Years of Construction – Kritik
Wann wurde der ästhetische Eigenwert einer Baustelle filmisch je so herausgestellt? In Years of Construction dokumentiert Heinz Emigholz den Abriss des Erweiterungsbaus der Kunsthalle Mannheim in einem unaufgeregten Zeitraffer.

Nie war eine Architekturdokumentation Heinz Emigholz’ so von Bewegung erfüllt, so reich an Phänomenen, die ihren Ort wechseln. Auf der Tonebene spielt sich ebenso Ungewohntes ab, vergegenwärtigt sie uns doch seltener als die bisherigen den sanften Nachhall der Schritte, die Räume durchschreiten; nur hier und da sind noch raschelndes Laub im Wind und der Flügelschlag der Vögel zu vernehmen. Zerbersten, Dröhnen, Stimmengewirr kommt hinzu – wir nehmen einen Kraftakt, eine lärmenden Konstruktion wahr. In Years of Construction (2019) wird nicht mehr wie in der „Architektur als Autobiographie“-Reihe eine werkchronologische Gebäudefolge (eines Architekten) von der statischen und oft leicht gekippten Kamera umschritten, betreten, ins Detail genommen. Sie folgt, ihren Gestaltungsprinzipien dennoch treu bleibend, weitgehend einem einzigen Ensemble – wie es vergeht und neu entsteht. Die Darstellung eines Prozesses, eines Bauvorhabens in der Zeit, ist der Weg, den Emigholz’ Œuvre nun nimmt.
Analyse-Reenactment vor architektonischen Räumen
Das Interesse am Prozesshaften hat sich bereits im selbstreflexiven Meta-„Spielfilm“ Streetscapes [Dialogue] (2018) angekündigt. Hier lässt sich der Filmemacher durch einen Darsteller verkörpern, der einen tatsächlich vorausgegangenen Psychoanalyse-Marathon mit einem Architektur- und Filmästhetik-geschulten Analytiker reenactet – und das seltsam entrückt vor bzw. dezidiert im Dialog mit architektonischen Räumen, die sein Interesse wecken. Ein Prozess, da wir dem eigenartigen Vorgang beiwohnen, den Weg des Denkens vermittelt zu bekommen statt nur dessen Resultat: Emigholz’ Alter Ego beschließt im Verlauf des Dialogs, der auf den Sitzungsprotokollen basiert, denjenigen Film zu drehen, den wir gerade sehen.
In Years of Construction wurde der filmische Gegenstand an Emigholz herangetragen, dessen Weg ist ihm nun äußerlich. Die Leitung der Kunsthalle Mannheim gewann ihn dafür, den Abriss des aus den 1980er Jahren stammenden Museumserweiterungsbaus und die Errichtung des Neubaus an selber Stelle filmisch (ohne weitere Auflagen) zu begleiten. Direkten räumlichen Bezug nehmen beide Bauten auf den im wilhelminischen Jugendstil errichteten Gründungsbau von 1909. Wehrhaft-abweisend wirkt die Mainsand-Fassade; stattliche Löwenstatuen am Eingangsportal und kostbare Materialien in der zentralen Kuppelhalle unterstreichen, dass die Kunst hier noch ihren erfurchtgebietenden Tempel hat. Der zum Abriss freigegebene Bau zollt diesem noch in seiner Farbgebung und Geschlossenheit zum belebten Friedrichplatz hin Tribut. Von ihrem Zusammenspiel erzählen uns die gewohnt auf Voice-over-Kommentierung verzichtenden Einstellungen gleich in den ersten Minuten. Es beginnt 2013, wie uns eine Einblendung zu Anfang informiert, und wird sich bis 2018 in unaufgeregter, gleichförmiger Weise fortziehen. Eine Art Zeitraffer, ein filmisches Kondensieren und Pointieren also, dem jedoch jedes Überwältigungs- und Sensationsbestreben fremd ist.
Den Abriss als Skulptur begreifen

