Una Primavera – Kritik
VoD: Die Mutter der Regisseurin lässt sich scheiden, Kamera und Tochter sind nicht abzuschütteln. Beide suchen in Una Primavera nach einer Haltung zum Geschehen.

Die Frau im Auto weint. Mit rotem Mantel und grauen Haaren sitzt sie am Steuer des kleinen Wagens, der sich entlang der Straßen am Hang eines Tales bewegt. Die Frau weint nicht lautlos, aber doch leise, leiser zumindest als der italienische Popsong, der aus dem Autoradio schallt. Kontinuierlich hält die Tochter der Frau, Beifahrerin und Filmemacherin, die Kamera auf das Gesicht der Mutter, auf die goldene Brille, unter deren Rändern die Tränen hinauslaufen. Draußen im Tal scheint die Sonne. Nur ein paar Wolken sind am Himmel zu sehen. Endlich lassen Kamera und Tochter vom weinenden Gesicht ab und lassen ihren Blick zu dem schweifen, was außerhalb des Autos im Tal liegt. Beide starren in den anderen Abgrund, mit der Hoffnung zu verstehen, was dort vielleicht vor sich geht.
Einen Moment der Tapferkeit einfangen

„Ich habe mich entschlossen, mit dem Filmen zu beginnen, um einen Moment der Tapferkeit einzufangen, als Zeichen meiner Bewunderung und Dankbarkeit“, erklärt die Tochter in Una Primavera zuvor per Voice-over. Fiorella Di Gregorio, die weinende Frau aus dem Auto, hat Ehemann und Haus verlassen und die Scheidung eingereicht. Übergangsweise wohnt sie bei der Tochter in Berlin, die fix die Kamera anwirft, um ihren Emanzipationsprozess festzuhalten. Der Titel von Valentina Primaveras Dokumentarfilm stimmt deshalb eigentlich nur so halb, ist erdrückende Rollenzuschreibung von außen wie eigener Wunsch der Filmemacherin nach einer Familienzugehörigkeit und einer Identifikationsfigur, die Mutter Fiorella, so scheint es im Laufe des Films, unbedingt sein soll.

Noch-Ehemann Bruno ist in Una Primavera manchmal auch zu sehen, zumeist von hinten oder in der Ferne; er bekommt auffällig wenig Screentime. Während er und das Haus in Italien statische Punkte der Erzählung bleiben, an die es sich zurückkehren und an deren Stagnation sich verzweifeln lässt, bleiben Fiorella, Valentina und die Kamera in Bewegung. Gesprächssequenzen zwischen Mutter und Tochter werden beiläufig in der Küche in Berlin, im Wäschekeller des alten Hauses und eben im Auto aufgenommen, beim Eisessen auf der Straße – oder auch, als die Mutter das Bett der Tochter bezieht, die das doch inzwischen alles ganz gut alleine hinbekommt.
Die Erschöpfung überwiegt

Obgleich Valentina Fiorellas Entschlossenheit zur Trennung zeigen möchte, überwiegt in der Betrachtung von Una Primavera die Erschöpfung: „Es ist nun leider so. Das Leben ist scheiße“, sagt Fiorella einmal, und ihr ist die Überwindung anzumerken, die so ein Satz gegenüber der Tochter und der Kamera (beide lassen sich nur im Doppelpack denken) kostet. Sie spricht über frühere Frühgeburten und Gewalterfahrungen nach der Heirat mit Valentinas Vater, blickt verzweifelt und frustriert auf ihr Leben als zu junge Mutter, Haus- und Ehefrau zurück. Beinahe entschuldigend sagt sie einmal zur Tochter: „Niemand hat mir beigebracht, wie das geht.“

Dieser Modus der Frage danach, wie „es“ denn geht, lässt sich auf die Bildgestaltung des Filmes der Tochter übertragen: Wie lässt sich das Trennungsszenario der eigenen Eltern filmen, in das Kind und Kamera plötzlich hineingeraten sind? Wie kann ein Streit am Telefon ins Bild gesetzt werden, wie die angespannte Fiorella auf dem Weg zum Gericht in der Lederjacke, die sie sich am Vorabend schon rausgelegt und testweise angezogen hat? Der Zwang zur Positionierung der Kamera ist in Una Primavera eine Suche der Tochter nach einer Haltung zu dem Geschehen, das sie da filmt. Manchmal nutzt Primavera den Zoom, ohne erkennbaren szenischen Anlass, als wollte sie testen, welcher Ausschnitt jetzt der passende ist, was denn im Bild bleiben muss und was wegfallen kann. In seiner Form testet der Film das richtige Maß von Nähe und Distanz aus, etwas, was ihm seine Figuren gleichtun. „Du bist nervig“, sagt Fiorella zu Valentina und schleckt an ihrem Eis weiter. Kamera und Tochter sind einfach nicht abzuschütteln.
Die Echokammer Familie
Wofür wird hier eigentlich gefilmt? Es wirkt so, als helfe die Präsenz von Kamera und Tochter Fiorella, Dinge in Worte zu fassen, damit sie einen Abstand zu sich und dem Leben gewinnt, das sie glaubt verschwendet zu haben. Dabei tut der Film mehr für seine Protagonist*innen als für sein Publikum. Was Una Primavera dennoch zeigt: Die Echokammer Familie, die zu jedem Thema eine Meinung hat, in der Aussagen der Angehörigen einander gegenüberstehen und alles immer nicht so einfach ist; was Häuser in früheren Generationen bedeutet haben; wie sich Altwerden und Liebeskummer manchmal anfühlen kann und man sich selbst merkwürdig entglitten ist; die immerwährende Hoffnung darauf, dass es bald anders wird. „Ich will ein Lotterielos kaufen, ein Rubbellos“, sagt Fiorella im Auto. Als die Tochter nur mit Unverständnis reagiert, dreht sie sich zur Kamera und lächelt: „Wir könnten gewinnen.“
Der Film steht bis zum 25.11.2021 in der 3Sat-Mediathek.
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