace. Und ich dachte, ich möchte diesen Baldwin-Text, diese Stelle, die ich so irritierend und eigenartig und interessant finde, im Film einbauen – und zwar, wenn Fondas Gang den Berg hinauf in Lincoln und in Grapes of Wrath jeweils am Ende des Films zusammenfallen. Genau von diesem Gang spricht auch das Baldwin-Zitat, und jetzt kommt von rechts diese Quer-Linie des geschriebenen Texts ins Bild. Grafisch gesprochen, bricht sich die eine Linie an der anderen… Abgesehen von dieser Szene war mir schon wichtig, dass ich Anders und Arendt und einige andere Stimmen in Form von Audio-Dokumenten zitieren kann. Und auch, dass deutsche Stimmen präsent sind, neben meiner eigenen deutschen Stimme. Um zu vermitteln, woher dieser Film kommt, aus welchem konkreten geistesgeschichtlichen Hintergrund.

Dann habe ich mich bei dem Anders-Zitat für dieses visuelle Element des Fonda-Hauses entschieden, das er selbst abbrennt. Die Fragilität der Demokratie oder der zivilen gesellschaftlichen Konstruktion, in der Fonda die meiste Zeit seiner Laufbahn verbracht hat, die ist da schon recht deutlich. Trotzdem lässt er sich, das sieht man dann auch in Maude, nicht in irgendeine politische Retterfunktion drängen. Das hat Jimmy Carter übernommen, eben in diesem Jahr 1976. Dafür war Fonda zu scheu, zu zurückhaltend, zu skeptisch. Diese vielen Geister, diese Toten und der Schauspieler eines Schmerzes, der sein eigener Schmerz war, das ist natürlich eine Formulierung, die sich auch gut in meine Lesart fügte. Zum Beispiel wenn ich behaupte, dass der Suizid seiner Frau und der Lynchmord an Will Brown, dass das nicht einfach nur Episoden aus seinem Leben sind, sondern dass es eine Art Niederschrift solcher Dinge in seiner Person gibt, die sich wiederum in seine Filmarbeit überträgt oder Echos bildet. Dafür ist dann auch diese Anderssche Formulierung ein Echo.

Was soll ich sagen, Fonda bleibt fragil, obwohl er nicht unbedingt fragil wirkt, aber für mich ist er ein fragiler Typ. In gewisser Weise hat Lee J. Cobb in 12 Angry Men schon recht, wenn er sagt, was bildet sich der ein, der kommt da her und drückt uns seine große Moral rein! Auch da kann man sagen: Klar, das ist der Grund, warum Adlai Stevenson und Fonda nie Präsidenten werden, weil diese Männer sich vielleicht zu erhaben fühlen, zu abgesichert in ihrer Welt. Aber gleichzeitig war Fonda sich eben doch nicht so sicher, und schon gar nicht erhaben, das kann man in seinem selbstkritischen, zweiflerischen Reden über sich ständig spüren.

Hier geht's zu unserer Besprechung von Henry Fonda for President.

Copyright Bild Alexander Horwath: Regina Schlagnitweit

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