Zustand und Gelände – Kritik

VoD: Alles kann zum Lager erklärt werden. In Zustand und Gelände begibt sich Ute Adamczewski auf eine Reise durch Sachsen und sucht nach Räumen und Politiken der Erinnerung.

Mitten in der Stadt, direkt am Marktplatz, liegt das orangene Haus mit der Fensterfront. Das muss es sein. Keine der Personen, die dort vorbeilaufen, scheint das kleine Metallschild an der Seite zu interessieren, das auf seine Geschichte hinweisen soll. Dort, wo jetzt das Orthopädiefachgeschäft „Gehwohl“ ist, wurden früher Gegner des nationalsozialistischen Regimes verhört und gefoltert. Lange blickt die Kamera in Zustand und Gelände auf das Gebäude, geduldig, fordernd, als taste sie es nach Spuren ab, als wolle sie das Haus in seine Einzelteile zerlegen; als versuche sie, das, was sie sieht, mit dem zusammenzubringen, was sie vorher mal gehört hat.

Die Vergangenheit glotzt zurück

Natürlich sind sie alle noch da, die Rathäuser, Burgen, Fabriken und Turnhallen. Alles kann zum Lager erklärt werden, wenn die politischen Umstände es so wollen. Aber ihre schiere Anzahl und die zentralen Standorte, von denen sich eben schlichtweg etwas mitkriegen lassen musste, ist das, was an Zustand und Gelände von Ute Adamczewski überwältigt. Die Regisseurin rückt jene Orte, Plätze, eben Gelände, die nach der Machtübernahme der NSDAP systematisch umfunktioniert wurden, in den Mittelpunkt. Die gezeigten Architekturen stehen zwischen den Zeiten, erscheinen sie doch hier nicht ausschließlich als physische Räume, sondern auch als Wahrnehmungskonstruktionen. Weil sie in Zustand und Gelände nur im Abgleich mit dem existieren, was sie waren und wieder sein könnten. Weil sich mit ihrer realen Materialität, den sichtbaren Einschreibungen in Stein und Beton, gleichzeitig die Frage verbindet, was sich da eigentlich sehen lässt, wenn wir sie ansehen und die Vergangenheit zurückglotzt.

Zustand und Gelände ist ein grauer, bewölkter Film, ein Winterfilm. Begleitet werden die heutigen Aufnahmen der Gebiete, die sich alle in Sachsen befinden, von Erinnerungsberichten, Protokollen und Verordnungen, Lieferscheinen aus der Zeit, die die Schauspielerin Katharina Meves ruhig vorliest und die sich gelegentlich an die konkreten Orte rückkoppeln lassen. Verschiedene Perspektiven stehen dort nebeneinander und ergeben doch eine gemeinsame Erzählung, die sich anhand des Jahres 1933 entspinnt, aber Exkurse in die Jetztzeit sucht. „Wir sind zwar viel mehr als die, aber wir lassen es einfach geschehen“, liest Meves einmal aus einem Erinnerungsbericht von Peter Richter vor, und das klingt erstmal nicht so, als wäre es von 2015 (ist es aber).

Die Nähe von Supermarkt und NS-Gedenkstätte

Mithilfe der Dokumente lässt sich die Strecke, die Adamczewski bei dieser Recherchereise zurücklegt, nachvollziehen, lassen sich die Bilder verorten. Obwohl sich frühere Gefängnis- und Lagerbauten natürlich auch in anderen Städten und Dörfern In Deutschland finden ließen, ist Sachsen als Schauplatz des Filmes zentral. Sachsen, wo der NS-Terror mit der dort stark vertretenen Arbeiterschaft ein klares Feindbild hatte, auf das er schnellstmöglich und in aller Radikalität reagierte. Wo Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds jahrelang unbemerkt lebten und die AfD bei der diesjährigen Landtagswahl 27,5 Prozent der Stimmen erhielt. Da ist sie schon wieder, die Gegenwart.

Erinnerung heißt in Zustand und Gelände Erinnerungspolitik. Immer wieder treten im Film Denkmäler auf, die verdeutlichen, wie die DDR und später auch die Bundesrepublik das Erinnern an den Nationalsozialismus für eine eigene politische Agenda benutzten. „Zum Gedenken jeglicher Opfer von Gewaltherrschaft: 1933–1989“ steht da einmal, und daran lässt sich eine ziemlich undifferenzierte Gleichsetzung von DDR und NS-Zeit bemerken. An anderer Stelle wird die Versetzung eines Mahnmals thematisiert, weil es die Zufahrt zum REWE versperrt (die Nähe von Supermarkt und nationalsozialistischer Andachtsstätte ist generell als Sichtungseindruck ziemlich präsent). Die roten Fahnen aus den von Meves gesprochenen Texten gehören jetzt nicht mehr den Oppositionellen, sondern der Sparkasse.

Der durch die reduzierte Bildgestaltung gelenkte Blick (Kamera: Stefan Neuberger) führt an den Menschen, die sich zuweilen in den Kadrierungen bewegen, vorbei. Interessant bleiben ihre Spuren, zum Beispiel auf dem Kriegsdenkmal, an das „Geile Zeit“ gesprayt wurde. Dann ein schneller Schwenk per Handkamera zur anderen Seite, wo sich das Antifa-Logo befindet. Und nochmal ein Schwenk, zur Laterne mit dem Hakenkreuz. Der Stadtraum als analoge Diskursoberfläche.

In den Falten erst sitzt das Eigentliche

Walter Benjamin schreibt in seinen Berliner Chronik von 1932: „Wer einmal den Fächer der Erinnerung aufzuklappen begonnen hat, der findet immer neue Glieder, neue Stäbe, kein Bild genügt ihm, denn er hat erkannt: es ließe sich entfalten, in den Falten erst sitzt das Eigentliche.“ In diesem Sinne sind die Bilder in Zustand und Gelände ganz und gar ungenügend, und die Kamera weiß genau darum. Die zuvor beschriebenen, schnellen Handkamera-Aufnahmen bilden ein Gegengewicht zu den lange stehenden Einstellungen mit langsamen, wirklich langsamen Drehbewegungen. Im Schauen klappen sich die Bilder auseinander, spalten sich immer mehr auf. Unaufhaltsam lassen sich in ihnen neue Dinge finden, an denen der Blick haften bleibt, an denen er sich festhält. Im Angesicht der Mikrokosmen, die uns entgegentreten, können die Zuschauenden nur staunen und sich fragen, ob sie denn eigentlich auf das richtige Haus starren. Doch, das muss es sein.

Den Film kann man auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung streamen.

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