Ein Porno gegen die amerikanische Heuchelei
Interview mit Randy Barbato und Fenton Bailey zu Inside Deep Throat
Watergate, Filme zum Antörnen und zwei Jahre Variety-Hitliste: Deep Throat und die amerikanische Gesellschaft
Deep Throat gilt als der erfolgreichste Porno-Film überhaupt. Er spielte nicht nur Unmengen an Geld ein, sondern wurde auch von einer großen, bis dahin untypischen Zuschauermenge wahrgenommen – und das, obwohl der Film in vielen amerikanischen Staaten nicht gezeigt werden durfte. Das spätere Verbot durch die Staatsanwaltschaft schürte entsprechend noch die Neugierde. Ein Strafverfahren und die Verurteilung des Hauptdarstellers Harry Reems hielten den Film skandalträchtig in den Schlagzeilen.
Das Dokumentarfilm-Duo Fenton Bailey und Randy Barbato nahm sich dieses Phänomens an und untersuchte, worum überhaupt so ein Wirbel veranstaltet wurde, was passierte und welche Auswirkungen Deep Throat auf die amerikanische Kultur hatte.
Inside Deep Throat wurde auf der diesjährigen Berlinale in Deutschland uraufgeführt, wo sich die Regisseure unseren Fragen stellten.
critic.de: Ursprünglich sollte es doch einmal einen Film über Linda Lovelace geben?
Fenton Bailey: Oh ja! Brian Grazer, unser Produzent, wollte die Lebensgeschichte von Linda Lovelace erzählen. Er änderte irgendwann seine Meinung. Statt sich nur auf Linda Lovelace, die Hauptdarstellerin von Deep Throat, zu konzentrieren, interessierte ihn mehr der Einfluss des Filmes auf unsere Kultur. In der Tat bestand die Gefahr, dass eine Darstellung ihrer Geschichte die anderen Handlungsstränge überschattet. Eben gerade was die Auswirkungen des Films anbelangt. Es galt somit, die Balance der Erzählstränge auszutarieren. Zum einen die Geschichte von Gerard Damiano, dem Regisseur von Deep Throat. Zum anderen die Geschichte der Darsteller Harry Reems und Linda Lovelace. Dann gibt es die Verflechtungen mit der Mafia. All das wollten wir in einem allgemeiner gefassten Dokumentarfilm einbringen. Es war ganz schön zeitintensiv. Wir haben über ein Jahr im Schneideraum verbracht.
Wie viel Material hatten Sie denn zusammengetragen?
Fenton Bailey: Rund 800 Stunden. Wir haben über 100 Leute interviewt. Das waren jeweils ein bis zwei Stunden. Man darf nicht vergessen, es gab keine Literatur zu der Thematik. Wenn man eine Dokumentation angeht, gibt es meist doch ein paar Titel, die sich des Sujets bereits angenommen haben. Es gab Linda Lovelaces Buch Ordeal [Auf Deutsch ursprünglich Ich packe aus; aktueller Titel im Heyne Verlag: Die Wahrheit über Deep Throat, Anm. d. Red.], doch das war eine spezifische Sichtweise und behandelte nicht die ganze Problematik.
Eines der Interviews, das mit einem Theaterbesitzer und seiner Frau, zieht sich in knappen Ausschnitten durch den ganzen Film.
Fenton Bailey: Viele Leute wollten nicht mit uns reden, weil sie Angst vor der Mafia hatten. Wir bekamen sie einfach nicht vor die Kamera. Wir konnten diese Ablehnung und die Angst dieser Menschen schwer rüberbringen.
Randy Barbato: Erstens ist es witzig und zweitens war es die beste Lösung, zu zeigen, wie sehr die Leute die Mafia wirklich fürchteten. Der Dialog der beiden zeigt das eindrucksvoller, als wenn jemand nur gesagt hätte: Ich habe Angst vor der Mafia.
Ist die Mafia immer noch im Besitz der Rechte an dem Film?
Randy Barbato: Nein. Die Perainos [Louis Peraino, der Produzent von Deep Throat, finanzierte den Film mit Geldern der amerikanischen Mafia. Anm. d. Red.] haben den Film Anfang der 90er an einen Typen in Las Vegas verkauft, der sich mit dem Vertrieb von Pornos beschäftigt.
Es gibt in Ihrer Dokumentation kaum Ausschnitte aus Deep Throat.
Randy Barbato: Wir haben uns bewusst entschieden, nicht mehr zu zeigen. Unser Film behandelt die Bedeutung von Deep Throat. Darum war der Kontext wichtiger. Der Zuschauer soll mehr über das Drumherum erfahren, als nur Ausschnitte aus einem Film zu sehen.
Aber den Film kann man auf Video bekommen?
