Wagenknecht – Kritik
Kein Film über Sahra Wagenknecht, kein Film für sie. Wagenknecht ist ein Film über einen Betrieb und einen Körper, der zum Performen durchs Land geschleust wird.

Es gibt in diesem Film eine tolle Szene, in der Wagenknecht das Dekor entdeckt, das Fotografen für sie aufgestellt haben: ein Vintage-Picknick auf der Wiese samt rotkarierter Decke, Holzköfferchen und alter Goethe-Ausgabe. Vor Wagenknechts Unbehagen versucht der Fotograf, die Anordnung zu rechtfertigen: Natürlich dürfe das Bild nicht allzu fern vom politischen Geschehen sein, aber für ein Entertainment-Format müsse es nun mal „authentisch“ sein und sich von den Bildern absetzen, die schon von der Politikerin zirkulieren. Außerdem müsse es ohnehin im Nachhinein autorisiert werden. Doch das überzeugt Wagenknecht nicht, sie lehnt ab.

Was Kaudelka hier bloßstellt – die Produktionsbedingungen eines Bildes, die wirtschaftlichen und politischen Zwänge, denen es unterworfen ist, die angestrebte Wirkung, das Unwohlsein der Abgebildeten, von dem vielleicht nichts zu sehen sein wird, der Abstimmungsprozess –, das macht sie für ihren eigenen Film, für ihr eigenes Bild von Sahra Wagenknecht, unsichtbar. Wie die Regisseurin und die Politikerin zueinander gefunden haben, in welchem Verhältnis sie stehen, worum es ihnen mit diesem Film jeweils geht, bleibt unausgesprochen. Die Regisseurin macht sich gar selbst unsichtbar. Nur in wenigen Aufnahmen spricht Wagenknecht in die Kamera, an der ein oder anderen Stelle ahnt man die Frage, die dem Gesagten vorausgegangen ist, es erst erzeugt hat. Meist aber herrscht der Eindruck vor, die Kamera richte nichts her, sondern finde nur vor; die Illusion der Bildlosigkeit.
Wider künstliche Authentizität

Die Fotosession ist nicht die einzige Szene, in der die plumpe Herrichtung von Authentizität auf die Schippe genommen wird. Später wird Wagenknecht von einem Journalisten zu Beginn eines politischen Interviews gefragt, ob sie für die Kartoffelsuppe die Kartoffeln stampfe oder püriere. Natürlich gibt es auf die Frage nur geniertes Lachen. Doch auch Kaudelka giert danach, der erhabenen Grande Dame mit dem ewiggleichen Kostüm und der strengen Frisur Nähe abzugewinnen. Dabei verweigert sie sich den gängigen Verfahren zur Herstellung von Authentizität. Man kann sich dem Wesen von Wagenknecht gut über das nähern, was der Film nicht ist. Es ist kein Biopic. Bis auf die – am Rande aufgeschnappte – Tatsache, dass Wagenknecht als Kind aufgrund ihres dunkleren Teints gehänselt wurde, erfährt man nichts von ihrer Kindheit, ihrem Heranwachsen, ihren Anfängen in der Politik. Auch die an das Genre geknüpfte Erwartung, hinter die öffentliche Person schauen zu können, dort, wo man besonders viel von der so begehrten „Authentizität“ wähnt, wird nicht eingelöst. Weder gibt Wagenknecht sonderlich viel von sich preis, noch folgen wir ihr – bis auf wenige Aufnahmen – in die eigene Wohnung. Ein wahrlich neues Bild stellt sich nur ein, als wir ihr beim Frisieren zu Hause vor dem Spiegel zuschauen dürfen: So sieht Wagenknecht also mit offenen Haaren aus.

Im Laufe des Films beklagt Wagenknecht, dass Argumente der Linken pauschal abgewiesen werden aufgrund des Schreckgespenstes, das die Partei für einige darstelle. Doch darum soll es nicht gehen, weder um die Partei noch um die Argumente. Wagenknecht ist kein Film über Politik, nicht im Sinne der öffentlichen Sache, nicht im Sinne eines Wettstreits der Ideen für die Gestaltung des Zusammenlebens. Es ist ein Film über den politischen Betrieb, über das Kleinteilige, das Administrative, das Glanzlose unter dem schillernden Überbau der Politik. Und damit verabschiedet sich Wagenknecht davon, ein Film über Sahra Wagenknecht sein zu wollen, ja selbst ein Film für Sahra Wagenknecht. Natürlich hält Kaudelka zu Wagenknecht – sämtliche (parteiinterne) Konflikte werden in diesem Film zu ihren Gunsten entschieden, weil die Gegenseite schlicht nicht zur Rede kommt. Doch das fällt kaum ins Gewicht, denn es geht weder um Inhalte noch um Verhalten.
Entspannung, wenn der Aufzug stecken bleibt

Wagenknecht ist ein Film über einen Körper, der befördert wird zu Orten, an denen er performen muss, um eine Nähe zu Menschen herzustellen, die man im Film vergeblich sucht. Er ist ein road movie, aber keiner auf Autobahnen, die Freiheit versprechen, sondern auf Straßen, die zur nächsten Veranstaltung, zum nächsten Interview führen, und dann durch Lobbys, Gänge, Treppen, und dann wieder weiter. „Es wäre ein Moment der Entspannung, wenn der Aufzug stecken bleibt“, sagt Wagenknecht im Aufzug und das ist, bei der Inszenierung, gänzlich verständlich. Die Politikerin ist in diesem Film etwas, das unentwegt durch die Bundesrepublik geschleust wird, eine Ressource, die disponiert wird, deren Einsatz es zu planen und zu optimieren gilt, damit sie immer wieder ihre Performance hinlegt. Wagenknecht zeigt die unermüdliche Arbeit derjenigen, die sie auf Tour schicken und stets im Auge behalten: Pressesprecher Michael Schlick, Büromitarbeiterin Sandy Stachel.

Auf Distanz zum entmutigenden Trubel geht Wagenknecht mit dem von Soufian Zoghlami eigens für den Film komponierten Sahra’s Walzer. Visuell bleibt Wagenknecht auf der Erde, in seiner zermürbenden Aneinanderreihung von Fahrt und Performance, doch mit den leichten, irgendwie amüsierten Klängen erhebt sich der Film über das Treiben, lässt unaufgeregt die Aufregung hinter sich. Vielleicht so, wie Wagenknecht, die 2019 ihren Rückzug aus der Spitzenpolitik erklärt, den Politikbetrieb hinter sich lässt. Die Ankündigung ihres Rücktritts umrahmt den Film, über Motive und Gefühle werden wir aber nichts erfahren.
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