Turn in the Wound – Kritik

Berlinale 2024 – Special: Die Kamera in Abel Ferraras Film über den Ukrainekrieg arbeitet mit demokratischer Vulgarität – egal ob Bürgerin, Weltstar oder Staatschef, der Zoom erwartet sie alle.

Abel Ferrara hat Fragen. Warum eine Nation einfach eine andere Nation unterwerfen will? Wohin dieser Krieg am Ende noch führen soll? Welche Rolle Kunst darin spielen kann? Der Film, der sich daraus entwickelt, findet erwartbare Antworten, ohne sie jedoch dem Zuschauer in ein ideologisches Korsett zu schnüren. Am meisten Diskussionsstoff gibt Ferrara damit, dass er seinem Bodenbericht in der Ukraine ein Tour-/Künstlerporträt von Patti Smith gegenmontiert. Smith performt Antonin Artaud, René Daumal und Arthur Rimbaud, eröffnet aber mit einem Ratschlag: Wenn Kunst es ermöglicht, unsere Gedanken und Gefühle zu materialisieren, dann ist es Aufgabe des Künstlers zu erkennen, wann ein Gefühl sich nicht zwangsläufig in seiner Kunst materialisieren muss. Loslassen lernen, den eigenen Ausdruck so einschränken, dass das, was man sagt, auch ein Ausrufezeichen setzen kann. Eine bemerkenswert schöne und in sich radikale Bewegung – kunstlose Kunst –, und Ferrara verbringt die nächsten 70 Minuten damit zu zeigen, dass er Smiths Ratschlag erhört hat,aber ihn (noch) nicht leben kann. Er muss filmen, fragen und zeigen.

Vertraute Bilder

Das Ethos seiner letzten Filme war es, den Leuten Bilder zu schenken – ohne Gebrauchsanweisung oder Referenzsystem, aber mit all der Freiheit, sie für sich selbst einzuordnen. Es waren persönliche Bilder (Tomasso, 2019 und Siberia, 2020 ), historische Bilder (Padre Pio, 2022) und auch bereits Kriegsbilder (Zeroes & Ones, 2021). Die Bilder hier sind in ihrer Machart deswegen durchaus vertraut. Digital verschleimt, sich ineinander und auseinander konfigurierend. Ein konstantes Fragen nach und Zeigen einer Welt, die Ferrara entrückt ist und er wieder verstehen will. War es Ferrara früher egal, ob man das Mikrofon im Bild sehen kann, zeigt er es dieser Tage bewusst zusammen mit dem Produktionsteam. Er filmt dabei selbst auf seinem iPhone, zoomt auf ein wehendes Kopftuch im Wind, eine vorbeifahrende Radlerin, zoomt generell hin auf Gesichter und wieder zurück, als gebe dieses Vorstoßen ihren Worten noch mehr Druck. Die Kamera arbeitet dabei mit einer demokratischen Vulgarität – egal ob Bürgerin, Weltstar oder Staatschef, der Zoom erwartet sie alle. Erst in einem tristen Hotelzimmer kommt die Kamera zur Ruhe. Dort wartet ein Mann, der dem Freiheitskampf seinen Arm und linken Zeigefinger gab und sehr ruhig und rationalisierend von seinem Überleben und den Zielen berichtet.

Der Rest des Krieges ist pure cinema – laufende Übergänge zwischen Patti Smiths Bühnenbild und Kriegsaufnahmen –, das etwas durch die oben beschriebenen Interviews aufgefangen wird. Das findet manchmal seinen Ausdruck in modernem militantem Kino. Wir sehen Aufnahmen von Soldaten, die mit ihren Raketenwerfern zwei Helikopter abschießen. Als sie ihre Raketen von sich sprühen, taumeln sie langsam dem Wasser entgegen und werden dann von ihm verschluckt. Ein General führt danach die Todeszahlen aus: Zwei Piloten und zwölf Fallschirmjäger pro Helikopter. Ferrara nickt. Selenskyj unterstellt später der gesamten russischen Bevölkerung eine Art von Autoritätsdrang, ihre Gehirne seien zu klein, um selbst zu denken, zu träumen, weswegen Putin es für sie tue. Ferrara nickt erneut. Es ist hier, wo der Film etwas zu leicht nachgibt, etwas konsequenter hätte nachfragen können. Ferrara wird es egal sein, die Filme sprechen dafür.

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