Auch Moral, wie Sport, braucht Training
Interview mit Regisseur Volker Schlöndorff zu seinem Film Der neunte Tag
Volker Schlöndorffs Film Der neunte Tag berichtet eine unglaubliche Geschichte: Der katholische Geistliche Henri Kremer wird für acht Tage aus dem Konzentrationslager Dachau entlassen, in dem er seit acht Monaten gefangen gehalten wird. Aber erst in seiner Heimat Luxemburg erfährt er von dem Gestapo-Chef Gebhardt, was von ihm als Gegenleistung erwartet wird. Im Interview mit critic.de berichtet der renommierte Regisseur (Die verlorene Ehre der Katharina Blum, Die Blechtrommel, Death of a Salesman, Homo Faber) über sein persönliches Interesse an dieser Geschichte und warum sein Film kein Beitrag zur Diskussion um die Rolle der katholischen Kirche im Nationalsozialismus sein will. (siehe Kritik)
critic.de: Herr Schlöndorff, Ihr neuer Film Der neunte Tag bietet eine ganz außergewöhnliche Geschichte vor dem Hintergrund der deutschen nationalsozialistischen Diktatur in Luxemburg. Können Sie beschreiben, was das Reizvolle für Sie war, einen solchen Stoff zu verfilmen?
Volker Schlöndorff:Es ist ja kein Stoff, den ich mir ausgesucht habe, sondern einer, der mich gefunden hat, und ich war auch erst einmal überrascht, dass ein Produzent bereit war, so einen anspruchsvollen Film zu produzieren.
Können Sie die Höhe des Budgets nennen?
1,5 Millionen. Also, ich glaube ein Tatort-Etat. Wir hatten zwar nur 24 Drehtage, aber da bin ich ja Profi genug, um zu wissen, was man alles machen kann, wenn man sich ganz stur auf das konzentriert, was man braucht. Und ich habe Glück gehabt, mit Tomas Erhart einen sehr guten Kameramann zu finden, der auch verstanden hat, dass das eine Herausforderung ist. Außerdem waren die Schauspieler bereit, so zu proben, dass wir das in der begrenzten Zeit auch wirklich drehen konnten und wir hatten wahnsinniges Glück, dass es geschneit hat, als wir es brauchten usw. Das gehört dazu zum Filmemachen, man muss Fortune haben.
Der Hauptgrund, den Film zu machen, war aber, dass ich beim Lesen des Drehbuchs dachte: Das gibt es doch gar nicht! Acht Tage Urlaub aus dem KZ. Raus aus der Hölle und dann womöglich wieder zurück. Das ist ja wie ausgedacht für einen Western. Das ist der perfekte Rahmen für ein dichtes Drama. Und dann habe ich in dem Tagebuch nachgelesen, dass das tatsächlich so gewesen ist. Wie die Gespräche gelaufen sind, das steht in dem Tagebuch natürlich nicht, das ist dann die Kunst der Autoren gewesen.
War das Drehbuch bereits fertig, als Sie es bekamen?
Na, sagen wir mal, es kam daher als fertiges Drehbuch, aber es war nicht ganz fertig. Wir haben es unglaublich gestrafft. Ich glaube, wir haben ein Viertel der Dialoge rausgeschmissen – und es wird immer noch viel gesprochen!
Die Dialogszenen zwischen den Hauptfiguren, dem Priester Henri Kremer und dem Gestapo-Chef Gebhardt, nehmen den Hauptteil des Filmes ein. Bei diesen Figuren ist interessant, dass sie fast wie Spiegelbilder funktionieren. Kremer soll sozusagen zum Judas gemacht werden, was jedoch nicht gelingt. Und bei dem Gestapochef wiederum habe ich das Gefühl, der ist ein Paulus, der sich zum Saulus zurückgewandelt hat.
(lacht) Ja, so kann man das sehen. Er selbst würde das nicht so sehen, aber es ist schon richtig. Das fand ich spannend, dass beide Priester sind und dass, wenn man genau hinhört, auch diese ganze Nazi-Ideologie durchdrungen ist von christlichen Begriffen. Also: „Die Vorsehung hat uns den Führer geschickt. Er ist der Erlöser, der Deutschland erlösen wird. Wir sind die Berufenen, die die Welt erlösen werden.“ Die Apokalypse ist auch am Horizont. Sie haben wirklich versucht, das Christentum beinahe durch eine andere Religion zu ersetzen. Deshalb ist die Auseinandersetzung auch so spannend, weil man natürlich nach und nach spürt, das eine ist ein Irrglauben und das andere ist der richtige Glaube. Aber woran erkennt man das eigentlich? Wo ist der Etikettenschwindel? Welches ist der Glaube und welches ist der Irrglaube? Und das gilt ja für viele Ideologien, denen wir aufgesessen sind. Und der Gebhardt sagt: „Ach, diese ganzen Begriffe mit Gut und Böse, das gibt’s doch gar nicht, wir agieren doch alle in der Welt und wer weiß, ob Judas nicht Recht hatte, denn indem er Jesus verraten hat, hat er ihm ja eigentlich erst dazu verholfen, sein Schicksal zu erfüllen.“ Die Beiden spielen mit ganz ähnlichen Argumenten. – Ich muss jetzt aber auch sagen: So richtig interessieren mich weder die Argumente von dem Einen noch von dem Anderen. Ich sehe das Ganze eigentlich als einen Kampf, einen Schlagabtausch, bei dem die Argumente sozusagen die Waffen sind. Manche sind stumpf und manche sind spitz. Was mich daran interessiert ist: Wer geht zu Boden von den Beiden? Nicht so sehr, wer hatte das richtige Argument, sondern wie geht das in dem Zweikampf hin und her? Ich glaube, die Auseinandersetzung und das Spannende an solchen Stoffen ist im Grunde auch eine Frage der Moral, denn auch Moral, wie Sport, braucht Training und man trainiert sich so auf eine gewisse Haltung, auch dem Leben gegenüber.
