What You Gonna Do When the World's on Fire? – Kritik

„A white guy who is learning about the struggle of black America.” Der Dokumentarist Roberto Minervini ist in einer Bar in New Orleans hängen geblieben und hat daraus einen Film gemacht. Herausgekommen ist politisches Kino im besten Sinne.

Eines Tages reist der Italiener Roberto Minervini von seinem Wohnort Houston, Texas nach New Orleans, Louisiana. Im Gepäck: die Idee für einen Film über Musik, die noch frischen Eindrücke der #BlackLivesMatter-Protestwelle nach 2013 und eine Kamera, die erst mal nicht zum Einsatz kommt. Nach ein paar Monaten landet er zum ersten Mal im Ooh Poo Pah Doo, wo er bald jeden Tag abhängen und Leute kennenlernen wird, allen voran Judy Hill, die Inhaberin der Bar. Der Filmemacher und seine zukünftige Protagonistin, so erzählen sie es in einem Publikumsgespräch auf dem New York Film Festival, freunden sich an, nach weiteren Bekanntschaften gesellt sich irgendwann Kameramann Diego Romero dazu, und es wird gedreht, stets die ganzen 90 Minuten einer Speicherkarte, ohne Schnitte. Editorin Marie-Hélène Dozo bekommt irgendwann 150 Stunden Material und entwirft einen ersten Rough Cut, dann geht sie mit Minervini weitere Monate in Klausur, und so entsteht Jahre später der zweistündige What You Gonna Do When the World’s on Fire.

Distanz und Kontinuität

Mit dieser Produktionsgeschichte lässt sich nur deshalb so gut und unkritisch einsteigen, weil man sie dem Film anmerkt. Noch mehr als in Minervinis letztem Film The Other Side (2015) behaupten die Bilder stur, sie seien nicht Vermittler, sondern lediglich Verstärker. Dabei dürfte es Minervini deutlich schwerer gehabt haben, Vertrauen zur schwarzen Community aufzubauen, die er in seinem neuen Film begleitet, als einst zu den weißen Preppern an einem anderen Rand der Gesellschaft. Andererseits: Vielleicht drückt die so erstaunliche Nähe zwischen Porträtist und Porträtierten, die man noch als Zuschauer spürt, gerade die Größe der überbrückten Kluft aus. Und bescheidene Neugier: „It’s a middle-of-the-road picture presented by a white guy who is learning about the struggle of black America,“ sagt Minervini in einem Interview.

Auch die Schwarz-Weiß-Ästhetik, der Minervini erstmals frönt, markiert diese Distanz, birgt freilich die Gefahr, eine allzu klare Grenze zu behaupten, die Existenz zweier Welten, das Eigene und das Fremde, schwarz und weiß. Doch das Monochrome zeugt eben nicht nur von Distanz, sondern auch von jener geschichtlichen Kontinuität, aus der diese Distanz erwachsen ist. Für Judy schlägt sich diese Kontinuität in der Angst vor weißer Macht nieder, sie erklärt diese Angst zum Teil der schwarzen DNA, meint das aber historisch, nicht biologisch: Männliche Sklaven habe man einst vor den Augen von Frau und Kindern verstümmelt, um eine Angst zu installieren, die das Ende der Sklaverei überlebte. Die kurze Predigt in ihrer Bar bildet ein theoretisches Ritornell, das in den drei Figurenwelten von What You Gonna Do When the World’s on Fire immer wieder nachhallt.

Drei Welten in der Welt

Da wären einmal die Jungs Ronaldo und Titus, die zwischen den Bahngleisen Verstecken spielen, die den Unterschied zwischen Race und Hautfarbe erklärt bekommen, die nicht mehr auf der Straße sein sollen, wenn dort die Laternen angehen. Da wäre die New Black Panther Party von Jackson, Mississippi, eine Wiedergängerin der 1960er Jahre in Rhetorik und Style, mitsamt der Sozialarbeit (die einzigen Weißen im Film: ein paar Obdachlose, die von den Panthers Wasser und Essen bekommen). Das Parteiprogramm, die Lesekreise, die Proteste, die militärischen Outfits, die Sprache („Tod dem Unterdrücker“, das „Black Power“ als Grußformel und politisches Amen), all das mutet so anachronistisch an, wie es die rassistischen Morde sein sollten, gegen die sie kämpfen.

Es geht hier nicht nur um Polizeigewalt oder Gang-Kriege, sondern auch um regelrechte Lynchings, die in den Medien nicht auftauchen, die von der Polizei nicht aufgeklärt werden. Der abgehackte Kopf eines Mannes wurde gefunden, die Panthers befragen Nachbarn, führen eine „people’s investigation“ durch. Ein Nebeneffekt des Films in Zeiten nach George Floyd: wie alltäglich, wie selbstverständlich das alles ist, wie überall. „Justice for Jeremy Jackson, Justice for Philipp Carroll“, rufen die Panthers Namen, die keine Chiffre mehr werden, kein Graffiti in Berlin, höchstens eben in Jackson, Mississippi.

Und da wäre Judy: Die im eigenen Zuhause vergewaltigt wurde. Die als Teenager mit den Drogen anfing. Die jetzt clean ist, aber daraus keinen missionarischen Eifer ableitet, weil sie den American Nightmare zu gut kennt, um an einen American Dream zu glauben. „Wenn du Crack rauchen musst, um dich gut zu fühlen, dann tu es“, erklärt sie einer anderen Frau unter Tränen, „und rauch für mich mit.“ Die einen Mann zum Grab seiner Mutter fährt, damit der die bösen Geister loswird, die ihn heimsuchen. Eine unermüdliche Kämpferin für die Liebe, die sich mit ihrer Bar endlich einmal etwas Eigenes aufbauen wollte: das Ooh Poo Pah Doo, das 2017 schließen muss, auch das ist eine Geschichte, die in diesem Film miterzählt wird.

Ein Spiritual wird zur Frage

Überhaupt: All diese Menschen sind keine Opfer, sondern Kämpfende, machen nicht einfach Erfahrungen, aus denen der Film als smarter Essay seine Schlüsse zieht, sondern ziehen diese Schlüsse selbst, und damit wird der Film zu einem Dokument im besten Sinne. Minervini gelingt ein Spagat, an dem manch andere politisch engagierte Filme scheitern: singuläre Schicksale in einen politischen Kontext zu stellen, sie aber nicht als Abkürzung zu nutzen, um diesem Kontext zu illustrieren, sondern als vitale Vehikel, die ihn verfeinern und schärfen. Dieser Kontext, den man, um Minervini selbst sprechen zu lassen, als „the struggle of Black America“ beschreiben kann, bezeichnet keine Identität, sondern eben jene Welterfahrung, die der Rassismus herstellt: eine Welterfahrung, in der kein Mensch ganz aufgeht und die doch unzählige Leben bestimmt; eine Welterfahrung, aus der Verzweiflung, Ernüchterung und Wut, aber auch Trotz, Widerstand und ein Gemeinsinn entstehen. Sehr viel Tod und sehr viel Leben. Auch so lässt sich das Schwarz-Weiß verstehen.

Am Ende ein Showdown zwischen der New Black Panther Party und der Polizei. „No justice, no peace.“ Die Bilder stellen die Frage aus dem Filmtitel, die wiederum einem Spiritual aus dem 19. Jahrhundert entsprungen ist, das wiederum Soundtrack Amerikas geblieben ist. Diese Frage ist keine abstrakt moralische, da steht schließlich nicht: „What would you do?“, sondern eine sehr konkrete, sehr aktuelle.

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