United States of Love – Kritik

Panorama oder Panoptikum? Tomasz Wasilewski porträtiert Leiden und Hoffnungen von vier Frauen im Polen der frühen 1990er Jahre.

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Die Kamera sitzt mit am runden dinner table in der ersten Sequenz von United States of Love (Zjednoczone Stany Miłosci). Gerichtet ist sie auf Jacek (Lukasz Simlat), der in der Bildmitte des Cinemascope-Rahmens platziert ist, um ihn herum die übrigen Teilnehmer der Abendgesellschaft. Als Iza (Magdalena Cielecka) dazustößt und von Jaceks Frau Agata (Julia Kijowska) der Runde vorgestellt wird, geht er um den Tisch und lässt sich links von der Kamera nieder, sodass sein Anschnitt im Bild bleibt, während Iza, die wir später als Schuldirektorin näher kennenlernen werden, seinen Platz in der Mitte einnimmt – und raucht, wie sie das fast immer tut in diesem Film. United States of Love vollführt schon in dieser ersten Szene seine grundlegende Bewegung, die Dezentrierung des männlichen Körpers, der als Fluchtpunkt doch immer anwesend bleibt. Zugleich suggeriert Tomasz Wasilewski direkt, dass die mal strengen und statischen, mal freien und bewegten tableauartigen Rahmungen keine Fenster sind, durch die wir auf seine filmische Welt blicken, sondern Machträume, um die seine Figuren streiten müssen. Seine Sympathie in diesem Kampf gilt den vier Protagonistinnen, ihren Hoffnungen, vor allem aber ihren Frustrationen.

Triste Totalen

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Hofft man bei den entsättigten Farben und scharf konturierten Körpern der ersten Sequenzen fast auf eine radikale Verfremdungsstrategie wie bei Roy Andersson, so enthüllen Wasilewskis Tableaus dann zunehmend ihre eher Seidl’sche Natur. Die Stilisierung dient also schließlich doch vor allem der Miserabilisierung, das dominierende Hellblau scheint kein Pastell, sondern nur ein leicht wärmeres (weiblicheres?) Grau. Dass die Welt kalt ist, in der diese Frauen und wir mit ihnen geworfen sind, das sagen uns schon die tristen Totalen eines polnischen Vorstadts-Niemandslands im Jahre 1990. Auch der Sex ist trist: Während Oleg Mutus Kamera schön das Bett ins Zentrum gerückt hat, drängt Jacek seine Frau mit heftigen Stößen immer weiter nach rechtsaußen, vögelt sie quasi aus dem Bildrahmen, bis nur noch Agatas um den Körper ihres Mannes geschlungene Beine zu sehen sind. Iza dagegen hat zwar bereits seit sechs Jahren ein Verhältnis mit dem Arzt Karol (Andrzej Chyra), nach dem Tod von dessen Frau aber nun ebenfalls ein Problem: Karol scheint es schwerer zu fallen, eine tote Frau zu betrügen als eine lebende, und so beendet er die Affäre in einem Café, steht auf und geht. Frauen, aus dem Rahmen gedrängt, im Rahmen allein gelassen.

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Der Titel ist also, wer hätte es gedacht, eher ironisch gemeint. In der Kirche wird über Liebe gesprochen, in der Schule auch, und Wasilewski hält diesen institutionalisierten Behauptungen seine Bilder entgegen, in denen Frauen vieles finden und erleben, nur die Liebe nicht. Liebe ist hier Diskurs, keine Erfahrung. Zwei weiteren Frauen, die wir im Verlaufe von United States of Love kennenlernen, schenkt Wasilewski wenigstens mal einen Walzer. Die Russisch-Lehrerin Renata (Dorota Kolak) wohnt allein mit einem Dutzend Wellensittichen und beginnt eine Schwärmerei für ihre Nachbarin Marzena (Marta Nieradkiewicz), Gymnastiktrainerin und ehemalige Siegerin einer Misswahl. Ihre Versuche, sich der deutlich jüngeren Frau anzunähern, verdrängen die Geschichten von Agata und Iza zunehmend aus dem Film, bleiben aber auf sie bezogen: Marzena ist Izas jüngere Schwester, und diese wiederum bemächtigt sich für einen kurzen Moment dann doch mal des Bildes, aber nur, um Renata zu erklären, dass eine jüngere Kollegin sie bald ablösen wird.

Verhängnisvolles Konzept

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Was dem Film schließlich vor allem zum Verhängnis wird, ist seine erst allmählich durchschimmernde Konzepthaftigkeit. Legt sich das Episodische zunächst noch deutlich weniger penetrant über die Handlung, als es in vergleichbaren Filmen zumeist der Fall ist, scheinen die Schicksale dann doch irgendwann wie bloße Illustrationen eines gesamtweiblichen Leidens – ohne dass United States of Love sich diese Allgemeingültigkeit durch ein Interesse an patriarchalen Strukturen zumindest verdienen würde. Auch das Setting des Films kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erscheint dann eher wie ein Alles-kann-nichts-muss-Angebot – denn wer wollte tatsächlich noch behaupten, dass Freiheit wirklich Freiheit bedeutet.

Der Verzicht auf Schuss-Gegenschuss-Abfolgen zugunsten breiter Tableaus ist somit zugleich Stärke wie Schwäche des Films. Mit der Setzung des Bildes als ein von Machtverhältnissen durchzogener Rahmen geht Wasilewski seinem Sujet konsequent filmisch auf den Grund, schafft aber zugleich einen ordnenden Blick, der selbst ein machtvoller ist. Das Panorama wird zum Panoptikum. So tobt im Inneren des Bildrahmens schließlich doch kein Streit, sondern artikuliert sich ein weibliches Leiden, das diesen Rahmen zu keiner Zeit sprengen darf. Wieder mal ist die Strenge des Kaders nicht analytische Schärfe, sondern pessimistische Einstellung. Vor allem vom Schlussbild rückblickend scheinen die Machtpositionen im Bild nicht in dem Maße umkehrbar, wie es die Bewegungen der Figuren zu Beginn noch zu suggerieren scheinen, nicht offen für Konflikte, sondern von vornherein verteilt.

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