Es war sicherlich trotzdem schwieriger, den intelligenten Nazi zu zeigen als etwa die tumben Toren aus der Blechtrommel?
Ja, aber natürlich. Aber außerdem auch spannender. Ich finde auch, dass Gebhardt in einem gewissen Sinne die spannendere Figur ist, weil durch ihn ein Bruch geht: er vereint Unvereinbares in sich. Wie Sie schon gesagt haben: Saulus und Paulus in einer Figur. Die Blechtrommel war eine Groteske und entsprechend waren die Nazis auch grotesk. Aber wenn alle solche grotesken Bösewichter gewesen wären, wie hätten sie dann ganz Deutschland überzeugen können? Da sind sicher sehr intelligente und auch sehr überzeugte Leute dabei gewesen, die nicht zynisch, sondern wirklich überzeugt waren. Und das war eigentlich die Herausforderung. Ich habe gesagt – in Bezug auf die Besetzung der Rolle mit August Diehl: „Gebhardt kann gar nicht jung genug und charmant genug und gut aussehend genug sein, sondern er kann auch gar nicht genug gute Argumente haben.“ Denn je besser er ist, umso schwieriger wird es für Kremer, der aber umso stärker wird, wenn er zum Schluss doch über Gebhardt triumphiert.
Abbé Kremer stellt zum Schluss dem Gestapochef die Frage: Was will der Täter vom Opfer nach der Tat?
Ja, was will der Täter vom Opfer nach der Tat? – Er will Vergebung, er will die Absolution. Und ich glaube, er denkt auch, er kann ihn überzeugen, auf den Bischof einzuwirken. Und je mehr er ihn kennen lernt, hofft er, dass er ihm zum Schluss sagt: „Sie tun das Richtige, Herr Gebhardt.“
Aber dieser Wunsch nach Vergebung impliziert der nicht gleichzeitig auch das Wissen darum, dass man etwas Falsches tut?
Na selbstverständlich, ja. Das glaube ich schon.
Sehe ich das eigentlich falsch, dass in Ihrem Film die katholische Kirche vielleicht ein etwas zu positives Bild erhält, was ihre Rolle im Zweiten Weltkrieg anbelangt? Etwa die Figur des Bischofs ...
Das ist eine ganz authentische Figur und eine sehr umstrittene. Ich finde auch, der macht es sich etwas zu einfach. Er sagt einfach: „Ich verschanze mich hier in meinem Palast, und lass’ die Glocke läuten, um zu zeigen, dass ich nicht einverstanden bin.“ Aber im Übrigen wäscht er sich die Hände in Unschuld. Er setzt sich nicht aus und er lässt seinen Sekretär die Drecksarbeit machen. Das ist eine absolut authentische Konstellation und auch, dass der Gestapochef von Luxemburg – so klein das Land war – versucht hat, dieses Luxemburg und den Bischof dazu zu bringen, das Konkordat zu unterschreiben. Aber dass wäre für mich ein bisschen zu viel Geschichtsunterricht gewesen und ich glaube außerdem, dass die Kirche überhaupt keine Rolle in diesem Film spielt – es ist nicht Der Stellvertreter von Hochhuth, es ist auch nicht Amen von Costa-Gavras. Mir ging es nicht um die Kirche als Institution, sondern um einen einzelnen Priester.
Was von Der neunte Tag als Erstes bekannt wurde, war die Inszenierung von KZ-Szenen. Diese haben Sie auch dramaturgisch an wichtige Stellen gesetzt – an den Anfang und an das Ende des Filmes. Dennoch werden sie auch in der Mitte des Films, in Form von Rückblenden, immer wieder in das Gedächtnis von Kremer und das des Zuschauers zurückgerufen. Diese Art des Einsatzes von Rückblenden hat mich sehr an The Pawnbroker von Sidney Lumet erinnert. Hat Sie bei Ihrer Inszenierung dieser Film inspiriert oder war es etwas anderes?
Ja, etwas ganz anderes: Hiroshima mon amour. Ein altmodischer Film – den hatte ich übrigens als Aufnahmeprüfung auf der Filmhochschule in Paris, kurz bevor er in die Kinos kam. Ich wollte eben gerade nicht, dass es wie Rückblenden, sondern dass es wie Tagträume sind. Ich wollte, dass das wie Gesichte immer wieder reinhaut in Momenten, wo er es gar nicht haben will. Denn Kremer schafft es gar nicht, aus dem KZ wieder in der Normalität anzukommen. Er ist plötzlich immer wieder zurückgeworfen in diese Realität – insofern sind es schon Flashbacks –, und das ist etwas, was man von vielen Überlebenden weiß, dass sie sich jahrzehntelang nicht davon haben freimachen können. Deshalb war es wichtig, auch im Lauf des Dramas immer wieder an die Fallhöhe zu erinnern: Wenn er sich mutig verhält, dann kommt er wieder dahin zurück – und es ist auch für den Zuschauer emotional, dass man weiß, das kommt unweigerlich immer wieder auf ihn zu.
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