„Die Lösung ist eine politische“ – Filmförderung anders (I)

Gespräch mit Prof. Dr. Martin Eifert zu rechtlichen Aspekten der Filmförderung

Eine Filmförderung nach künstlerischen Kriterien? Ein Gespräch mit dem Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Martin Eifert über notwendige Veränderungen in der Förderung, und was davon rechtlich möglich ist. Das Interview bildet den Auftakt der Interview-Reihe Filmförderung anders zum besseren Verständnis des deutschen Kinos.

Wie sehr darf die Filmförderung auf Bundesebene kulturelle Maßstäbe anwenden? Das ist eine der Fragen, die das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2014 aufgeworfen hat. Seitdem die Filmförderung auf höchster Ebene juristisch bestätigt wurde, ist in die Auseinandersetzung über die Maßnahmen etwas Bewegung gekommen. Die Neuordnung eines wichtigen Teils der Förderung steht mit der Novelle des Filmförderungsgesetzes nun unmittelbar bevor. Das Gesetz regelt, wie die Filmförderungsanstalt (FFA), eine der zentralen dafür zuständigen Stellen, operiert. Der jüngst als Diskussionsgrundlage veröffentlichte Gesetzesentwurf der Kulturstaatsministerin sieht unter anderem einschneidende Veränderungen bei der Gremienbesetzung vor.

Im Gespräch mit Prof. Dr. Martin Eifert wollten wir diese Fragen einmal von rechtlicher Perspektive beleuchten. Er ist Professor für Öffentliches Recht an der Humboldt-Universität zu Berlin und war Prozessbevollmächtigter der Bundesregierung im Verfahren zur Filmförderung der FFA vor dem Bundesverfassungsgericht 2013/14.

eifert

Frédéric Jaeger: Der Bund begründet den Großteil seiner Filmförderung wirtschaftlich, ist aber de facto in der kulturellen Filmförderung mindestens genauso wichtig wie die Länder. Wie geht das zusammen?

Martin Eifert: Wir haben im Bereich der Filmförderung fast eine Verkehrung der zu erwartenden Situation. Die Länder haben die Kulturhoheit, konzentrieren sich aber in vielen Fällen auf eine Wirtschaftsförderung. Der Bund kann deshalb, weil er bei der Förderung auch auf Qualität setzt, im Ergebnis kulturfreundlicher sein als die Länder.

Im Filmförderungsgesetz (FFG) steht, die „künstlerisch-kreative Qualität“ werde als „Voraussetzung für den Erfolg“ des Films gefördert. Ist das nicht als ein kultureller Schwerpunkt zu verstehen?

Ein Argument vor dem Bundesverfassungsgericht war, dass die Frage nach der künstlerisch-kreativen Qualität als Sicherung einer Minimalqualität funktioniert. Eine künstlerische Optimierung ist das nicht. Es ändert auch nichts daran, dass das FFG durch die Wirtschaftskompetenz des Bundes legitimiert ist. Weil für Kultur die Länder zuständig sind, wäre eine Bundesförderung unangemessen, die zum Ziel hat, die künstlerische Qualität an und für sich zu erhöhen. Das wäre dann primär kulturpolitischer Belang. Das Bundesverfassungsgericht beurteilt das mit einer sogenannten Schwerpunktbetrachtung: Liegt der Schwerpunkt dieser Regelungen im wirtschaftlichen Bereich, oder liegt er im künstlerischen? Das Urteil hat Klarheit geschaffen, dass die künstlerischen Kriterien im FFG zulässig sind.

Im Urteil steht: „Dem Bund ist nicht verwehrt, in der Wahrnehmung aller seiner Kompetenzen auch auf Schonung, Schutz und Förderung der Kultur Bedacht zu nehmen.“ Was heißt das?

Im Grundgesetz heißt es: Die Länder sind zuständig – außer das Grundgesetz bestimmt, dass der Bund zuständig ist. Die Aussage des Gerichtes meint: Bei der Frage, was in den wirtschaftlichen Bereich fällt, muss man nicht schon berücksichtigen, dass die Länder eine Kulturkompetenz haben. Sondern bei allem, was sich sinnvoll unter Wirtschaft fassen lässt, ist eine Beteiligung des Bundes legitim – und das heißt, dass innerhalb der Wirtschaftsförderung auch kulturelle Kriterien auftauchen können, solange es weiterhin primär ums Ökonomische geht. Daraus ergibt sich aber keine versteckte Bundeskulturkompetenz.

