City of Darkness – Kritik

Eine kleine Enklave in Hongkong wird von einem übermächtigen Außen bedroht. In zwei Modi kommt Soi Cheangs City of Darkness zu sich: bei maximaler Verkitschung und bei maximaler Gewalt – beides atemberaubend choreografiert.

Im Jahr 1898 hatte Großbritannien das ganze heutige Hongkong zu seiner Kolonie gemacht. Ganz Hongkong? Nein. Eine nicht weiter genutzte militärische Bastion in Kowloon blieb im Besitz Chinas. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das inzwischen verfallene Gebiet zunehmend besiedelt. Da es aber weder von China noch von der britischen Kronkolonie nachhaltig beansprucht wurde, entstand eine rechtsfreie Zone, in der sich kontrolllos gebaute Hochhäuser ineinanderschachtelten. Zeitweise war es das dichtbesiedeltste Gebiet der Welt. Das Leben dort war billig und steuerfrei, aber auch ein riesiges Provisorium mit niedrigstem Standard. Wegen des kaum vorhandenen Abstands zwischen den Gebäuden und der ewig dunklen Gassen dazwischen erhielt Kowloon Walled City den Spitznamen Stadt der Dunkelheit. Erst kurz vor der Rückgabe der gepachteten Kolonie an China wurde ihr ein Ende gemacht und an der Stelle ein Park gebaut.

Einer für alle, alle für einen

Diese kurze Geschichtsstunde ist keinesfalls nötig, um City of Darkness (Jiu Long cheng zhai wei cheng / Twilight of the Warriors: Walled In) zu verstehen. Doch sie weist darauf hin, dass eine der zentralen Qualitäten des Films, sein Setting, bei aller Übertreibung doch in der Realität fußt. Die dünnen, nassen Gassen, überdacht mit dichtem Kabelsalat, die kreuz und quer verteilten behelfsmäßigen Brücken zwischen den wenigen nicht ansatzlos ineinander übergehenden Gebäuden, die eingefallenen Wände, das Ruinenhafte dieses menschlichen Ameisenhaufens, in dem bis zu 14 Stockwerke mit Leuten vollgestopft sind, die Sonne, die doch hier und da genossen wird: Es scheint das fantastische Gebilde einer postapokalyptischen Vision sein, die hier fast jedes Bild dominiert, und doch ist es wohl nicht weit von der Realität entfernt.

Chan Lok-kwan (Raymond Lam) kommt nun als Flüchtling ohne Ausweispapiere und Visum nach Hongkong. Er endet auf der Flucht vor Gangstern in der Walled City, in der er – nach ein paar Anlaufschwierigkeiten – eine nie gekannte Solidarität unter den Bewohnern findet. Es folgt eine recht simple Story über Chans bedeutungsreiche Herkunft, über jahrzehntealten Rachedurst und die Bedrohung des gefundenen Paradieses durch die Invasion auswärtiger Triaden. Mit aller Macht muss die Walled City verteidigt werden. Heldenmut, Besonnenheit und Zusammengehörigkeit werden im Kampf gegen blutrünstige Gier und Niedertracht beschworen. Zuweilen wirkt es, als liege es Chan und seinen drei Mitstreitern schon auf den Lippen, aber es weht lediglich unausgesprochen durch den Film: Alle für einen, einer für alle.

Hartes trifft auf Weiches

Die gemächlich herausgearbeitete Verbindung zwischen den diversen Protagonisten – unter anderem Louis Koo als Cyclone und milder, weiser Hüter der Walled City und Sammo Hung als Triadenchef, der nach der Übernahme dieses Gebiets giert – gehört durchaus zu den Schwächen des Films. Das so aufgebaute Gangsterepos wirkt fast schon störend und ist sichtlich nur aufgeplusterter Stichwortgeber für den eigentlichen Konflikt. Einen Schwarz-Weiß-Konflikt, der sehr simpel ist, aber dadurch nicht weniger effektiv.

In zwei Modi kommt der Film also zu sich. Einerseits, wenn das menschliche Miteinander maximal verkitscht wird. Wenn die Welt nur noch aus niedlichen Kindern, helfenden Händen für Ausgestoßene und dem glücklichen Abhängen mit Freunden besteht. Wenn mit wenigen Pinselstrichen etwas gezeigt wird, das schützenswert ist. Dem steht andererseits das gegenüber, was außerhalb dieser gelebten Solidarität lauert: Gewalt. Große Teile des Films bestehen aus Schlägereien, in denen geräuschvoll Knochen brechen und Körper aufgeschlitzt werden, in denen immer wieder Hartes auf Weiches trifft und das Sausen von Klingen durch die Luft akustischem Terror gleichkommt.

Da wir einen Film von Soi Cheang schauen, ist das alles aber atemberaubend choreografiert. Wo Sammo Hung – hier sichtlich vom Alter und seinem kaputten Knie gezeichnet – zu seiner Hochzeit Kamera, Schnitt und Körper in seinen Kampfchoreografien zum Tanz bat und Intensität mit Schönheit vermählte, da ist Cheangs Film nur mehr auf maximale Wirkung ausgerichtet. Nicht, dass es nicht auch schön wäre, wenn die Kontrahenten sich durch ein dreidimensionales, enges, ruinöses Häusergeflecht schlagen, aber vor allem geht es um Schmerz und dessen kinetische Spürbarmachung – auf dass nie ein Zweifel aufkommt, dass außerhalb der Gemeinschaft der Walled City nur Qual und niederschmetternde Einsamkeit warten.

Der Übermacht durch Zusammenhalt trotzen

Was uns wieder zur Geschichte Hongkongs bringt. Im Jahr 1982 wurde beschlossen, dass die Kronkolonie 1997 an China zurückgegeben werden solle. Es gibt viele Gründe, warum die 1980er und 1990er die goldene Zeit des Hongkongkinos waren, nicht zufällig umfasst sie auch eben die 16 Jahre, in denen die Bewohner mit dieser bangen Zukunftserwartung leben mussten. Am Grund von Action-, Horror-, Katastrophen- und Liebesfilmen fand sich verschlüsselt immer wieder die Angst davor, Teil der Volksrepublik zu werden und die eigene Identität zu verlieren. Wenige Jahrzehnte, viele Beschneidungen des Sonderverwaltungsstatus und niedergeschlagene Demonstrationen später war es sicherlich keine unbegründete Angst.

City of Darkness, der ursprünglich schon zu Beginn der 2000er Jahre geplant war, handelt von einer kleinen Enklave, die von einem großen Außen und einem irre lachenden, übermächtigen Kämpfer bedroht wird. Kaum verdeckt geht es um den lokalen Widerstand eines kleinen Dorfes und die Gegenwehr gegen endlose Schikane. Und genau darin – in seiner Wut – findet der Film zu seiner eigentlichen Emotionalität. Trotz abgeschnittener Finger, zerstörter Gesichter, trotz endlos aufeinander einschlagender Fäuste, Füße, Stangen und Messer muss es immer weitergehen, muss der Übermacht durch Zusammenhalt getrotzt werden. Um das zu verstehen, braucht es bei Cheangs Film keine Geschichtskenntnis, sondern nur Augen zu sehen und Ohren zu hören. Das zum Nachfühlen Nötige lässt er dann schon über uns hereinbrechen.

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