Ein Forum für den Kurzfilm
Interview mit Katrin Küchler, Alexandra Schmidt und Karolin Kramheller, den Leiterinnen des 23. Filmfest Dresden – International Short Film Festival (12–17. April 2011).

Das Filmfest Dresden hat in den letzten drei Jahren drei Leitungswechsel vollzogen. Mit Katrin Küchler (28), Alexandra Schmidt (27) und Karolin Kramheller (33) übernahmen Mitte 2010 langjährige Mitarbeiterinnen des Festivalteams die Leitung.
Die 23. Ausgabe des Filmfestes bot vor allem außerhalb des traditionellen internationalen und nationalen Wettbewerbsprogramms ein ambitioniertes Kurzfilmforum: Neben Traditionsreihen wie dem 10. Internationalen Austauschforum für Animationsfilm, dem British Focus und dem Fokus Québec lag in diesem Jahr ein Schwerpunkt auf dem Fotofilm, also jenem Subgenre, in dem Fotografie im kinematografischen Kontext steht. In drei Sonderprogrammen wurden Werke aus fünfzig Jahren Filmgeschichte, unter anderem Werke von Jerzy Ziarnik, Arthur Lipsett, Matsumoto Toshio oder Paul de Nooijer gezeigt.
Über die Ambitionen, Ziele und das Selbstverständnis des Filmfestivals sprach critic.de mit den drei Festivalmacherinnen.
Critic.de: Ihr gehört seit Jahren zum Kernteam des Filmfestes Dresden. Bislang stand dem Festival stets ein künstlerischer Leiter, ein Direktor oder eine Direktorin vor. Seit 2010 steht ihr nun als Dreier-Direktorium in der ersten Reihe. Wie verändert diese Gesamtverantwortung für das Festival die Arbeitsweise?
Schmidt: Dass wir schon lange dabei sind, war ein Vorteil, als wir das Festival übernahmen. Wir kommen alle aus verschiedenen Bereichen des Festivals und bringen entsprechende Erfahrungen mit, wissen, wie das Festival funktioniert und was in welchem Bereich wie funktioniert. So ist uns der Einstieg ganz gut gelungen im letzten Jahr. Unser Ziel ist natürlich, das Festival weiter auszubauen und auch bekannter zu machen in Dresden, in Deutschland und in Europa. Sowohl für das Publikum vor Ort wie auch für das Fachpublikum.
Küchler: Hinsichtlich der Vorbereitungsarbeiten zum Festival hat sich für uns über das Jahr in den Wochen und Monaten vor dem Festival erst einmal nicht viel geändert. Natürlich ist man jetzt an vorderster Front und spürt die Verantwortung, die das Festival auf allen Bereichen impliziert: Man schreibt Anträge und betreibt Geldakquise, um die finanzielle Basis zu sichern. Was sich zu den Vorjahren geändert hat, ist die vermehrte Präsenz in der Öffentlichkeit, die notwendig ist, um das Festival zu positionieren.
Critic.de: Klingt ein bisschen wie wenig schöngeistige Verwaltungsarbeit. Wie sichert ihr euch denn neben diesem ganzen Aufwand den Raum für programmatische Entscheidungen und für die Profilierung?
Kramheller: Zunächst haben wir die Tätigkeitsschwerpunkte etwas verteilt. So haben meine Kolleginnen mehr die inhaltliche Seite im Blick, ich konzentriere mich auf die finanziell-wirtschaftlichen Belange. Aber eine strikte Trennung ist in der Praxis natürlich nicht immer möglich.
Schmidt: Das ist natürlich auch schwer, weil die Finanzierung, die Mittelakquise den Großteil der Arbeit in Anspruch nimmt, was wir aber als Basisarbeit verstehen, denn ohne diese Grundlage gibt es auch keinen Raum für programmatische Arbeit. Den notwendigen Freiraum nehmen wir uns in den Sommermonaten, denn dann haben wir dafür mehr Zeit. Wir besuchen andere Festivals, Archive, recherchieren für unsere Fachveranstaltungen oder Sonderprogramme interessante Themen und Tendenzen. Da ist genügend Raum für Inspiration. Kurz vor einer Festivalausgabe ist es natürlich mit diesem Freiraum vorbei. Bis Januar muss alles sitzen, und danach wird nur noch abgehakt.