Im Urteil klingt der Rahmen für das Bundesengagement sehr weitreichend.

Es gibt im Urteil tatsächlich einzelne Sätze, die, was die Verknüpfung einer eindeutig wirtschaftlich hergeleiteten Kompetenz mit kulturellen Aspekten betrifft, ein bisschen großzügiger klingen. Das hieße, dass man kulturelle Nebenaspekte stärker tolerieren kann. Andererseits tragen diese Sätze das Urteil nicht. Deshalb ist offen, wie belastbar sie sind, wenn es in einer juristischen Auseinandersetzung auf sie ankäme.

1998 wurde unter Gerhard Schröder die Beauftragte für Kultur und Medien eingeführt, als Zusammenführung der verschiedenen kulturellen und Medienbereiche innerhalb der verschiedenen Ministerien. Unter diesem Dach werden drei große Filmförderungen koordiniert: Neben dem wirtschaftlich orientierten Deutschen Filmförderfonds und der Filmförderungsanstalt, die sich aus der Filmabgabe speist, gibt es auch eine kulturell ausgerichtete Filmsäule.

Die Zusammenführung der verschiedenen Bereiche hat mit einer Bundeskulturkompetenz aber nichts zu tun. Alles, was die machen, muss jeweils Punkt für Punkt als Bundeskompetenz über den Kompetenzkatalog gerechtfertigt werden. Damals ging es einfach nur darum, dass man die für Kultur Zuständigen alle bündeln wollte. Das ist allein schon organisatorisch sinnvoll, weil man dann in den Personalressourcen flexibler ist.

Weil es um Steuermittel geht, wird sich da nicht so schnell ein Kläger finden.

Genau. Und es wäre auch gar nicht empfehlenswert. Im Kulturbereich haben wir eine sehr große Grauzone. Ganz viele Bundesmaßnahmen, die Kulturförderung sind, sind unter Kompetenzgesichtspunkten problematisch. Solange das nur die Länder betrifft, führt das einfach deshalb nicht zum Streit, weil die Länder natürlich froh sind über alles Geld, das der Bund hier aufwendet. Dass es bei der Filmförderung überhaupt erst zu so einem Streit kam, liegt daran, dass es hier um Gelder geht, die von Privaten gezahlt werden mussten.

Jetzt wird das FFG wieder novelliert. Sind die Möglichkeiten, es anzupassen, durch das Urteil gewachsen?

Das kann man nicht sagen. Dass die Unsicherheit beseitigt ist, ist natürlich schon viel wert. Aber bestätigt wurde lediglich, dass die jetzige Form des FFG grundgesetzkonform ist.

Es gab bei dem Urteil auch Hoffnungen, dass das Gericht etwas monieren würde in Bezug auf die Gremien. Und es gibt Forderungen, die Gremien zu verkleinern. Das könnte dazu führen, dass manche Verbände dann niemanden mehr berufen könnten. Wie ist das Urteil in dieser Hinsicht zu verstehen?

Da gibt es einen recht großen Spielraum. Das Gericht ordnet die Gremienbesetzung durch Verbände in diesem Fall wohl als funktionelle Selbstverwaltung ein. Das ist in Bereichen, in denen die Betroffenen in starkem Maße mitreden dürfen, anders als dort, wo es um eine strenge demokratische Legitimation geht, die dann immer auf das Staatsvolk als Ganzes zurückgeführt werden muss. Die Besetzung sollte eben immer über die dort sachlich zu treffenden Maßnahmen gerechtfertigt werden können. Und sicherlich sollte ein Gremium auch nicht zu einseitig die Machtstruktur einer Branche abbilden, sondern ein Minimum an Repräsentanz aufweisen. Es muss eine gewisse Ausgewogenheit gewährt sein. Wie diese aber genau hergestellt wird, welche von den kleineren Akteuren man dann reinnimmt und sagt, die repräsentieren über ihr originäres individuelles Interesse hinaus auch strukturell etwas, da hat der Gesetzgeber einen weiten Spielraum.

Könnte man statt Repräsentanten von Verbänden alternativ sieben Experten aus dem Bereich berufen, die zwar aus der Branche kommen, aber nicht Vertreter der Verbandsinteressen sind?

