„Es hätte auch noch fieser werden können.“

Interview mit Nathalie Press zu My Summer of Love

Natalie Press gilt als Neuentdeckung auf der Insel. Mit ihrer ersten großen Rolle, Mona in My Summer of Love (2004, Regie: Pawel Pawlikowski), hat sie das große Los gezogen. Der Sommer trieft aus allen Bildern des besten britischen Filmes 2005 (Gewinner des BAFTA Awards), in dem zwischen zwei jungen Mädchen eine zärtlich-gefährliche Freundschaft aufblüht. Obgleich die herbstliche Fäulnis bald ihren Schatten voraus wirft, hätte My Summer of Love einen Schritt mehr wagen können, meint Hauptdarstellerin Nathalie Press anlässlich der Berlinale-Aufführung des Filmes .Elisabeth Nagy traf die Schauspielerin zum Gespräch.

critic.de: My Summer of Love handelt davon, sich zu verlieben. Vielleicht ist hier das sich Verlieben auch ein Weg, zu sich selbst zu finden.
Nathalie Press: Mona ist eine reine, unschuldige Seele. Sie ist sehr instinktiv. Tamsin, die andere, hat einen dunkleren Charakter. Sie ist intellektuell neugieriger, sie spielt mit Menschen. Ist aber auch unsicher. Tamsin hat alles, sie ist schön und privilegiert, und darum schafft sie sich dramatische Erlebnisse. Sie ist eifersüchtig auf Monas reelle Dramen. Mona hat keine Mutter. Ihr Bruder war einmal im Knast. Sie lebt an einem merkwürdigen Ort, der ziemlich heruntergekommen ist. Sie sehnen sich beide nach dem, was der jeweils andere hat. Tamsin ist eher die Böse und Mona eher die Gute, aber gut und böse sind hier mehr das selbe. Pawel Pawlikowski interessiert sich für das Gute und das Böse. Und wenn man sich verliebt, verliebt man sich dann nur in die Faszination für den anderen Menschen oder trifft man wirklich aufeinander?

Macht es einen Unterschied, dass Mona sich in ein Mädchen verliebt?
Ja doch. Ihr Vater ist abwesend, ihr Bruder ein Idiot. Tamsins Vater ist auch nicht da. Dann gibt es da noch den blöden Freund. Das ist eine bewusste Entscheidung gegen die Männer. Als Tamsin und Mona sich küssen, genießen sie auch das Überschreiten einer Konvention. In ihren Köpfen sagen sie der Männerwelt: „Fuck you“. Ich glaube aber nicht, dass die beiden wirklich lesbisch sind. Obwohl lesbisch ist auch nur ein Wort, eine Schattierung auf der Skala. Ich bin mir sicher, sowohl Mona als auch Tamsin werden sich wieder in Männer verlieben.

Hast Du Dir eine Hintergrundgeschichte für Deinen Charakter erarbeitet?
Nein, eigentlich nicht. Pawel interessiert sich nicht so wirklich für den Background. Bruder und Schwester stehen einander sehr nahe. Sie sind allein als Familie. Mona hat diese Sicherheit, dass da ein großer Bruder ist, ein großer und starker Typ, mit dem sich keiner anlegt, der sogar gefährlich und unberechenbar ist. Sie mag das. Sie findet das aufregend. Aber weil sich sein Charakter so sehr gewandelt hat, weiß sie nicht mehr, wer er ist. Und sie ist eh in einem rebellischen Alter. Das kennst Du sicherlich. Man ist wütend, man weiß nicht, ob man je einen wirklichen Freund haben wird. Sie weiß, dass Ricky sie nicht wirklich liebt. Sie weiß auch nicht, wie ihr Leben verlaufen wird. Sie fühlt sich total mies. Tamsin dagegen ist das Schönste, was sie je gesehen hat, und sie kann kaum glauben, dass dieses Mädchen mit ihr ihre Zeit verbringt.

Und dann kommt Tamsin als Ritter in schimmernder Rüstung auf einem Schimmel angeritten. Das ist eigentlich Kitsch.
Genau. Es ist dem Klischee des reichen Mannes und seiner jungen Liebhaberin nicht unähnlich.

Die beiden Mädchen haben es faustdick hinter den Ohren.
Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte es auch noch fieser werden können.