Kramheller: Ich würde sagen, das Verhältnis Basisarbeit und Geldakquise zu Programmatik ist etwa fünfzig-fünfzig.
Küchler: Und da muss man manchmal Projekte in die Schublade legen, bis eine Finanzierung steht. So kann die Realisierung einiger Ideen manchmal recht diffizil werden.
Critic.de: Ihr habt Erprobtes und Bewährtes der Vorjahre fortgeführt, neu in Dresden sind in diesem Jahr Events wie ein Festival-Speed-Dating oder die weitere Aufstockung der Anzahl der Rahmenprogramme auf 28. Verschiebt sich da nicht der Fokus hin zu einer Werkschau oder Kurzfilmkunstmesse? Wie verhält sich da das Selbstverständnis von programmatischer Avanciertheit zu Breite und Vielfalt?
Küchler: Das Zentrum des Festivals ist und bleibt der Internationale und Nationale Wettbewerb. Dieser ermöglicht es, einen aktuellen Querschnitt durch die Kurzfilmlandschaft zu ziehen. Um diesen Kern herum versuchen wir flankierend Sonderprogramme zu integrieren, die das Genre Kurzfilm in seiner Bandbreite und Facettenvielfalt ausstellen, also nicht nur kurze Animations- und Spielfilme, wie im Wettbewerb, sondern auch kurze Experimental- und Dokumentarfilme.
Natürlich ist manchmal weniger mehr, aber oftmals kommt es schlicht zur rechnerischen Vervielfachung der Programmanzahl, einfach dadurch, dass bestimmte Programmreihen, Kinderfilm etwa, mehrere Einzelveranstaltungen umfassen.
In diesem Jahr haben wir ja den Schwerpunkt Fotofilm. Wenn man bei so einem Projekt die Finanzierung aufgestellt hat und nach langem Recherchieren so seltenes oder wertvolles Archivmaterial, wie zum Beispiel Filme von Jean Eustache aus den 1960er Jahren, bekommt, dann möchte man so einen Schwerpunkt natürlich mit entsprechendem Gewicht präsentieren, was konkret zu einer Programmreihe Fotofilm mit insgesamt drei Sonderprogrammen geführt hat.
Critic.de: Spürt ihr bei der Arbeit am Profil des Festivals einen Druck, mehr zum Publikum hin zu arbeiten? Gibt es da so etwas wie die Stereotypen Arthouse und Mainstream?
Schmidt: Kurzfilm ist für den Großteil der Besucher per se etwas Besonderes, also kein Mainstream. Und natürlich schauen wir auf unser Publikum. Das Festival begreift sich dezidiert als Publikumsfestival. Wir wollen keine Programme machen, in denen nur drei Akkreditierte sitzen. Der Sinn der Sache ist doch, dem Publikum das Genre Kurzfilm nahezubringen. Nur weil ein Kurzfilmprogramm sein Publikum findet, bedeutet das doch nicht, dass diese Filme Mainstream sind. Wir haben hier in Dresden sehr cinephile Zuschauer, die für viele Themen offen sind. Andererseits versuchen wir natürlich für unterschiedliche Zielgruppen Programme anzubieten. Man hat dann die Sparte mit den Kindern oder einen regionalen Fokus auf sächsische Produktionen oder Länderschwerpunkte. Das sind Facetten, die dann wieder für andere Zielgruppen attraktiv sind. Mit Mainstream hat das in meinen Augen nichts zu tun.
Küchler: Ein Festival steht und fällt nicht nur mit den präsentierten Filmen, sondern auch mit seinen Besuchern. Dabei versuchen wir nicht nur das Publikum zu bedienen, sondern auch Aufmerksamkeit in der Fachpresse zu erregen. Letzteres erreicht man, indem man neue Tendenzen aufspürt und in Sonderprogramme integriert, um über Fachpublika die Präsenz des Festivals zu erhöhen.
Kramheller: Natürlich ist es auch wichtig, andere Kurzfilmfestivals im Blick zu halten und unser Festival da einzureihen. Dabei geht es auch darum, Programme zu zeigen, die nicht schon auf Festival X oder Y gelaufen sind. So vermeidet man einerseits Konkurrenzsituationen und sorgt andererseits für eine Komplettierung der Festivallandschaft. Wir besprechen und koordinieren uns mit Leitungskollegen anderer Festivals.
