Tödliche Versprechen – Kritik
Viggo Mortensen übernimmt nach A History of Violence gleich noch einmal eine Hauptrolle in einem Film David Cronenbergs. Diesmal verkörpert er den ambitionierten Chauffeur eines russischen Clanchefs.

„Wie ist Dein Nachname? Woher stammt Deine Familie?“ Nikolai (Viggo Mortensen) befragt eine Prostituierte, mit welcher er von Kirill (Vincent Cassel) zum Sex gezwungen wurde. Nicht umsonst beziehen sich die Fragen auf Familienzugehörigkeit und ethnische Herkunft, denn diese beiden Parameter entscheiden in Tödliche Versprechen - Eastern Promises immer wieder über Leben und Tod.
Kaputte Familien an den falschen Orten: Tödliche Versprechen spielt im London der Einwanderer. Die Familien stammen aus Russland, der Türkei und der Ukraine. Entwurzelte, deterritorialisierte Existenzen unternehmen den Versuch, fernab der ursprünglichen Heimat wenigstens den familiären Verbund zu bewahren.
Doch vergeblich. Tödliche Versprechen beschreibt familiäre Strukturen im Zustand ihres Verfalls: Halb- und Vollwaisen, Eltern auf der Suche nach ihren Kindern, blutrünstige Verwandte aus der Heimat, die die Familienehre wieder herstellen möchten, missratene Söhne, entführte Töchter. Für zusätzliche Komplikationen sorgen kriminelle Ersatz- und Ergänzungsfamlien. Diese sollen eigentlich den hilflos ihrer eigenen Identität ausgelieferten Immigranten als Anker dienen, letzten Endes beschleunigen sie jedoch nur das Blutvergießen.

Und mitten in dieses Geflecht aus Blutsbanden und gegenseitigen Abhängigkeiten tritt Nikolai, ein Mann, der buchstäblich aus dem Nichts kommt, wurzellos und geheimnisvoll. In der Organisation von Kirills Vater Seymon (Armin Mueller-Stahl) ist er nur der Chauffeur. Sein Vater, erfährt man, war ein Verräter, die Mutter eine Hure: ein Mann ohne Familie. Nikolai besitzt nichts als seinen Körper und macht sich daran, diesen gewinnbringend einzusetzen. In London – laut Seymon „the city of whores and queers“ – kann einer wie er es weit bringen.
David Cronenberg wurde in den achtziger Jahren mit hyperbolischen, intensiven Science-Fiction/Horror-Genrehybriden wie Videodrome (1983) oder Die Fliege (The Fly, 1986) bekannt, die eine neue Form von gleichzeitig utopischer und bedrohlicher Körperlichkeit in das Genrekino einführten. Doch Mitte der neunziger Jahre begannen sich die Filme des Kanadiers zu verändern. Bereits Crash (1996) war teilweise mehr ein ironischer Kommentar zu den Filmen der achtziger Jahre als deren Fortführung, und mit eXistenZ (1999) kippten die fantastischen Elemente endgültig ins Parodistische. Seither dreht Cronenberg andere Filme. Keine kleinen, hysterischen und exzessiven Kultstreifen zwischen Kunst- und Exploitationkino mehr, sondern souveränere, abgeklärtere Werke in besser beleumundeten Genres. Werke, die neue Publikumsschichten erschließen und die Anerkennung der Mainstreamkritik einbringen.
Doch um welchen Preis? Einerseits zwar ist Tödliche Versprechen nicht nur ein äußerst gut funktionierender Thriller, sondern auch ein komplexer und intelligenter Film über Funktion und Struktur familiärer und ethnischer Identität. Andererseits jedoch lässt sich, wie bereits im Falle von Spider (2002) und A History of Violence (2005), der Eindruck dennoch nicht vermeiden, dass das cronenbergsche Kino seit eXistenZ mehr verloren hat, als nur die manchmal vielleicht auch etwas naiv-euphorischen fantasmagorischen Plotelemente des Horror- und Science-Fiction-Films.