Bevor der 80er-Jahre-Bau weichen muss, findet hier noch eine finale, hochkarätige Skulpturenausstellung statt (der Sammlungsschwerpunkt des Museums). Skulptur ist im Gegensatz zur Plastik kein auftragendes, additives Verfahren, sondern eins des Abtragens, des Subtrahierens vom Ausgangsvolumen. Das Verhältnis von Materie zu umgebender Nicht-Materie, das Umschreiten und das Von-allen-Seiten-Besehen ihrer Kubatur ist der sinnliche Ausgangspunkt einer jeden. Es scheint, als würde Emigholz in der Folge die einzelnen dokumentierten Abschnitte des Gebäudeabrisses als eben solche Skulpturen begreifen. Wann wurde die ästhetische Eigenwertigkeit einer Baustelle schon einmal filmisch so herausgestellt wie in Years of Construction? Wie sich in der Folge das errichtete Betonskelett peu à peu zu einem architektonisch komplizierten Raum fügt – der partiell verglaste, nüchtern daherkommende Neubau-Kubus konfrontiert im Gegensatz zum kompakt-beengten Vorgängerbau seine Besucher im Inneren mit einer Vielzahl von Terrassen, Blicken in die Tiefe und ins Freie –, ist ein ästhetisches Ereignis für sich. Bezeichnenderweise ist man eigenartig enttäuscht, wenn sich schließlich die Rohbau-„Plastik“ des Projekts mehr und mehr seiner eigentlichen Funktionsbestimmung annähert.
In Emigholz’ bisherigen Architektur-Dokumentationen ging es primär darum, von ihm bewunderte dreidimensionale Strukturen in eine filmisch-zweidimensionale Abfolge eigenständiger Blick-Konstruktion zu überführen. Die Mannheimer Auftragssituation war hingegen so, dass er zu Beginn der Dreharbeiten noch nicht wusste, welches Neubau-Resultat letztlich vor ihm stehen werde. Ob sein Herz beim 2018er-Bau höher schlägt, ob er ihn unabhängig vom Prozess des Abreißens und Errichtens auch für darstellungswürdig erachtet hätte, ist fraglich. Aber das für den Intellekt aufregend Gestaltete ist hier eben nicht (mehr) das Thema, sondern gewissermaßen die sinnliche Qualität des Weges.
Urbane Logistik der Wegführungen

Der Neubau, der ab 2016 sukzessive Gestalt annimmt, steht baulich wie bedeutungsmäßig nicht autark, sondern korrespondiert mit dem zentralen Platz, mit den ihn durchschreitenden Menschen und letztlich der Industriestadt Mannheim. Nach dem Zweiten Weltkrieg schwer zerstört, prägt sie gerade die mitunter grobe Zusammenführung des Alten und Neuen, des Offenen und Geschlossenen. Im mittleren Teil des Films verlassen wir – vorerst irritiert – den Museumskomplex für einige Zeit und treten eine Art Entdeckungsreise durch das gerasterte Mannheimer Stadtbild bis hin zu peripher anmutenden Gebieten an. Wir registrieren eine Baustelle und verunglückte Nachkriegsmoderne, vorbeiziehende Trams und trubelige Verkehrssituationen, schließlich eine sich spiralförmig emporschlängelnde Stadtautobahn. Das unstete, betont variationsreiche und sich öffnende Innere des aus einzelnen kubenförmigen Segmenten bestehenden Museums scheint diese urbane Logistik der Wegführungen aufzunehmen.
Mit der Dauer des Betrachtens wird man angeregt, zwischen den unterschiedlichen Raumerfahrungen und -qualitäten, zwischen Mikro- und Makrostrukturen imaginäre Pfade zu errichten. Die Einstellungen von Stadt- und Museumsbau gehen eine schwer zu greifende Beziehung ein, schichten sich auf- und ineinander; gewissermaßen eine Konstruktion zweiter Ordnung. Das ist alles viel aufregender als die kurzen Blicke, die man nach der Museumseröffnung auf Wegweiser der Moderne erhascht, wie etwa Eduard Manets Die Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko. Für eine solche „Meistererzählung“ muss man schon selbst physisch die Räume betreten, die Haupt- und Nebenwege der Baujahre hingegen hat nur Emigholz auf Dauer fixiert.
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