Man kann auch über Experten nachdenken. Der Grundgedanke der funktionellen Selbstverwaltung ist – deshalb heißt sie Selbstverwaltung –, dass es eine Rückkopplung zu den Betroffenen gibt. Und das, was Sie jetzt vorschlagen, wäre gewissermaßen eher ein technokratisches Expertenmodell. Wenn das Experten sind, die von den Betroffenen deshalb als Repräsentanten wahrgenommen werden, weil sie sie berufen, dann gibt sich das nicht viel. Die können ja jemanden benennen, der nicht operativ im Geschäft ist. Von daher wäre das sicherlich kein Problem. Wenn es aber darum geht, dass jemand anderes Experten benennt, dann ist das nur noch sehr schwer als Selbstverwaltung wahrzunehmen. Ich schließe nicht aus, dass man dafür eine Argumentationslinie finden kann, aber es ist kein naheliegendes Modell.

Es gibt einen sehr interessanten, grundlegenden juristischen Text aus dem Jahr 1970 von Heidemarie Graul, die versucht hat zu überprüfen, inwiefern die Tätigkeit des Staates bei der Kunstförderung durch die Kunstfreiheitsgarantie in Schranken verwiesen ist – mit der Vorstellung, dass man den Bereich der Kunst nicht nur vor der Staatsmacht schützen müsste, also vor Zensur, sondern auch vor Marktmacht.

Das ist ein typischer Text der 1970er Jahre. Damals hatten wir die große Diskussion, inwieweit Grundrechte auch gegenüber gesellschaftlicher Macht Wirkung entfalten. Das betraf ökonomische Macht in jeder Form und bezog sich also auch auf den Kunstmarkt. Die Vorstellung, ökonomische Macht an Grundrechte zu binden, hat sich nicht durchgesetzt, was ganz viele Rechtssystem-immanente Gründe hat. Das bedeutet: Die Tatsache, dass jemand ökonomische Macht hat, sorgt nicht dafür, dass er die Kunstfreiheit achten muss. Private bleiben, im Rahmen der Gesetze, frei in dem, was sie tun und lassen. Deswegen ist die Kunstfreiheit in erster Linie von Bedeutung, wenn der Staat eingreift, also etwas macht, was Kunstfreiheit beschneidet. Wenn der Staat fördert, macht er das Gegenteil: Er erweitert die Handlungsmöglichkeiten der Privaten, indem er ihnen eine Fördermöglichkeit gibt. Deswegen ist das nach allgemeiner Ansicht kein Eingriff in die Kunstfreiheit.

Je nachdem, was der Staat fördert …

Bei der Auswahl muss der Staat Neutralität wahren. Er darf natürlich nicht einseitig eine Stellung beziehen. Das gilt für den Meinungsmarkt, also für den Pressebereich, Ihren Bereich, genauso wie für die Kunst.

Und was, wenn es wie beim Medienboard Berlin-Brandenburg keine Jury gibt und auch kein Gremium mit Verbandsvertretern, sondern die Geschäftsführerin einer GmbH alleine über die Filmförderung entscheidet?

Wenn es Steuermittel sind, dann haben wir nicht dieses Problem einer Repräsentanz von Betroffenen, weil es sich nicht um eine Selbstverwaltung handelt. Hier entscheidet der Staat, vermittelt durch diese GmbH. Juristisch stellt sich die Frage, wie viel Gestaltungsspielraum vor dem Hintergrund von staatlicher Neutralität toleriert wird. Ich unterstelle, dass die Vergabekriterien dort so stark formalisiert sind, dass eigentlich der persönliche Gestaltungsspielraum sehr begrenzt ist. Ist dieser größer, dann braucht es eine Rechtfertigung, warum es sachgerecht ist, einer staatlichen Person so viel Macht zu geben.

Man muss begründen, warum es sachgerecht ist?

Es geht um die Frage: Warum entscheidet überhaupt der Staat darüber? Und ob man die Förderung nicht entstaatlichen muss, damit der Staat den Inhalt nicht beeinflussen kann – vorausgesetzt, es besteht ein Gestaltungsspielraum, der auf den Inhalt durchschlagen könnte. So wie zum Beispiel bei der FFA, deren Mittelvergabe ist ja gewissermaßen entstaatlicht, weil Leute entscheiden, die nicht im staatlichem Weisungszusammenhang sind.

Aber ist es nicht dadurch entstaatlicht, dass es eine GmbH ist?