Küchler: Es ist schön zu sehen, dass sich die Festivals über das ganze Jahr programmatisch sehr gut untereinander ergänzen und dass es keine oder wenig Redundanzen gibt.
Schmidt: Schaut man sich an, wie viele Menschen unseren Internationalen Wettbewerb ansehen, was für ein Kurzfilmfestival nicht selbstverständlich ist, dann wird klar, mit welcher Offenheit und welchem großen Interesse das Publikum für die Sache aufgeschlossen ist.
Critic.de: Und im Nationalen Wettbewerb? Hier genießt vor allem der deutsche Hochschulfilm – wie in der Vergangenheit auch – „Welpenschutz“. Da treffen Übungsfilme mit offensichtlichen Schwächen auf gestandene Werke, ohne das darauf expliziert hingewiesen wird. Wieso?
Küchler: Ohne Frage stammen die Einreichungen für den nationalen Wettbewerb vermehrt von den Hochschulen. Wir haben fünf renommierte Filmhochschulen in Deutschland, die das Filmfest Dresden in der Jahresagenda haben, wo unsere Einreichungsfristen auch klar kommuniziert werden. Und der qualitative Unterschied reicht da wirklich vom Erstjahresfilm bis hin zum Abschlussfilm. Aber ich glaube, dass dieser Werkstattcharakter gar nicht mal so negativ gesehen werden muss. Kurzfilm ist per se ein Experimentierfeld, das die jungen Filmemacher nutzen und bei dem sie die formale Beschränkung „Länge“ auch im Sinne einer künstlerischen Freiheit und Herausforderung begreifen. Das dem Publikum sprichwörtlich vor Augen zu führen ist unser Anspruch. Also nicht nur ausgereifte Hochglanzwerke zu präsentieren, sondern auch diesen work-in-progress-Charakter, der an sich qualitativ nicht minderwertig sein muss.
Critic.de: Wie sichert man das rein praktisch in der künstlerischen Leitungsarbeit?
Küchler: In erster Linie muss ein Film den Betrachter, den Rezipienten ansprechen. Hier gilt, was für andere Kunstformen, was für Literatur und Malerei auch gilt. Das allein reicht als Kriterium natürlich nicht aus. Hier treten natürlich andere Aspekte, etwa Kameraführung, Ästhetik, eine ungewöhnliche oder aber auch konventionelle Erzählform ...
Critic.de: ... künstlerische Kriterien also ...
Küchler: ... hinzu. Solche Kriterien werden von den Mitgliedern unserer zwei Sichtungskommissionen natürlich individuell unterschiedlich wahrgenommen. Deshalb ist die Zusammensetzung dieser Gremien bei uns so heterogen gestrickt, dass eine vielfältige Wahrnehmung gesichert ist.
Critic.de: Wie geschieht das konkret? Durch die Profile, den Hintergrund der Vorsichtenden?
Küchler: Mit Filmwissenschaftlern, Hochschullehrern und Leuten, die ihren Blick eher auf das Publikum richten, haben wir per se durch die Auswahlkommission einen repräsentativen Blick in der Auswahl. Hier versuchen wir auch, für das Publikum transparente Qualitätskriterien anzusetzen.
Critic.de: Was heißt das?
Küchler: Man kann keinen Kriterienkatalog mit zehn Punkten bauen, der abgehakt wird. Es gilt ein Gefühl für das Publikum zu entwickeln, es abzuscannen, nach seinen Bedürfnissen, nach seinen Wünschen auszuforschen – was könnte denn jetzt ankommen. Doch man erfährt das erst dann, wenn das Publikum auch wirklich kommt und wir so – hoffentlich – große Resonanz erfahren.
Critic.de: Das leuchtet ein. Wie würdet ihr euer Ziel definieren, wohin wollt ihr mit eurer Arbeit und dem Festival kommen?
Schmidt: Ein gutes Programm machen, das das Publikum anspricht und dem Kurzfilm eine Plattform gibt und so die Arbeit der Filmemacher unterstützt.
Küchler: Das Genre, den Kurzfilm, in den Vordergrund rücken, auch wenn die vielen Leute, die so ein Festival hinter den Kulissen stemmen, so in den Hintergrund treten. Es geht nicht darum, was eine Festivalleitung in persona macht, sondern darum, was am Ende als Produkt herauskommt – in unserem Falle das Filmfest Dresden. So hoffen wir, die Tradition, die das Festival seit Jahren hat, auch fortzuführen.
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