Under the Silver Lake – Kritik
David Robert Mitchell gräbt sich durch die Kulturgeschichtsschichten über L.A. und dreht den Film, der nach La La Land quasi notwendig wurde.

Unterhalb des Schriftzuges in den Hollywood Hills: ein Gräberfeld. Hitchcock liegt hier beerdigt; kein Vorname auf dem Grabstein, jeder weiß, wer gemeint ist. Und an allererster Stelle weiß es David Robert Mitchell, der in seinen neuen Film Under the Silver Lake gleich einmal den „Vertigo-Effekt“ hineinschraubt – diese schwindelerregende Blickzerreißung, gestiftet von einer zugleich rückwärtsfahrenden und vorwärtszoomenden Kamera. Zerrissen wird der Blick auf einen jungen, einigermaßen nerdigen, nicht selten mit Pyjamahose und zerlegen-abstehendem Haar ausgestatteten Mann (Andrew Garfield), der nie bei einem Namen genannt wird – ein Mann ohne Beruf, mit einem schicken, leider zerkratzten Auto, noir-typischen Lamellenjalousien vor den Fenstern und einem Fernglas, mit dem er hinüberstalkt in die umliegenden, von halbnackten Frauen bewohnten Apartments (unnötig, den Hitchcock-Verweis an der Stelle noch zu explizieren). Die Motive des Classical Hollywood leben hier noch nach; sie wurden gewissermaßen in die Stadt (Los Angeles) eingemauert, die Lamellen wurden nicht abgenommen, aber das Classical Hollywood ist auch tot, wurde begraben – begraben auf dem Friedhof seiner Vertreterinnen und Vertreter, begraben unter den neueren Schichten, die die Super-Mario-Popkultur hinterließ, unter den Schichten einer zeitgenössischen Hipster-Fancyness mit ihrer neuen Jesus-Spiritualität und grenzidiotischen Tanzperformances mit platzenden Luftballons. Wenn man einen dieser Filme von früher – diese farblosen, oft auch tonlosen Filme – anschauen will, muss man den Videorekorder herauskramen, der schon lange nicht mehr fest an den Fernseher angeschlossen ist.
Kulturschichten

Durch ein multi-gelayertes Los Angeles bewegt sich dieser junge Mann. Er ist auf Spurensuche. Seine Nachbarin Sarah (Riley Keough) – blondes Haar, weißer Bikini – hatte ihn noch mit einem sauberen Kuss und einer kleinen Füßelei beschenkt, dann verschwand sie und hinterließ eine bis auf die Küchenzeile und eine liegen gebliebene Pappkiste geräumte Wohnung. Enttäuschung zieht auf im Gesicht des spontan Verliebten – dann: fragende Nachdenklichkeit. Eine seltsame Rune wurde hinter Sarahs Zimmertüre an die nackte Wand gepinselt, eine Art eckiges Unendlichkeitszeichen, ein Hobo-Code, den es zu entschlüsseln gilt und dessen Entschlüsselung zu neuen Rätseln und neuen Geheimnissen rund um das Abrauschen der classicalhollywoodbildhübschen Nachbarin führt. Poolpartys, Rockkonzerte, Friedhofhappenings. Fancy people, Schauspieler- und Modelmilieu, Hipster-Hippies.
Müslipackungsschatzkarte

Mitchells Film betreibt, angetrieben von seiner suchenden, mit einem riesigen Chiffrenhaufen konfrontierten Hauptfigur eine Art Archäologie der Stadtgeschichte. Texturen vergangener Jahrzehnte zeigen sich, sie haben etwas Freskenhaftes, haben schon ineinander übergefärbt, überlappen sich, wie das Billboard-Plakat einer für Kontaktlinsen werbenden Brünetten, das bereits zur Hälfte mit einem McDonalds-Lustmacher überklebt wurde. Hinweise auf den Verbleib von Sarah findet der schlaksige Romantiker, der, von einem Stinktier angepinkelt, den Film über einen beißenden Geruch hinter sich herzieht, etwa im „Nintendo Power Magazine“ oder auf der Schatzkarte einer Müslipackungsrückseite. Ein suizidaler, weltverschwörungswahnsinniger Comic-Autor oder die ein oder andere Dame im Party-Outfit helfen mit, kennen jemanden, der jemanden kennt, der in Sarahs Umfeld stand. Und so bleibt der junge Mann im Schlendern, Schlurfen und Stolpern – hindurch durch ein von verschiedenen historischen Moden eingekleidetes und entsprechend auch ganz schön weirdes Los Angeles auf der Suche nach dieser jungen Frau, die aus der Schwarz-Weiß-Filmgeschichte zu stammen scheint.
Super Mario und eine Stummfilmdiva

Under the Silver Lake ist aber nicht einfach nur eine filmische Aneinanderreihung von kulturgeschichtlichen Codes und Referenzen, von der Hitchcock’schen Blickstruktur über Kurt Cobain’schen Grunge-Underground bis hin zum Jump-’n’-Run-Freizeitvertreib – er ist (und das ist ein Unterschied) die Verklebung, die Verleimung dieser Codes. Genau das macht es ja auch so schwierig für den Liebesgetriebenen: die Wahrheit, die er sucht, liegt zwischen Pizzakartons und Hollywoodgruften, zwischen James-Dean-Büsten und Groschencomics, zwischen Super Mario und Stummfilmdiven, zwischen Splatter-Gewalt und Film-noir-Lamellen. Und genau in diesem Sinne ist Mitchells Film auch nicht von der Fantasie getrieben, Vergangenes wiederzubeleben (wie das etwa kürzlich in Damien Chazelles La La Land (2017) der Fall war), er ist vielmehr dessen sorgfältig-archäologische Freilegung, er bewegt sich durch ein Spurensystem, das sich mit der Zeit verrätselt hat, in dem es zu Auslöschungen kam, in dem es tote Enden und Winkel gibt, in dem sich Schichten miteinander verklebt haben. Mitchells Blick auf die Kulturgeschichte ist immer auch ein Blick auf deren Sepulkralgeschichte, auf die Gräber und Gruften, auf unterirdische Höhengänge, die man durchqueren muss, will man den Indizien folgen, die zu der verschwundenen Sarah führen. Das macht Under the Silver Lake zu einer äußerst klugen (und gerade auch angesichts von La La Land, der die Kulturgeschichte eher fledderte als exhumierte, sympathischen) Spurensuchstudie durch die kulturellen Zeichensysteme, die sich über die Jahrzehnte hinweg über Los Angeles abgelagert haben und die teilweise schon in den Boden eingesickert sind.
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