Randy Barbato: Sicherlich. Aber Sie würden wahrscheinlich enttäuscht werden.
Viele werden Deep Throat selbst vielleicht nicht kennen, aber im Zusammenhang mit der Watergate Affäre ist er ihnen ein Begriff.
Fenton Bailey: Ja, die Watergate-Quelle, schließlich Auslöser für den Sturz Präsident Nixons, nannte sich Deep Throat. Es war nicht einfach nur ein griffiger Name, es hatte eine tiefere Bedeutung. Deep Throat ist eine Outlaw-Stimme und die Regierung hatte verzweifelt versucht, sie zum Schweigen zu bringen. Weil diese Stimme die Wahrheit aussprach. Weil sie gegen Heuchelei und Korruption auftrat. Deep Throat, der Film, war ebenso eine Stimme, die gegen Heuchelei vorging. Sie sagte: Wir sind alle einzigartig in unserer Sexualität. Finde deinen eigenen Weg. Mach, was du für richtig hältst; solange du niemanden dabei verletzt, ist das okay. Auch diese Stimme, diesen Film, wollte die Regierung stoppen. Die Maßnahmen der Regierung gegen den Film zeigen doch, wie politisch Sex und dass Sex Politik ist.
Deep Throat ist in der Tat der einzige Film, der als Quelle im Zusammenhang steht, eine Regierung zu Fall gebracht zu haben. Es ist aber auch kein Zufall. Und wir hoffen, dass unser Publikum, das sich Inside Deep Throat ansieht, dies begreift.
Spielt es eine Rolle, dass Sie schwul sind?
Randy Barbato: Nun, wissen Sie, ich glaube, es war für uns von Vorteil. Da wir schwul sind, wissen wir, wie es ist, ein Außenseiter zu sein. Wir wissen, wie es ist, wenn die eigene Sexualität als abnormal eingestuft wird. Deep Throat hat in vielerlei Hinsicht genau dies thematisiert. Wir haben alle unsere ganz eigene DNA. Deep Throat zeigt eine Frau auf der Suche nach dem, was sie antörnt. Damit können wir uns identifizieren. Und genau dies ist es ja, was die Moralisten und auch die Mehrheit in der amerikanischen Gesellschaft und der Regierung ängstigt. Dabei gibt es kein Richtig und kein Falsch beim Sex, wir sind alle einzigartig.
Sehen Sie Hetero-Pornos mit anderen Augen?
Randy Barbato: Es macht für mich gar keinen Unterschied, ob ein Porno für Heteros oder für Schwule gedreht worden ist. Porno ist Porno. Persönlich sehe ich mir keine Pornos an, sie bringen mir nichts. Ich bin allerdings neugierig, welche Rolle Pornos in der Gesellschaft spielen, welche Bedeutung ihnen zukommt.
Fenton Bailey: Wir haben das nicht weiter verfolgt, aber es gibt doch eine Relevanz. Vor 1972 fand Oralsex meist mehr heimlich statt. Man praktizierte es, aber es war nicht zeitgemäß, es war nicht Teil des kulturellen Mainstreams. Aber in der schwulen Kommune waren Blow Jobs das Ding. Viele heterosexuelle verheiratete Männer mischten sich unter die schwulen Gruppen, um sich einen blasen zu lassen. Ihre Ehefrauen versagten ihnen das.
In Europa war das sicherlich anders.
Randy Barbato: Es handelt sich um eine amerikanische Story. Wir wollen Europa und den Rest nicht ausschließen, aber es ist doch eine sehr amerikanische Geschichte. Und wir zeigen ihnen, wie krank Amerika doch ist. Das ist mir wichtig. Viele Europäer denken doch sicherlich, „Was geht da drüben eigentlich ab?“
Fenton Bailey: Deep Throat war eine Sensation in Amerika. Er war auch ein Erfolg in anderen Ländern, aber das ändert nichts an der Geschichte an sich. Das gibt ihr keine zusätzliche Wendung.
Aber es gab noch andere Filme, die es mit den amerikanischen Moralisten ähnlich schwer hatten wie Deep Throat.
Fenton Bailey: Deep Throat war der Erfolgreichste von allen. Verrechnet man die Produktionskosten mit dem Einspiel, ist Deep Throat der erfolgreichste Film aller Zeiten. Und er war der Film, der bis ins Herz von Amerika und seiner mittelständischen Vorstädte vorgedrungen ist.
Randy Barbato: Es war ein kulturelles Phänomen. Er war zwei Jahre lang unter den 20 bestplatzierten in der Top 100 von Variety.
Randy Barbato und Fenton Bailey haben ein eigenes Blog im Netz, auf dem sie persönliche Notizen, Aufzeichnungen und Ausschnitte aus ihre Recherchen zugänglich machen: http://worldofwonder.net/insidedeepthroat/
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