Zero Days – Kritik

„Wir leben in einer Post-Stuxnet-Welt“: Alex Gibney verfolgt einen Computerwurm und warnt vor der Zukunft.

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Es sind charmante Geheimniskrämer, die Alex Gibney als Autoritäten einführt. Zu Beginn dürfen sie noch, nach Reportagen-Lehrbuch schnell aneinandergeschnitten, ihren immergleichen Spruch aufsagen: Darüber darf/kann/will ich nicht reden. Nein. Kein Kommentar. Nächste Fragen. Später werden sie schönere Sätze sagen: „I’m going to leave this to your imagination.“ Gibney ist frustriert, geht es ihm doch weniger um die Aufdeckung der ganzen Wahrheit als um die Aufsprengung des verordneten Schweigens, das die Möglichkeit einer öffentlichen Debatte über Cyberwaffen verhindert. Als Zero Days zum Ende hin dann doch noch offen pathetisch wird, ist das die Botschaft: Wir können uns den Verzicht auf diese Debatte nicht leisten. Und im Film pflichtet ihm da sogar ein ehemaliger NSA- und CIA-Chef bei: Auch er hält die Informationen im Fall Stuxnet für „overclassified“.

Der wählerische Wurm

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Was ist der Fall Stuxnet? Gibney erzählt die Geschichte eines unsichtbaren Monsters, eines Computerwurms, der in einer einmaligen Intelligence-Zusammenarbeit unter Führung der US-amerikanischen und israelischen Geheimdienste die Aufgabe hatte, die Zentrifugen in iranischen Nuklearanlagen außer Gefecht zu setzen. Gibney geht dabei strikt chronologisch vor und wechselt, wenn nötig, die Diskursebene. So hören wir zunächst professionellen Virenbekämpfern zu, die den Wurm entdeckt und bald völlig fasziniert analysiert haben. Als ihnen die politische Brisanz klar wird – wegen der ungewöhnlich hohen Anzahl an Infektionen im Iran –, verlässt Zero Days die Computerspezialisten und liefert einen kurzen Abriss iranischer Bemühungen um ein Atomprogramm, zunächst mit Unterstützung der USA, ab 1979 gegen ihren Widerstand.

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Das Tempo des Films ist dabei gewaltig. Die Interviews sind auch nach der Exposition schnell montiert, teilweise führt der eine Talking Head den Satz des anderen weiter. Dazwischen fährt die Kamera in ebenfalls bereits bekannten Modi der Ästhetisierung durch dunkle Datengalaxien und windet sich durch den leinwandfüllenden Stuxnet-Code. Auch mit seinem neuesten Film zeigt sich Gibney also nicht interessiert an spannenden dokumentarischen Formen, Zero Days ist ein astreiner Doku-Blockbuster, ein Spionagethriller, der alles auffährt, was er kann. Wenn das auch insgesamt frustrierend ist, zumal wenn ein solcher Film im Wettbewerb eines großen Festivals wie der Berlinale läuft: Sein Erzähldrang, natürlich auch sein Sujet machen den Film durchaus kurzweilig. Seine rasante Reportagenform hätte man sich allerdings genauso gut gedruckt vorstellen können, und dann wäre auch ein wenig mehr Zeit dafür gewesen: zum Zuhören, Nachdenken, Haltung entwickeln.

Die Geister, die ich rief

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Trotz dieser Überforderung ist Zero Days nicht allzu penetrant manipulativ. Zwar darf der iranische Konsul in den USA etwas zu häufig das Selbstbestimmungsrecht der Nationen auf ein Nuklearprogramm artikulieren, und die ganz reale Bedrohung Israels durch einen nuklear ausgerüsteten iranischen Staat wird zwar erwähnt, aber auch nur vermittelt durch diejenigen Akteure, die eigentlich die bad guys sind in dieser Geschichte. Dennoch ist Gibneys Film nicht billig antiimperialistisch, dafür liegt sein Schwerpunkt viel zu sehr auf der neuartigen Form des Cyberkrieges an sich. Zero Days wird zunehmend zu einer Die-Geister-die-ich-rief-Story, die seinen Appell unterfüttern soll, dass eine gesellschaftliche Debatte um den Umgang von Demokratien mit Cyberwaffen dringend nötig ist. Gibney scheut nicht vor Vergleichen mit 1945 zurück: Stuxnet repräsentiere den ersten Fall, in dem Cyberwaffen offensiv und nicht zur Verteidigung eines Staates angewandt wurden. Anders als von den Urhebern des Virus intendiert, provozierte der Angriff eine sofortige Gegenreaktion, und auch der Iran ließ sofort seine digitalen Muskeln spielen, als die eigentlich heimliche Arbeit des Virus dann doch Spuren hinterließ und damit quasi zum Open-Source-Programm wurde. Die Katze ist aus dem Sack, das ist die These dieses Films, es gibt kein Zurück mehr. Wir leben in einer Post-Stuxnet-Welt, und in jedem nächsten Krieg werden Cyberwaffen integraler Bestandteil sein – wie man internationale Abkommen für ein derart neuartiges Arsenal schließen soll, ist völlig ungewiss.

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Ein bisschen Real-Science-Fiction steckt hier also drin, die angstbesetzte Vorstellung, dass das bisschen Code konkrete Dinge mit der materiellen Welt anstellen kann, bis hin zur Tötung von Menschen. Diese Vorstellung hat auch eine Mitarbeiterin am Cyberprogramm der NSA dazu gebracht, bei dem Film mitzumachen, ihre Aussage wird von einer digital verfremdeten Schauspielerin gesprochen, die am Ende „enttarnt“ wird. Was dieses Gimmick soll, weiß wohl nur Alex Gibney, der mit Zero Days eine spannende Geschichte erzählt, für den das Medium letztlich aber nur Visualisierungs- und kein Erkenntnismittel ist. Einem Film vorzuwerfen, dass er kein anderer Film ist, läuft zwar ins Leere. Aber man denkt nach diesem Bombardement mit Facts zu vollkommen neuartigen Kriegstechnologien schon etwas wehmütig daran, dass uns Harun Farocki in der Post-Stuxnet-Welt nicht zur Seite steht.

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