Zeros and Ones – Kritik

Neu auf DVD: Abel Ferrara wirft Araber, Russen, eine Pandemie und ein Zwillingspaar in einen Scherbenhaufen von einem Noir-Krimi. Zeros and Ones ist ein fröhlicher Mittelfinger und ein Abgesang auf Fakten und gesichertes Wissen.

Kurze Videobotschaften klammern Zeros and Ones. In diesen spricht Ethan Hawke direkt zum Zuschauer über den Film, in dem er die Hauptrolle spielt – als Polizist und als dessen revoluzzernder Zwillingsbruder. Vor Filmbeginn erzählt der bekannte Schauspieler vom großartigen Drehbuch, das ihn davon überzeugte, Teil des Projekts werden zu wollen. Mit seiner Beteiligung hoffe er, Abel Ferraras Film etwas pushen zu können. Vor dem Abspann sehen wir ihn wieder und er legt offen, dass das erste Video für mögliche Finanziers gedreht worden war, und dass er das Drehbuch eigentlich gar nicht verstanden habe. Weiterhin erklärt er, wovon Zeros and Ones, den er gerade das erste Mal in seiner fertigen Form gesehen habe, seiner Meinung nach handelt. Dass die Videos ein Teil des Films sind, also mehr oder weniger gescriptet, wirft er vor dem letzten Schnitt auch noch schnell in den Raum.

Irgendwas mit Weltverschwörung

Mit dieser Klammer kommuniziert Zeros and Ones nochmal, dass er von Lug und Trug der digitalen Informationsgesellschaft handelt; dass den uns umgebenden Nachrichten und Videos nicht blind vertraut werden darf; und dass es völlig in Ordnung ist, wenn man der Handlung nicht gänzlich folgen konnte. Hawke darf zudem nochmal verkürzt ausführen, dass wir etwas zugleich Hoffnungsloses wie -volles gesehen haben. Ganz zuvorkommend wird nochmal Sinn gestiftet, wird greifbar gemacht, womit wir es zu tun haben.

Darin zeigt sich aber vor allem, welcher Schalk Ferrara im Nacken sitzt, hatte der sich die restliche Laufzeit doch jede Mühe gegeben, völlig kryptisch zu bleiben. Wie zum Hohn werden dem Publikum nun noch ein paar Begriffe und Allgemeinplätze zugeworfen, mit denen es arbeiten kann. Auch ohne die Klammer ist Zeros and Ones ein wunderschöner Abgesang auf Fakten, gesichertes Wissen und den Willen, etwas verstanden zu haben. So wird ihm aber noch ein fröhlicher Mittelfinger anheimgestellt.

Die Handlung ist so leicht wie unmöglich zusammenzufassen. Während einer Pandemie – Wörter wie Corona oder Covid fallen nicht – sucht ein Polizist nach seinem Zwillingsbruder, der womöglich während seiner Inhaftierung ermordet wurde. In seiner aktuellen Polizeiarbeit befindet er sich auf den Fersen einer Verschwörung gegen den Staat. Arabischer Terrorismus und russische Einflussnahme deuten sich an. Und er wird Opfer dieser Verschwörung, wobei sich der Polizeiapparat gegen ihn selbst richtet. Zunehmend rutscht er so in die Rolle seines Bruders. So ungefähr.

Assoziationen und Ahnungen

Das Beschriebene ergibt sich aus groben Schnipseln eines Noir-Krimis, die so gut wie nicht verdichtet werden. Hier einmal Araber, die etwas gegen den westlichen Imperialismus haben. Dort ein Dinner mit russisch Sprechenden, die wie graue Eminenzen wirken. Mal besucht der Polizist Frau und Kind seines Bruders, mal geht er zwielichtigen Dingen nach, die nahelegen, dass er in Drogen- und Frauenhandel verwickelt ist. Wahrzeichen Roms werden explodieren, Bilder werden manipuliert. Masken schützen mal vor der Krankheit, mal verschleiern sie Identitäten. Die Gettysburg Address und die Slogans Woody Guthries werden als Ausdrücke der Ideale der USA Teil des wirren Gebrabbels eines Verzweifelten. Und selbstredend steht im Raum, dass alles Teil eines Jahrhunderte alten Kampfes zwischen Gut und Böse ist. Verlust, Verrat und Orientierungslosigkeit sind die Triebfedern des Geschehens, wobei einem lediglich Assoziationen und Ahnungen bleiben, um einen Sinn zu erhalten.

