Zentralflughafen THF – Kritik
VoD: In seinem neuen Dokumentarfilm lässt Karim Aïnouz die Kamera über das Tempelhofer Feld schweifen und fängt den Alltag in einer Flüchtlingsunterkunft ein. Daneben findet er zwischen grillenden Familien, chillenden Hipstern und Segways auch Spuren deutscher Romantik.

Die Frage, wie man eine Stadt porträtieren sollte, kann schnell zum Streitpunkt werden – schon allein, weil sich gerade urbane Orte in einem ständigen Wandel befinden und sich bei so vielen Einwohnern ohnehin nie auf nur ein Bild reduzieren lassen. Gerade in Berlin kann man gut beobachten, wie hartnäckig teilweise Alteingesessene für sich beanspruchen, die Stadt wirklich zu kennen, und dabei nicht sehen wollen, dass es diese Stadt so schon gar nicht mehr gibt. Dementsprechend werden auch Touristen und Expats als Bedrohung gesehen, die die Veränderung noch weiter vorantreiben. Und jetzt kommt auch noch ein Ausländer und will uns den Flughafen Tempelhof erklären.
Die Park-Security jagt einen Fuchs

Tatsächlich ist es kein unwichtiges Detail, dass Zentralflughafen THF von einem Brasilianer gemacht wurde. Bereits in seinem letzten Film Stadt der Zukunft (Praia do Futuro, 2014) inszenierte Karim Aïnouz sein eigenes Fantasie-Berlin, eine wilde Mischung aus Klischees und Erfundenem, umgeben von einem Schleier des urbanen Mysteriösen. Bei der Pressevorführung im Berlinale-Wettbewerb gab es für so viel künstlerische Freiheit damals überwiegend höhnisches Gelächter: Aber wie arm wäre das Kino, wenn es sich immer nur darauf beschränkte, eins zu eins die Wirklichkeit abzubilden.
In Aïnouz neuem, auf dem Gelände des Tempelhofer Felds angesiedeltem Dokumentarfilm gibt es wenig Sichtbares, das über diesen Ort hinausragt. Einmal schwebt die Kamera zu Wagners donnernder „Rienzi“-Ouvertüre in die Luft und breitet ein prächtiges Stadtpanorama aus – dafür braucht es wohl wirklich einen Außenstehenden, um an diesem zum Freiluftpark umgewandelten Rollfeld voller grillender Familien, chillender Hipster und mittlerweile leider unvermeidbarer Segways die Spuren der deutschen Romantik zu entdecken. Dass Aïnouz so viel findet, liegt vor allem daran, dass er konsequent offen und neugierig ist, seinen Blick schweifen lässt und dabei erst mal alles, was ihm vor die Linse kommt, interessant findet, ohne sich ständig damit aufzuhalten, ob etwas ins Gesamtbild passt oder vielleicht auch schon zu abgedroschen ist. In einer der schönsten Szenen des Films verdichtet sich diese offene Herangehensweise in einem einzigen magischen Moment und zeigt die Park-Security dabei, wie sie bei einer Kontrollfahrt einen wilden Fuchs entdeckt.

Aber Zentralflughafen THF hat auch ein sogenanntes ernstes Thema, wobei er daraus eigentlich nie ein Thema macht. Ein Großteil des Films spielt in der temporären Flüchtlingsunterkunft im Flughafengebäude, einer kargen Containerstadt, in der die Bewohner eigentlich nur kurz bleiben sollen, in der aber beispielsweise der junge Syrer Ibrahim schon mal über ein Jahr festsitzt. Und so wie der Zuschauer mit einer historischen Führung durch das Gebäude als Fremder an diesen Schauplatz geführt wird, so behält Aïnouz diese Perspektive konsequent bei, wenn er den Film durch Tagebucheinträge von Ibrahim strukturiert. Darin spricht dieser immer nur über das Abwesende in seiner Heimat. Von Tempelhof erzählt er erst, nachdem er auch diesen Ort wieder verlassen hat.
Lebensbejahender Erzählton

Davor wird vor allem der Alltag in der Unterkunft eingefangen. Ein bisschen verloren stehen die Bewohner hier rum, wissen nicht so recht, wie sie sich die lange Wartezeit vertreiben sollen. Die Kamera filmt sie dabei mit respektvoller Distanz und ohne den Zwang, mit jedem Moment auch etwas Konkretes zu erzählen. Man raucht etwa Shisha, albert herum oder langweilt sich auf einer Veranstaltung, die groß als Party angekündigt war, sich aber dann doch nur an die Kinder richtet. Und selbst wenn es Missverständnisse mit der Deutschlehrerin gibt oder Frust über die deutsche Bürokratie, verliert der Film nichts von seinem lebensbejahenden Erzählton. Er weiß um die Probleme, aber er gibt uns deswegen noch keinen Grund, die Menschen hier zu bemitleiden – zumindest nicht mehr als die englischen Touris, die in der Morgensonne die letzten Züge ihres MDMA-Rauschs auskosten.
Das Tempelhofer Feld inszeniert Zentralflughafen THF bemerkenswert dynamisch. So unterschiedlich die Sichtweisen der Bewohner auf ihr Gastland sind, so wandelbar ihr Heimatbegriff, so endlos formbar ist auch der Schauplatz. Es gibt den konkreten Ort mit seinem klassizistischen Flughafengebäude und den weitläufigen Startbahnen, aber er ist eben nur das Rohmaterial, das mit den eigenen Projektionen gefüllt werden muss – nicht nur von denen, für die er nur eine Zwischenstation ist.
Der Film steht bis 08.08.2022 in der Arte-Mediathek.
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