Tomb Raider – Kritik
Ladies first: Mit einer schönen Glanzpatina im Gesicht und Dekolleté macht sich Lara Croft in der neuen Computerspiel-Adaption auf die Suche nach ihrem Vater. Wenn gerade nicht gerast und gehauen wird, wechselt der Film in den Modus der sepiagetönten Sentimentalität.

Wer im neuen Tomb Rainer eine interessante weibliche Figur vermutet, wird enttäuscht werden. Der Film hat ein Computerspiel gleichen Titels als Vorlage, und das wiederum basiert auf Magie, Verschwörungstheorien und Archäologie einer inzwischen aus der Mode gekommenen Couleur. London ist der Schauplatz, bald darauf aber schon Japan, das Teufelsmeer muss überquert werden, bis man auf einer einsamen, vermeintlich unbewohnbaren Insel landet. Man absolviert verschiedene Parcours entlang vertrauter Plotline, in puncto Reaktion und Motorik ist alles passgenau.
Rätselreim- und Zauberwürfel-Dramaturgie

Ein sehr modernes Detail in der Charakterzeichnung: Die junge und reiche Erbin Lara Croft (Alicia Vikander) arbeitet für eine Firma namens „Snack Cycle“ als Fahrradkurierin. Ihr erstes Abenteuer – eine spektakuläre Verfolgungsjagd im geschäftigen Stadtzentrum – könnte den Marketingabteilungen aller Essenslieferdienste als schöne Werbeblaupause gute Dienste leisten. No Oxford, no Cambridge – selbst wenn Lara Shakespeare zitiert, ohne es zu merken, bündelt sich ihre ausgezeichnete Bildung vor allem im Bogenschießen und obskurantistischen Volksglauben. Lord Richard ist seit Jahren verschollen, und Lara Croft wäre nicht Lara Croft, würden nicht alle Gedanken und alles Bestreben dem Auffinden des geliebten Vaters gelten. Wenn also nicht gerast und gehauen wird, wechselt der Film in den Modus der sepiagetönten Sentimentalität. In den Rückblenden ertönt mit wenigen Variationen ein und derselbe Satz: Dad loves you, Sprout. I love you too, Dad. Papa liebt Lara, Lara liebt Papa, um diese Liebe herum ist die ganze Geschichte aufgebaut. Die Tochter will in seine Fußstapfen treten, um die Welt zu retten. Vor der japanischen Küste, hinter dem Teufelsmeer, auf der mysteriösen Insel also befindet sich das Grabmal der Kaiserin Himiko, das – einmal in die falschen Hände geraten – zu einer Büchse der Pandora werden könnte.
Ladies first

Und schon knackt es, die Zahnräder rollen, das Programm der sich von alleine öffnenden und schließenden Türen, die Rätselreim- und Zauberwürfel-Dramaturgie, die Abfolge von dunklen Untergründen, steilen Treppen, sich einstürzenden Böden und geheimen Räumen hinter geheimen Räumen. Videokameras mit darauf aufgezeichneten Botschaften, Tagebücher mit detailgenauen Anleitungen werden gefunden und gestohlen, koloniale Souvenirs – davon sehr viele – schmücken die Bilder ohne Bedenken und Brüche. Die jahrhundertalte Mechanik läuft in Tomb Raider also auf Abruf wie geölt weiter.

Lara trägt einen Tanktop, hat lange Haare und schöne Glanzpatina im Gesicht und Dekolleté. Außerdem hat sie Kontrahenten, die allesamt leider uninteressant und ihrer nicht würdig sind. Diese gemeinen Männer stehen vor jedem neuen Rätsel unnütz da, und dann heißt es wieder – Ladies first. Auf dem Feld des Films ist der Kampf gegen den Imperialismus auf allen Posten verloren, mit seinen Parcours tritt und fällt Tomb Raider auf unschöne Dinge herein, verhaut und verbaut sich selbst einen möglichen Weg. Die aufgebrauchten Mythen lassen white men zu ihren großen Gewehren greifen, während die lokale Bevölkerung in deren Visier sprachlos die dreckige Arbeit macht. Zu Rasse, Klasse und Provenienzforschung schuldbelasteter ethnologischer Sammlungen gibt es ziemlich ignorante movie expertise, die in einer weniger öden Inszenierung zumindest niedlich hätte ausfallen können. Der Dienst am Computerspielfan wird geleistet, aber es fragt sich ernsthaft, wie ein Film wie dieser das breite Publikum heute noch amüsieren kann. Lara Croft gibt alles, das Alles-Geben kostet ihr viel Anstrengung, die Patina glänzt im Gesicht und Dekolleté, und man merkt – das immerhin –, dass dieser Superheldenkörper ein verwundbarer ist. Sie reißt keine coolen Sprüche, lächelt nicht blasiert, wenn sie wieder einmal an einem Abgrund hängt, aber von dieser Neuerung abgesehen, bleibt die neue Lara der peinlich berührenden Daueremphase ihrer Vorgängerin enttäuschend nahe.
Das Fehlen der Mutter

Papa und Lara haben sich lieb, aber was hat es mit dem Fehlen der Mutter auf sich? Das Familienschema mag als Erleichterung der Zuschauerprojektion dienen (die Leidenschaft für das Genre teilt man meistens mit den eigenen Vätern), aber es leistet vor allen Dingen eins: Die mit der Anwesenheit der Mutterfigur zwingend einhergehende Komplexion kann so aus dem Weg geräumt werden. Die Mutter-Tochter-Rivalität müsste andernorts, meist im eigenen Zuhause, und auf eine andere, meist subtilere Art ausgetragen werden. Tomb Raider warnt stattdessen vor der Macht, die in falsche Hände geraten könnte, und diese Hände, sagt der Film, sind eigentlich überall. Und nun? Dem Film fällt also nichts Besseres ein, als den alten Kampf erneut in der weiten Fremde zu führen, Privatarmeen zu engagieren und klassisch die Schwächeren auszubeuten. Schließlich sind die Bösen in den Computerspielen nun mal böse, that’s what they do. Tomb Raider gibt sich mit dem Sieg des Guten zufrieden, sein Motto ist Aufopferung und Selbstaufopferung, und nach dem finalen Showdown hinterlässt er einen Haufen Steine. Und dann heißt es – bitte, Ladies first.
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