Tiny Toons Abenteuer: Total verrückte Ferien – Kritik
Direct to Video: Ausgerechnet Steven Spielberg erwirkte die Auswertung eines Disneyfilms außerhalb des Kinos. Tiny Toons Abenteuer: Total verrückte Ferien (1992) ist weniger kohärente Erzählung als ein anarchisches Herumtollen auf einer Spielwiese namens Filmgeschichte.

1990 startete Duck Tales: Der Film noch in den Kinos. Dschafars Rückkehr war 1994 dann der erste Film einer Reihe von Direct-to-Video-Veröffentlichungen, mit denen Disney seine Prestigeprodukte fortsetzend auswertete und uns Filme wie Cinderella 2 (2002) oder Der Glöckner von Notre Dame 2 (2002) bescherte. Ein Vorreiter für diesen Weg, von Zeichentrickfilmen und -serien zusätzlich zu profitieren, war Warner. Nach zwei Staffeln Tiny Toons Abenteuer folgte ein Film. Tiny Toons Abenteuer: Total verrückte Ferien (Tiny Toon Adventures: How I Spent My Vacation) wurde 1992 jedoch nicht nur aus budgetkalkulatorischen Gründen direkt auf den Videomarkt geworfen.

Vielmehr war Executive Producer Steven Spielberg die treibende Kraft hinter der Direct-to-Video-Veröffentlichung von Total verrückte Ferien. Zeichentrickfilme boten sich ihm zufolge für ein wiederholtes Schauen geradezu an. Man kann sicherlich fragen, warum jemand wie Spielberg einen seiner Filme nicht im Kino haben wollte, aber es passt auch: Ein Filmverrückter schenkt Kindern ein filmisches Spielzeug, das immer wieder gespielt werden kann – und das sich aus Referenzen an andere Filme zusammensetzt.
Vorgelebte Intertextualität

Es sind Ferien, und die Tiny Toons strömen aus der Schule und erleben ihre Abenteuer. Zusammengehalten werden die kleineren Episoden – um das Stalken von Stinktierschauspielstars (unter anderem ist hier James Dean Vorbild) oder die Jagd knuddelverrückter Mädchen nach Raubkatzen – von zwei Roadmovies, womit der Film den Zwang zu einer zusammenhängenden Geschichte versiert umschifft und sich der ziemlich kurzen Aufmerksamkeitsspanne seiner Figuren anpasst. Plucky Duck fährt mit Hamton J. Schweins Familie Richtung HappyWorldLand und erlebt dabei seine eigene National Lampoon’s Vacation (Die schrillen Vier auf Achse, 1983), während Babs und Buster Bunny (nicht verwandt) auf einem Floß einen Fluss hinabfahren und wie Huck Finn ins Herz (hier: der Karikatur) der Südstaaten vordringen dürfen.

Bei jeder Sichtung kann sich bei allem Referenzwust – je nach Erfahrungshorizont – ein anderes Erlebnis einstellen. Total verrückte Ferien lebt Intertextualität vor, wenn etwa mehr als einmal darauf rekurriert wird, dass gerade ein Video abläuft, oder wenn Produzent Steven Spielberg als solcher im Film Erwähnung findet. Und über die ständigen spielerischen Hommagen – die der Zuschauer verstehen kann, aber nicht muss – verspricht Total verrückte Ferien eine große Welt (des Films), die es zu erschließen gilt oder in der sich schon ausgekannt wird: eine gänzlich lustgesteuerte Erziehung zum Leben in der Welt der Medien. Die Loony Tunes waren in der Postmoderne angekommen.
Der Witz war ein anderer

Schon zu Beginn der 1980er Jahre hatte Warner ein Animationsstudio gegründet, um aus den Loony Tunes neues Kapital zu schlagen. Neben der Produktion frischer Kurzfilme, die alte Charaktere in neue Zusammenhänge brachten (Night of the Living Duck), ging es zuvorderst um die Erstellung von Rahmenhandlungen und Anmoderationen durch Bugs Bunny, mit denen dann alte Cartoons in ein Langfilmformat zusammengefügt werden konnten. Kein Jahrzehnt später änderte Warner die Strategie. Nun versuchte man im Fernsehen Fuß zu fassen – mit neuen Figuren, die nur noch dem Geist der Loony Tunes entsprachen. In der Folge entstanden Serien wie Animaniacs, Pinky und der Brain oder Freakazoid.

Den Anfang machten 1990 aber Tiny Toons Abenteuer, deren Protagonisten noch sehr nah an ihren Vorbildern angelegt waren. Unter anderem eben Bugs, Daffy und Schweinchen Dick als ihre kindlichen und teilweise geschlechtsvertauschten Entsprechungen Buster und Babs Bunny, Plucky Duck und Hamton J. Schwein. Der Witz aber, so sehr er die Originale referenzierte oder gerade deswegen, war nun ein anderer. War Bugs Bunny immer Teil einer klaren Erzählung, die von der Spannung zwischen Normalität/Ruhe und Überdrehtheit lebte, kehrt hier niemals Ruhe ein. Im Cartoon, wie Tiny Toons Abenteuer ihn verstehen, schlägt dem Wolf ständig das Herz drei Meter aus der Brust heraus, und er heult bar jeder Rationalität.
Unschuldige Utopie

Die „Essenz“ der Looney Tunes, der sich hier bedient wird, lässt einen Ort ständigen Wahnsinns entstehen, an dem der Wortwitz der Marx Brothers und die Absurdität von Mel Brooks und Monty Python ihre Spuren hinterlassen haben. Und wenn die Handlung feststeckt, dann springt man eben wortwörtlich in Plotholes, um zu einem Abschluss zu kommen (wie auch Kommissar Schneider in Zieh dich aus du alte Hippe surreal wird, um dem sicheren Tod zu entgehen). Vor allem geht es nun aber eher um Quantität als um Qualität. In dieser Welt als Cartoon, in der Südstaatler kannibalistische Hinterwäldleropossums und bigamiewütige Alligatoren sind, wo sich grenzdebiles Spießbürgertum und eskalierende Konsumwut ein Auto teilen, da ist die Grenze zwischen avantgardistischem Gemüts- und Bildersturm und enervierender Beliebigkeit verschwommen.

In seinen besten Momenten stellt Total verrückte Ferien aber infrage, wer denn überhaupt das Zielpublikum ist. Hamptons Familie wird im Laufe ihrer Fahrt einen Anhalter im Regen mitnehmen. Während die Schweins selbst bei Kettensägenrasseln auf der Hinterbank kein Arg hegen, ist Plucky schnell klar, dass ein Serienmörder neben ihm Platz genommen hat. Einer, der sich noch dazu eine Eishockeymaske aufsetzen wird. Die Floßfahrt von Buster und Babs Bunny wird hingegen von den Klängen eines Banjo spielenden Opossums begleitet, dessen Melodie direkt aus einem anderen wenig kindgerechten Film entnommen wurde. Und so werden Filme wie Beim Sterben ist jeder der Erste (Deliverance, 1972), Hitcher, der Highway Killer (1986), The Hills Have Eyes (1978) oder die Freitag, der 13.-Reihe zitiert, als ob die anderen Bereiche der Videothek eben nur eine Frage der Zeit sind, als ob die Filmgeschichte eine Spielwiese ohne Beschränkungen ist. Völlig unschuldig ist dies hier als Utopie gedacht.
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