Das hängt davon ab, wie die Aufsicht durch die Gesellschafter geregelt ist. Eine GmbH hat rechtlich sehr viele Möglichkeiten. Die kann komplett weisungsabhängig sein, die kann von Weisungen halbfrei sein ...

Etwas anderes: Beim aus Bundesmitteln finanzierten Deutschen Filmpreis geht es offiziell darum, herausragende Leistungen auszuzeichnen, und im Endeffekt ist es natürlich ein Mehrheitsvotum. Seit 2001 macht das die Deutsche Filmakademie, vorher waren es Jurys. Wenn man sich die Ergebnisse ansieht, haben die sich nachvollziehbarerweise geändert. Nicht so eindeutig, dass man sagen würde, Mainstream sei vorneweg, das nicht. Es ist eher so das Mittelfeld, also Filme, die niemandem wehtun, die schon eine gewisse Schwelle der Popularität überschritten haben, aber auch nicht die Werke, die früher ausgezeichnet wurden ...

Das ist naheliegend. Denn letztlich muss eine Mehrheit eine breite Schnittmenge abbilden, und das bringt dann mit sich, dass es eine gewisse Nivellierung zur Mitte hin gibt und sich nicht mehr der avantgardistische Experimentalfilm durchsetzt.

So war es nie, aber zumindest gab es eine größere Bandbreite. Kann die Deutsche Filmakademie unter dem Banner der herausragenden Leistungen einfach machen, was sie will?

Das Verfahren muss sachgerecht sein. Beim Deutschen Filmpreis wird eine Gruppe herangezogen, die den Zweck, herausragende Leistung zu bewerten, besonders gut erfüllen kann, und die Mitglieder der Gruppe regeln das mit einer Mehrheitsentscheidung. Wenn man empirisch nachweisen kann, dass das meistens schiefläuft, weil es etwa zu grobem Missbrauch kommt, dann könnte man das als sachungerecht kennzeichnen.

Und wenn man hört, dass viele Mitglieder die Filme zum großen Teil nicht gesehen haben?

Gehen wir mal davon aus, dass sie das nicht wie beim Lotto ankreuzen, sondern jemanden fragen, der den Film gesehen hat und dem sie vertrauen. Und zwar typischerweise deshalb, weil sie dieser Person unterstellen, ähnliche Kriterien zu verfolgen wie sie selbst.  Zwar wird nicht der Idealtypus verwirklicht, nach dem alle ihr eigenes Urteil bilden und dann ihre Stimme abgeben, dennoch ist es ein sachgerechtes Gremium, weil diese Form von Vertrauenstransfer legitim ist. Denn die Abstimmung findet nach wie vor nach den Kriterien statt, um die es bei dieser Institution gehen soll. Es wäre insofern eine völlige Überdehnung des Rechts, wenn man das so kleinlich verrechtlichen wollte. Stattdessen geht es darum, dass Organisationen grundsätzlich Aufgaben angemessen sein müssen. Und Sie müssten zeigen, dass sie das systematisch nicht sind, damit Sie das als rechtswidrig geißeln können.

Das ist eine hohe Messlatte.

Aber ich würde sagen: Setzen Sie nicht so stark auf das Recht. Die Lösung ist nicht, solche Verfahren gnadenlos zu verrechtlichen. Denn das, was den einen heute nicht passt ... Wenn Sie das ins Recht schieben, dann haben Sie die Juristen drin. Das heißt überhaupt nicht, dass die, denen es nicht passt, etwas kriegen, was Ihnen besser passt. Sondern dann entscheiden auf einmal Juristen, wie das jetzt genau aussehen soll. Da wäre überhaupt nichts gewonnen.

Die Lösung ist letztlich eine politische …

Die Lösung ist aus guten Gründen eine politische. Das Recht ist da nichts weiter als eine äußerste Missbrauchsverhinderungsschranke, aber nicht das Instrument zur Optimierung. Die Optimierung ist eine politische Aufgabe, das Recht will den Missbrauch verhindern.

Wär ja schön, wenn man das irgendwie …

Ja, das gefällt Ihnen heute, wenn Sie das Recht auf Ihrer Seite haben, aber morgen – mit Verlaub – ärgern Sie sich darüber, wenn auf einmal die andere Seite das Recht auf ihrer Seite hat. Es ist schon richtig, dass wir uns über das meiste politisch verständigen und nicht rechtlich.

Das Interview ist im Rahmen eines Recherchestipendiums der Otto-Brenner-Stiftung entstanden.

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