Tournée – Kritik
Der Dompteur des Spektakels: Tournée ist doppelbödig, überraschend und menschelt in unerwarteter Düsternis.

Als Mathieu Amalric mit Tournée das letztjährige Festival von Cannes eröffnete, schloss sich, retrospektiv betrachtet, ein Kreis. Amalric war und ist fraglos einer der wichtigsten, vor allem charismatischsten Schauspieler des zeitgenössischen Kinos. Kenner der französischen Films schätzen ihn schon länger, im Mainstream ist er spätestens als Bösewicht im letzten Bond-Streifen Ein Quantum Trost (Quantum of Solace, 2008) angekommen. Dass sich der Pariser jedoch seit gut zwei Dekaden auch als Regisseur versucht, ist der Kinoöffentlichkeit bisher weitestgehend entgangen. Mit Tournée nun bewegt sich Amalric erstmalig sowohl vor wie hinter der Kamera und reflektiert dabei auf clevere, sacht melancholische Weise die Tücken des Schauspielführens und die Schatten des Rampenlichts.

Rein thematisch eignet sich Tournée ganz famos als Auseinandersetzung mit dem Showbiz: Es geht um Amerika und um Frankreich, um die Bande zwischen Schauwert und Gefühl. Amalric selbst spielt Joachim, einen zutiefst neurotischen, von allerlei schwer durchschaubaren Wünschen und Ängsten getriebenen Produzenten. Irgendwas scheint schiefgelaufen zu sein früher, in Frankreich, genauer in Paris. Auf jeden Fall ist er wieder da, zurück aus den USA mitsamt einer Truppe komischer Vögel und einer Show. Die New Burlesque ist ihr Metier, jene in den späten „Noughties“ frenetisch zelebrierte Wiederkehr des Varietés, der Korsetts, des Absinth, der unterhaltsamen Sünde. Aber Amalric speist uns nicht ab mit den medienwirksamen Aushängeschildern der Bewegung, den von Teeses, Dresden Dolls, Christina Aguileras. Nein, die Frauen (und ein Mann) von Tournée sind the real shit, die Vorreiterinnen dieses post-emanzipatorischen, pro-lesbischen female-power-Bühnenspektakels. Mimi Le Meaux, Dirty Martini, Roky Roulette, so klingen die Namen dieser Welt.

Ja, schrill geht es zu auf und hinter der Bühne, viel Alkohol (bevorzugt Champagner), viele Federn, viel Schminke, viele, viele große Brüste usw. Aber, zugleich verwunderlich und bewundernswert: Der Film an sich ist weder schrill noch effekthaschend, noch beutet er die Nacktheit seiner Stars aus. Die Auftritte der Damen sind Highlights, nicht weil Amalric sie filmisch aufgedonnert hätte, sondern weil sie beizeiten einfach gut sind, frivol, witzig, klug. Diese laute Truppe Amerikaner kommt in Frankreich ins Träumen und ins Trauern; das Heimweh, die Fremde und bestimmt auch ein tiefer wunder Punkt in ihnen allen und inmitten ihrer lauten Welt formen schräge, verschrobene Harmonien.
Tournée ist ein eigenartiger, vielleicht auf gewisse Weise gescheiterter Film, erratisch, hilfesuchend, weich in Form und Inhalt. Seine unerklärte Freiheit zwischen Doku und Fiktion lässt ihn manchmal richtungslos schweben, viel wirkt improvisiert. Das hingebungsvolle, professionelle Spiel Amalrics und die (filmische) Laienhaftigkeit der Anderen können sich gerade in handlungstragenden Szenen nicht immer finden, bleiben einander fern.

Aber das Skelett, die reine Form des Burlesque ist und bleibt der Striptease, und das hat Amalric verstanden. So zieht er seinem Film immer wieder die Kleider aus und an, entblättert Figuren und Inszenierung, stößt dabei aber niemals auf Grund. Deutet der ganze Schein überhaupt noch auf irgendeine Substanz? Wenn ja, ist sie so verschüttet im Gewühl der Eitelkeiten und Gefühle, dass man sie genauso gut verloren geben darf. Man stelle sich einen verrückt gewordenen Bühnenvorhang vor, der sich unablässig schließt und öffnet, Licht darf passieren, dann wieder bleibt alles dunkel, während die Schauspieler zwischen Bühne und Zuschauerraum frei defilieren, zwischen wirklicher und filmischer Präsenz: Nichts ist klar, alles ineinander geschoben, einander überlagernd, alles ist und nichts ist Show, oder echtes Leben. Für diese zutiefst ehrliche, essenzielle Hilflosigkeit kann man Tournée wirklich lieben.
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