Warnung vor einer heiligen Nutte – Kritik

Sie sind startklar. Hocken in der Lobby eines Strandhotels und warten. Sie spielen und saufen und prügeln sich, sie vegetieren regelrecht dahin. Alle warten auf den Regisseur, doch der kommt nicht.

Warnung vor einer heiligen Nutte 1

Wie viele Regiegrößen hat auch Rainer Werner Fassbinder einen Beitrag zum metareferenziellen Kino geleistet. Warnung vor einer heiligen Nutte (1970) gilt gemeinhin als seine persönliche Standortbestimmung als Filmemacher und entstand nicht zufällig in einer künstlerischen Umbruchphase: Einer verbreiteten Lesart zufolge resümieren Filme, die den ansonsten verborgenen filmischen Herstellungsprozess nach außen kehren, eine vorausgegangene Schaffensperiode des Regisseurs. Insofern ist der Film vom Filmemachen auch ein Überwindungsversuch einer akuten Schaffenskrise. Hatte Fellini nach seinem Welterfolg Das süße Leben (La Dolce Vita, 1960) eine Phase kreativer Stagnation gerade dadurch bewältigen können, dass er aus seiner Krise einen Film machte, den sensationellen 8 ½ (1963), hatte Wenders Jahre später seine traumatische Hollywood-Erfahrung noch vor der Fertigstellung von Hammett (1982) mit der nüchternen Film-Reflexion Der Stand der Dinge (1982) zu verwinden versucht, so ist Warnung von einer heiligen Nutte als direkte Reaktion auf den Zusammenbruch des von Fassbinder mitbegründeten antiteaters zu lesen, aber auch als Versuch der Bespiegelung und Ausreizung seiner sich zunehmend verfestigenden künstlerischen Fähigkeiten.

Rein motivisch orientiert sich Fassbinder an seinen zuvor entstandenen Werken Katzelmacher (1969) und Warum läuft Herr R. Amok? (1970), die in je eigener Weise Formen zwischenmenschlicher Gewalt thematisierten. Doch geht er in Warnung vor einer heiligen Nutte über diese Fragestellung noch ein gutes Stück hinaus, indem er die an einem Filmteam vorgeführten Machtdynamiken und Momente eruptiver Gewalt auf gesellschaftliche Problemlagen rückbezieht. Seine gleichnishafte Schilderung einer Filmproduktion lässt sich ebenso sehr auf die metatextuelle Ebene des Kunstschaffens anwenden wie auf gesamtgesellschaftliche Phänomene. Damit sind zwei grundsätzliche Lesarten gegeben, die einander beständig forcieren und dem Szenario eine bemerkenswerte Plastizität verleihen.

Warnung vor einer heiligen Nutte 3

Film als Kollaborationskunst, das birgt auch abseits des in Personalunion waltenden Autorregisseurs Jeff (Lou Castel) einigen Zündstoff, der die andauernd in Beschimpfungen und Handgreiflichkeiten sich ergehende Produktionsgruppe förmlich zersprengt. Schläge werden hier zum Sinnbild für die Selbstverstümmelung einer Gruppe, deren mitunter familienähnliches Zusammenleben oft groteske Züge annimmt. Das in der Hotellobby dahinsiechende Filmteam zerfleischt sich regelrecht selbst. Gleich mehrfach schlägt der Regisseur die Frau, der er die Heirat versprochen hat, er prügelt seine Geliebte und wird schließlich selbst von der Crew niedergestreckt. Andere versuchen sich im Geschicklichkeitstest, bei dem es gilt, einander möglichst schnell auf die Hände zu schlagen – die milde, eher spielerische Form dessen, was sonst unmittelbar in physische Gewalt umschlägt, jedoch mit erkennbarer Stoßrichtung, so als erforderte es die Langeweile unentwegt, die Machtverhältnisse im Team neu zu ordnen.

Fassbinders Gruppenporträt gleicht einem sozialen Experiment, das die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten künstlerischer Synergie an seinem eigenen Mitarbeiterstab, den Mitgliedern des antiteaters, gewissermaßen wie eine Vivisektion durchspielt. Zugleich zeigt es die Abkehr von der Bevormundung durch andere und die Hinwendung zu einer autonomen Form des Filmemachens, zu der eben nicht Jeff gelangt, sondern vielmehr Fassbinder. Indem er sich dieser künstlerischen Radikalkur unterzieht, die die Kritik am Filmgeschäft, seiner „heiligen Nutte“, bereits im Titel trägt, erlangt Fassbinder selbst das Autonomieideal des Künstlers. Seinen persönlichen Lernprozess spiegelt gerade auch die Unerbittlichkeit der Darstellung wider, besonders der Despotismus eines Regisseurs (ein Reflex auf Fassbinders eigene Arbeitsweise), der die Herrschsucht zur Maxime seines Filmschaffens gesetzt hat – selten ist der Zwang zu künstlerischem Selbstbestimmungsrecht derart verstörend gezeigt worden.

Warnung vor einer heiligen Nutte 2

Wie Fassbinder selbst einmal bemerkt hat, ist Warnung vor einer heiligen Nutte vor allem ein Versuch zu zeigen, warum Gruppen nicht funktionieren können. Dass er uns – gleichwohl in den Mehrfachbrechungen des Kinos – teilhaben lässt an seiner Kunstwelt und an den Menschen hinter dem Film, betont noch einmal das im Nachspann angeführte Zitat aus Thomas Manns Erzählung Tonio Kröger (1903): „Ich sage Ihnen, dass ich es oft sterbensmüde bin, das Menschliche darzustellen, ohne am Menschlichen teilzuhaben.“ Gerade dieses Anliegen aber verhilft dem Regisseur letztlich zur Überwindung seiner eigenen Schaffenskrise – er schult sich an ihr, reibt sich an ihr auf, benutzt ihre Fülle als Formmaterial. Zurück bleibt ein Film, die Abgussform der Krise, die all das verlebendigt – die alten Wunden brechen auf und müssen noch einmal ausbluten zu Heilungszwecken, so als sollte Gleiches mit Gleichem vergolten werden. Und Fassbinder selbst gibt als cholerischer Herstellungsleiter ein Echo auf diesen vertrauten Zustand, wenn er zu Jeff sagt: „Weißt du, das Einzige, was ich akzeptiere, ist Verzweiflung.“

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