Nachdem Ferrara mit Tommaso und der Tanz der Geister (Tommaso, 2019) zuletzt seinem Snake Eyes (1993) ein Update beschert hatte, scheint nun New Rose Hotel (1998) an der Reihe zu sein. Denn auch in diesem Trümmerbruch aus Informationen, Eindrücken und Zitaten spielen die Kameras und Bildschirme eine entscheidende Rolle. Die Kameras, die auf Schritt und Tritt alles aufnehmen, als gelte es, die Realität einzufangen und in limitierte Perspektiven zu binden, die die Leute kompromittierbar machen. Die Handys, die zum eigenen Schutz in Kühlschränke gepackt werden, um sie auf Eis zu legen und ihre Informationswege abzuschneiden. Eine der Figuren ist ausschließlich in einem Bildschirm zu sehen, als hätte sie keine Realität außerhalb der Nullen und Einsen.

Alles nur Scherben

Zeros and Ones ist aber nicht der Film dieser modernen Technik. Statt kristallklaren digitalen Bildern gibt es verrauschten, dunklen Matsch, in dem die Straßen Roms nicht nach Weltstadt und Touristenmetropole aussehen, sondern nach einer höllischen Zwischenwelt. Darin spiegelt sich zwar auch das Unklare des Films, Ferrara stellt damit dem oft Antiseptischem der modernen Kinowelt aber auch etwas Organisches entgegen. Fiebrig glühen die Bilder und werden vom repetitiven, drückenden Spannungssoundtrack Joe Delias begleitet. Bei allem Minimalismus und bei der Luftigkeit des Plots ist so doch alles von Wahn bestimmt. Von einem gebrochenen, herrlichen Wahn.

Der ähnlich gelagerte New Rose Hotel verlor sich allerdings erst am Ende in endlosen Flashbacks des Geschehenen, bis dahin wurde eine halbwegs klare Geschichte erzählt. In Zeros and Ones gibt es von vornherein nichts, das zerspringen könnte. Von Beginn an ist alles Scherbenhaufen. Dominik Graf hatte New Rose Hotel in der FAZ als Pinkelspur auf dem Teppich der Funktionäre und Konzerne bezeichnet. Zeros and Ones ist aber nicht nur inhaltlich, sondern auch vertriebstechnisch viel obskurer als sein Vorgänger. Er kommt nicht mal mehr an die Teppiche heran. Und will es vielleicht auch gar nicht. Ferrara geht es um das Individuum, das im Sumpf aus kontaminierten, mannigfaltigen Informationen und informativen Sackgassen verloren geht.

Der Ferrara der letzten Jahre ist aber entspannter geworden. Und so vergräbt er sich nicht im Sog des Negativen – was sich nicht nur im heiteren Troll-Move der Klammer zeigt. Bevor Ethan Hawke nochmal zu Wort kommt, greift Zeros and Ones das Ende von Michelangelo Antonionis Liebe 1962 (L’eclisse, 1962) auf. Wenn er die vom bisherigen Film verlassenen Straßen Roms wiederbesucht, ist die Leere vom Vorangegangenen anders als bei Antonioni etwas Befreiendes. Neben der Depression findet sich die Hoffnung: Im Alltag, wenn wir Tomaten auf einem Markt kaufen, ist all der Wahn auch nur Schall und Rauch, nur ein Echo in der Ferne, das nur umso mächtiger wird, je mehr wir ihm Gehör schenken.

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