Du hast das Drehbuch doch zumindest soweit beeinflusst, dass man Deine Begabung zum Zeichnen in den Film eingebracht hat.
Meine Mutter ist Künstlerin und ich wollte das auch immer für mich. Ein Jahr lang war ich auf einer Kunsthochschule. Zur gleichen Zeit entdecke ich jedoch auch das Nachtleben, und das vertrug sich gar nicht mit dem Studieren. Ich hatte aber auch noch eine andere Obsession und darum besuchte ich ein paar Method Acting Kurse. Pawel sah, dass ich nebenbei immer noch zeichnete und darum beschloss er, dass Mona in der Geschichte malen sollte. Total aufregend. Die Szene, in der ich auf die Wand male, habe ich das in Echtzeit gedreht. Das konnten wir nur einmal machen.

Wie schwierig war die Vorbereitung, bis die Besetzung von Dir und Emily Blunt stand?
Pawel suchte lange nach Tamsin und er suchte lange nach Mona. Ich war ein schwieriger Fall, denn ich hatte noch nicht viel gemacht. Ich musste also zu vielen, sehr vielen, sehr sehr vielen Vorsprechterminen. Als die Entscheidung für mich fiel, suchte man weiter nach Tamsin. Emily stach aus anderen Bewerberinnen hervor. Wir hatten dann gemeinsame Workshops, auch zusammen mit Paddy Considine [der Monas Bruder Phil spielt, Anm. d. Red.]. Wir fuhren nach Yorkshire und ich jobbte dort in einem Café, auch um meinen Akzent zu schulen. Es gab keinen Dialogue Coach, dafür war kein Geld da. Also beobachtete ich Yorkshire und arbeitete an meiner Sprache. Emily las derweil Nietzsche und übte Cello.

Du hast ein großes Interesse für bildende Kunst. Wie wichtig war Dir das Visuelle des Films?
Ich war ständig damit beschäftigt, wie alles aussehen würde. Und es war mein erster großer Film. Darum war ich total darauf fixiert. Zum Beispiel, wie mein Haar sitzt. Weißt Du, wenn Deine Mutter ständig Bilder betrachtet und sie analysiert. Ich wollte halt, dass jede Einstellung perfekt ist. Für Pawel war das ganz schön frustrierend und er sagte immer: „Denk nicht so viel!“ Aber das ist leichter gesagt, als getan.

Kannst Du ein Beispiel nennen?
Da gibt es die Szene, in der ich auf dem Sofa sitze. Da fiel mir sofort das Bild Armut von Edward Munch ein. Oder die Szene, in der ich die Treppen in Tamsins Haus hinaufsteige. Ich sah den langen Schatten von mir und sofort fiel mir ein anderes Gemälde ein. Ich ging allen wahrscheinlich tierisch auf die Nerven. Der Schauspieler soll einfach spielen. Aber ich hatte noch nicht die notwendige Erfahrung. Ich war unsicher und sie ließen mich auch nicht an die Videomonitore.

Warum war Dir ausgerechnet Deine Frisur wichtig?
Du kennst doch sicherlich den Film Badlands – Zerschossene Träume [1973, Regie: Terrence Malick, Anm. d. Red.]. Da ist es wirklich wichtig, wie Sissy Spacek ihr Haar trägt. Es ist total glatt. Und ich dachte, ich muss mein Haar ganz glatt haben. Ich bin nicht eitel, es macht mir nichts aus, wenn ich hässlich bin. Ich trug auch weniger Make-up. Nach dem ersten Drehtag hieß es plötzlich, wir sollten weniger auftragen. Es hieß: Natalie, du siehst schrecklich jung aus.“ Emily muss darum auch weniger Make-up tragen. Machte mir nichts aus, gehörte zu meiner Rolle. Also, ich war mir jedes Details ständig bewusst. Keine Ahnung, ob das gut war. Aber ich wusste Pawel und Ryszard Lenczewski, der Director of Photography, werden wunderschöne Bilder machen.

Und jetzt giltst Du als Young Talent und bekommst Preise.
Oh ja. Das ist klasse. Nie mehr Kellnern.

Wirst Du jetzt mit Drehbüchern überhäuft?
Man schickt mir Drehbücher zu Kurzfilmen, mit Rollen, die mir angeblich auf den Leib geschrieben sind. Aber die ähneln auch Rollen, die ich schon hatte. Also nehme ich die nicht an. Ich habe auch ein Angebot aus Los Angeles bekommen. Da handelt es sich aber um so einen Müll, das will ich auch nicht machen. Lieber warte ich auf das richtige Drehbuch.

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