Ablesbar ist dies beispielsweise an der Rolle Naomi Watts’, die die Krankenschwester Anna verkörpert. Nominell eine der beiden Hauptfiguren des Films, bringt Anna zwar durch eine altruistische Tat den gesamten Plot um Mord, Sex und Totschlag in Schwung, hat dann im weiteren Verlauf aber keine andere Funktion und kein anderes Bedürfnis, als das Überleben eines kleinen Kindes zu sichern, welches durch Zufall in ihre Obhut gelangt. Marilyn Chambers´ Rose in Rabid – Der brüllende Tod (Rabid, 1977) oder Samantha Eggers Nola in Die Brut (The Brood, 1979) hätten sich niemals so widerstandslos einer patriarchalen Ordnung unterworfen. Zwischen den späten siebziger und frühen neunziger Jahren besaßen Cronenbergs Filme in ihrer Exzessivität und radikalen Körperlichkeit stets ein utopisches, Grenzen überschreitendes Moment, das herkömmliche Gesellschaftsmodelle in Frage stellte. Gewichen ist dieses Moment einem ohne Zweifel souveränen, jedoch oft etwas opportunistischen Spiel mit diversen Genre- und Diskurselementen, die selten über sich selbst hinausweisen.
Zum Beispiel die Schlüsselszene des Films: Auch in Tödliche Versprechen führt die strukturelle Gewalt, die den Beziehungen der unterschiedlichen Figuren von Anfang an eingeschrieben ist, schließlich zu einem Akt beispielloser Brutalität. Eindrucksvoll setzt Cronenberg in einem türkischen Bad seinen neuen Lieblingsschauspieler Viggo Mortensen in Szene, dessen ohnehin bereits durch Narben, Falten und Tätowierungen gekennzeichnete Körperoberfläche hier zusätzlich noch von Schweiß und Blut bedeckt ist. Doch folgt innerhalb des Films wenig aus dieser Szene, die – vergleichbar mit den Actionsequenzen zeitgenössischer Blockbuster – zwar narrativ begründet ist, sich jedoch hauptsächlich über ihren Schauwert definiert. Gewalt tut weh und sieht gleichzeitig – zumindest im Kino – oft gut aus. Das wussten wir auch schon vor Tödliche Versprechen.
Fr 06.05. , 23:15 Uhr, WDR
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Kommentare
MoeDaHool
Und wieder einmal kann ich beim Lesen einer (pseudo)professionellen Kritik nur den Kopf schütteln. Natürlich kann ich nicht so wunderbar aus dem Duden Fremdwörter-Lexikon zitieren, um meiner Kritik Gewicht zu verleihen, allerdings kann ich in meinem bescheidenen Deutsch dem Film nur beste Noten erteilen. Unabhängig davon, dass der Film vom Spannungsgehalt her von der zweiten bis zur letzten Minute mitreisst, hat er auch eine Atmosphäre, die ich so noch nicht erlebt habe. Eine für mich völlig neue Form von Beklemmung hat mich immer wieder durchatmen lassen. Vigo Mortenson gibt seinem Charakter eine äusserst düstere Aura, dazu vergisst man fast, dass er ein Schauspieler und kein Mafiamitglied ist. Dadurch dass der Film nahzu nur in der Nacht , im Regen oder in düsterer Umgebung spielt, bekommt er sein letztes Quentchen Schrecken. Ganz abgesehen von der wirklich interessanten Art und Weise die Story zu erzählen. Kurz: Ein durch und durch gelungener Film, der sich bei mir in die Reihe der 50 besten Movies einen Platz ergattert hat.
norbert gaal
Einer der besten Filme überhaupt, spannend bis zum Schluß.
Absolut sehenswert, hat einen Oscar verdient.
2 Kommentare