Voyage of Time – Kritik
Neu auf DVD: In Voyage of Time streckt Terrence Malick die Welterschaffungssequenz aus The Tree of Life auf Spielfilmlänge und befreit sie vom menschlichen Drama drumherum. Im Voice-over fragt Cate Blanchett die Mutter nach dem Sinn.

„Was ist Zeit …?“, raunte Udo Jürgens’ Stimme beschwörend, in die Rolle eines Kindes schlüpfend, das seiner Mutter Löcher in den Bauch fragt über die Beschaffenheit der Welt. Auf dem Fernsehschirm war dazu eine Zeitreise vom Urknall bis zum Weltuntergang im Schnelldurchlauf zu sehen. Dem Vorspann der französischen Zeichentrickserie Es war einmal … der Mensch (Il était une fois… l’Homme, 1978) folgte ich als Kind begeistert Woche für Woche; besonders angetan aber hatte es mir die erste Folge, „Eine neue Welt entsteht“, die sich, dem Seriennamen zum Trotz, weniger unserer Spezies widmete, als die Entstehung der Erde und die Entwicklung des Lebens bunt nachzumalen, bevor am Ende die ersten noch sehr zotteligen Menschen aufrechten Ganges ins Bild tappten und Feuer machten. Der streng der Wissenschaft verpflichteten Serie gelang es in einem Handstreich, mir religiöse Flausen auszutreiben und mich zugleich mit dem erhabenen Gefühl einer Zeugenschaft des Weltanfangs zu erfüllen.
Zeugenschaft des Weltanfangs

Voyage of Time, ein Film mit demselben Sujet wie diese erste Folge, hat 40 Jahre später und um viele wissenschaftliche Erkenntnisse, technische und ästhetische Möglichkeiten reicher, also leichtes Spiel, bei mir anzudocken – selbst wenn mein Sitznachbar über das Pathos des Ganzen immer wieder leise aufstöhnt, gerade als hätte er nicht gewusst, worauf er sich hier einlässt. Ähnlich wie bei The Tree of Life (2010) war über Voyage of Time im Vorfeld zu hören, er sei ein Lebensprojekt des Regisseurs Terrence Malick, auf dessen Umsetzung er schon seit Jahrzehnten hinarbeite. Beide Filme stehen auch insofern in enger Verwandtschaft, als man Letzteren als eine extended version der berühmten Welterschaffungssequenz betrachten könnte, die im Ersteren das Familiendrama vor einen buchstäblich universalen Hintergrund stellte. Im bis in die Gestaltung einzelner Einstellungen hinein gleichen Stil wird in Voyage of Time nun also die Geschichte des Universums vom Anbeginn bis zum Zeitenende selbst der Gegenstand. Die Zeugenschaft dessen, was kein Mensch je sah, suggeriert der Film in einem so kurzen wie kühnen Close-up auf ein sich öffnendes menschliches Auge kurz nach dem Urknall.
Vom Abstrakten ins Konkrete

Die bunt wabernden Schlieren der Filamente und Voids; das junge Sonnensystem als dunkles Trümmerfeld mit glühendem Zentrum; die von Kometen bombardierte und von Lavaströmen überzogene Ur-Erde; blubbernde Quellen an noch unbelebten Ufern; Meerestiefen, in denen sich knallgelbe Moleküle zu Zellen verklumpen und Mehrzeller zu Quallenschwärmen; knutschende Fische; einsam übers Land kreuchende Saurier, denen ein Asteroid – beobachtet aus einer Felsnische mit Panoramameerblick – ein Ende macht: Salopp könnte man von einer BBC-Doku mit mehr Sinn für Ästhetik sprechen; ein mitreißender Transformationsflow vor allem in der ersten Hälfte und ihrer Betrachtung der Makro- und Mikrostrukturen der Welt, ein Fluss, der allerdings, je mehr er sich vom Abstrakten ins Konkrete begibt und je näher er dem Auftritt des Menschen kommt, in eine immer konventionellere Bildsprache mündet. Nach Naturaufnahmen von Leoparden, Elefanten und Schimpansen folgen wir schließlich einer CGI-Gruppe menschlicher Jäger und Sammler; wohlgeformte, athletische Männer- und Frauenkörper, deren Geschlechtsteile auch bei Full-Frontal-Aufnahmen stets schamhaft im Schatten versteckt bleiben. In wenigen Szenen wird der Mensch als ein lachendes, sich an Schönheit erfreuendes, seine Toten betrauerndes, sich im Spiegelbild eines Flusses erkennendes Wesen vorgestellt.

Kontrastiv in den elegischen Bilderbogen hineingeschnitten sind an einigen Stellen grobkörnige Dokumentaraufnahmen von Menschenaufläufen rund um den Globus; Bilder von Armut und Aufruhr, von Feiern und Ritualen; wie um das Hier und Jetzt mit dem großen Ganzen assoziativ zu verknüpfen. Eine These diktieren möchte der Film dabei aber nicht. Wenn er gegen Ende von frühen städtischen Siedlungen an Felswänden direkt ins nächtliche Dubai schneidet und auf den Burj Khalifa als majestätisches Zentrum zufährt, kann das ebenso gut als Bebilderung menschlicher Hybris wie als ungebrochenes Weiterschwelgen im Erhabenen gelesen werden; mit der Zivilisationsfeindlichkeit, die Geoffrey Reggios Koyaanisqatsi (1982) so schwer erträglich machte, hat Voyage of Time wenig gemein.
Mutter antwortet nicht

Stattdessen nimmt Cate Blanchetts Voice-over hier die Rolle des seine Mutter mit Fragen löcherndes Kindes ein, in mehreren über den Film verteilten mehrminütigen Intervallen, ein vor Anbeginn der Zeiten einsetzendes Raunen: Mutter, wo bist du? Wohin führst du mich? O Mutter, Abgrund des Lebens, alles erhellend – werden wir ewig zusammen sein? Wohin bist du gegangen, warum schweigst du? (In der mir leider nicht bekannten 40-minütigen IMAX-Fassung des Films soll Brad Pitt im Voice-over „more explanatory“ sein.) Die Fragen klingen so diffus gewichtig, wie sie sich lesen, und können die Zuschauernerven durchaus strapazieren – wie es überhaupt leicht ist, sich über den heiligen Ernst, mit denen der Film sich ungeschützt den Fragen nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest hingibt, zu mokieren.

Wenn man sich indes auch als areligiöser Zuschauer auf Terrence Malicks’ Spiritualität einlassen kann, hat das nicht zuletzt mit der für alle seine Filme zentralen Spannung zwischen Bild und Voice-over zu tun. Zwar bildet beides in Voyage of Time eine atmosphärische Einheit, oder eine sich in ihrer Bedeutsamkeit gegenseitig aufladende Zweiheit. Doch ist der Film, der im Abspann einen riesigen naturwissenschaftlichen Mitarbeiterstab aufführt, bei aller Schönheitstrunkenheit durchaus um eine State-of-Science-Darstellung der Ereignisse bemüht und füllt unbeantwortete Fragen – etwa der nach dem Sprung von organischen Verbindungen zum Leben – nicht mit Spekulation. Das Göttliche tritt nicht von sich aus in Erscheinung, das Voice-over trägt das Spirituelle als Bedürfnis an die Bilder heran, die Stimme eines sich nach Zuwendung und Sinn sehnenden Bewusstseins. Doch der wie auch immer geartete Ursprung, zu dem dieses Bewusstsein spricht, diese abwechselnd als gütig und grausam, allgegenwärtig und abwesend beschworene „Mutter“ gibt bis zum Zeitenende keine Antwort.
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