Viola – Kritik

Eine Shakespeare-Verfilmung? Nicht ganz.

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Zwar ist der gut einstündige Film Viola der zweite Teil einer von Regisseur Matías Piñeiro konzipierten Serie über Frauenfiguren im Werk Shakespeares – zuvor drehte er bereits den 40-minütigen Rosalind (2010), – doch mit der Viola aus Was ihr wollt hat dieses außergewöhnliche Stückchen Kino nicht direkt etwas zu tun. Piñeiros adaptiert nicht, sondern variiert, und das so konsequent, dass von der vermeintlichen Vorlage allerhöchstens Versatzstücke übrig bleiben. Was den Argentinier viel mehr zu faszinieren scheint, das ist das Spielerische des Theaters, die Körperlichkeit der Darstellung auf einer Bühne und die trügerischen Identitäten im Werk des englischen Meisters, nicht aber das Theater als Kunstform. Das wird bereits in der Eingangssequenz deutlich, in der zwei Frauen bei der Aufführung eines Shakespeare-Medleys zu sehen sind. Hier sehen wir kein verfilmtes Theater, vielmehr erobert das Kino den theatralen Raum. Kameramann Fernando Lockett schenkt der Aufführung nicht nur grandiose Großaufnahmen, sondern fängt irgendwann auch Gesichter von Zuschauern ein, lässt völlig neue Blickachsen entstehen und transzendiert so mit filmischen Mitteln die Grenze zwischen Bühne und Publikum.

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Nach dem Stück: Die Schauspielerinnen reden backstage über Privates und schminken sich ab, doch dann mischen sich Sätze ins Gespräch, die wir aus dem Stück zu kennen glauben, die irgendwie nach Shakespeare klingen und sich doch ganz natürlich in die Sprache der jungen Frauen hineinschleichen. Auch hier ist die Kamera ständig in Bewegung, geht ungewohnte Wege, streift Gesichter und Körper, lässt sich von Sprache und Gesten affizieren. Sie interessiert sich nicht für den realen Raum, sondern erschafft einen eigenen, indem sie Blicken folgt, die Flächen nach Spuren abtastet und unsere Aufmerksamkeit ständig aufs Neue dezentriert, im Hintergrund höchstens mal einen Spiegel erscheinen lässt, der den Raum vergrößert, ohne uns damit eine Orientierung zu schenken. Schnitte sind kaum bemerkbar, gehen ganz im Fluss der Tracking Shots auf, und Gegenschüsse finden frühestens ein paar Szenen später statt.

Der Shakespeare-Dialog der Eingangssequenz taucht wenig später noch einmal auf, nur dieses Mal sprechen ihn die beiden Schauspielerinnen allein, ohne Publikum, während eine der beiden darauf wartet, dass ihr Freund sie abholt. Die andere jedoch hört nicht mehr auf, kreist um den gelernten Text und um ihre Partnerin, beginnt den Dialog immer wieder von vorn, doch sind die Worte irgendwann nicht mehr wichtig. Sie verwandeln sich vielmehr in eine einzige Artikulation des Begehrens, werden zu den Waffen einer Verführungsmaschine, der wir als Zuschauer viel früher erliegen als das Objekt der Begierde.

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Man gerät leicht ins Nacherzählen bei diesem Film, weil man versucht, das Geschehene zu fassen, und wahrscheinlich geht man damit doch nur einem Zauberer auf den Leim, dessen Tricks gar nicht fassbar sind und der sie wohl nie verraten wird. Die Figuren scheinen ihre Körper zu wechseln (oder andersherum), werden ständig neu in Bezug zueinander gesetzt, wie auch die Sätze sich wiederholen, aber dabei niemals dasselbe aussagen. Ein Außen gibt es nicht in Piñeiros Welt, nur eine Blase mit ein paar Menschen. Diese Blase dehnt sich langsam aus, vom engen Raum des Theaters auf die Straßen von Buenos Aires, lässt Blicke aber stets nur nach innen zu, verhindert jeden Zugang zu irgendeiner Welt außer der vom Film erschaffenen. Keine psychologische Entwicklung, keine Handlung im herkömmlichen Sinne kann in dieser Blase stattfinden, doch lässt die in der Ausweitung immer größere Distanz zwischen den Figuren langsam einen Blick auf spannende Mikro-Geschichten zu – ob diese im Film oder in unserer Fantasie stattfinden, ist dabei zweitrangig.

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Piñeiros virtuos konzipierter, dabei aber mit der Leichtigkeit einer Fingerübung in Szene gesetzter Film ist eine Herausforderung, die man nur allzu gerne annimmt, weil er zu keiner Zeit mit einem Kunst-Habitus vorgetragen wird oder selbstverliebt seine Komplexität feiert. Violas Struktur setzt die großartigen Bilder nicht fest, sondern lässt sie leben, bringt sie allenfalls in ein Gleichgewicht, weshalb der Film niemals anstrengend, sondern ganz und gar anregend daherkommt. Diese Bilder, die man in ihrer ständigen Bewegung kaum Einstellungen nennen will, lassen uns hinter der Kamera nicht Fernando Lockett vermuten, sondern einen Shakespeare’schen Kobold, der uns immer wieder aufs Neue hinters Licht führt und ins Leere laufen lässt. Zum Glück ist es ein gutmütiger Kobold, der keinerlei Ziele verfolgt, sondern nur mit uns spielen will.

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