The Wolf of Wall Street – Kritik
Koks und Quaaludes. Scorseses Neuer will mehr, mehr, mehr.

Die Gier ist da. Nach Geld und Sex und Drogen. Und nach noch mehr Geld und Sex und Drogen. Martin Scorseses rabenschwarze Komödie injiziert sich direkt ins mesolimbische System des Kinos, belohnt, berauscht und schockt das Publikum mit einem unfassbaren Brocken von Film und Scorseses vielleicht bester Arbeit seit Casino (1995). Ohne Umschweife schweift The Wolf of Wall Street aus, schmeißt mit Dollars und Kleinwüchsigen um sich, wichst die Penisprothese und lässt die Marching Band in Unterhose zum Gangbang aufmarschieren. In bonbonbunten Bildern erzählt der Film vom dunklen Herzen des Kapitalismus: Basierend auf der gleichnamigen Autobiografie zeigt er den Aufstieg Jordan Belforts in der New Yorker Finanzwelt Ende der 1980er Jahre. Zu Beginn ist der Broker mit den großen Ambitionen nur eine kleine Nummer, einer von vielen Männern am Rande des Nervenzusammenbruchs, die dicht gedrängt in überfüllten Großraumbüros hocken und manisch Wertpapiere verticken. Doch Belfort will mehr. Der charismatische Underdog hat die kokainhaltige Wall-Street-Luft geschnuppert und macht sich daran, sein eigenes Finanzimperium zu errichten.

So rasant der Film geschnitten ist und durch ein Jahrzehnt amerikanischer Geschichte hastet, so schnell sind auch die ersten Millionen gescheffelt. Von da an regieren Sog, Rausch und Exzess das Treiben auf der Leinwand. Gemeinsam mit seiner langjährigen Cutterin Thelma Schoonmaker und Kameramann Rodrigo Prieto entfesselt Scorsese über beinahe drei Stunden Laufzeit einen Bildersturm, der ein wenig aussieht, als hätten sich Harmony Korines Spring Breakers (2012) in die Welt der Geissens verirrt. Mal schwelgt die Kamera im Luxus und präsentiert im Modus eines Werbeclips stolz Yachten, Villen und Frauenkörper, dann wieder emuliert sie mittels Superzeitlupen und Stakkatoschnitten Geilheit und Drogenrausch.

Für eine Produktion dieser Ausmaße gehen Scorsese und besonders sein Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio erstaunlich weit und zeigen Belforts Ausschweifungen ohne Scham und Kompromisse. Wenn DiCaprio Rauschgift aus dem Po einer Prostituierten schnüffelt oder sich von einer Domina eine Kerze in den Hintern stecken lässt, dürfte das für einige Irritationen sorgen. So uneitel und die Erwartungen an die Starpersona unterlaufend hat man zuletzt vielleicht nur Nicole Kidman erlebt, als sie in Lee Daniels’ The Paperboy (2012) auf einen von Quallenstichen geplagten Zac Efron pinkelte. The Wolf of Wall Street ist voll von solchen Momenten, wie der Film überhaupt ein verschwenderischer ist: Das Kokain liegt kiloweise rum, die Dollars in dicken Bündeln und die nackten Frauen in Scharen. Geflucht wird in der Männerwelt der Finanzhaie ebenfalls ausgiebig, wahlweise homophob oder misogyn. Eine Distanz zur Dauereskalation seines Selfmademans sucht Scorsese nicht, die Ironie des Films ist eine, die sich der Protagonist längst selbst einverleibt hat; aus dem Off und zurückblickend kommentiert DiCaprio als Belfort da etwa den harten Fick, mit dem er sich brüstet, als einen der nur elf Sekunden gedauert hat – die Blöße gibt sich Belfort wenn schon selber.

Dass auf den Aufstieg der Fall folgt, lehrt nicht nur die Biografie des echten Belfort, sondern auch ein Blick auf Scorseses Filmhelden. Doch der American Dream gibt sich zäh in diesem Finanzganster-Epos und wird immer noch ein wenig mehr aufgeblasen. Die Risse bleiben fein und die Demütigungen und Schmerzen, die Belfort über sich und andere bringt, fast unsichtbar. Tränen fließen, später ein bisschen Blut, schließlich wandert ein kleiner Ganove in den Knast – doch der Traum von Konsum und Kapital mag lange Zeit nicht platzen. So pendelt sich der Film zusammen mit seinen Protagonisten zwischen aufputschendem Koks und lähmenden Quaaludes ein, antizipiert die Ernüchterung und zögert sie in gleichem Maße immer wieder hinaus. In das schafsgleiche „Mehr! Mehr! Mehr!“, das schon der Trailer verspricht und fordert, möchte man längst nicht mehr einstimmen, da zeigt Scorsese noch eine Orgie und noch eine Runde absurden Junkieslapstick.

Dass das dramatische Finale in Manier eines Justizfilms dann auch mehr wie eine Pflichtübung ausgeführt wird, lässt sich letzten Endes ebenso verschmerzen wie die Überfülle an Ideen, von denen so manche ins Leere läuft. Aufregender und wagemutiger als das meiste, was das System Hollywood in diesem Jahr ausgespuckt hat, ist The Wolf of Wall Street allemal. Und wenn man schon immer mehr wollen muss, dann doch bitte von diesem Wahnsinn.
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Kommentare
Bartel
Mit der allerletzten Einstellung schießt Scorsese den Vogel ab.
Der Zuschauer blickt direkt in den vorgehaltenen Spiegel während das gecastete Publikum zurückstarrt, und kann sich selbst dabei beobachten wie er angestrengt versucht die Kritik aus der Leinwand zu lesen.
Dabei intoniert DiCaprio immer wieder: "Sell me this pen. Sell me this pen."
Viele haben Scorsese vorgeworfen sein Film wäre zu unkritisch. Ist er nicht.
Der "final shot" entlarvt die wahren Schuldigen, sind wir es doch alle die ständig ein "more! more! more!" fordern. Fantastisch.
Florian
Ist mir völlig unverständlich, wie man den "Wolf Of Wall Street" so rezensieren kann. Ein furchtbarer Film, der sich immer wieder an zwei Themen abarbeitet: Drogen und Sex. Als Variation bietet der Film auch mal Sex und Drogen. Der "Wolf" will Oliver Stones Klassiker "Wall Street" von 1987 toppen und scheitert gnadenlos. Anlehnungen an Stones Meisterwerk sind mehrfach vorhanden: Vater, Frau mit Designambitionen, Börsenaufsicht, usw. Aber im Gegensatz zu Stones Film verkommt die Kapitalismuskritik hier zur Randnummer. Merkwürdig, dass dem Rezensenten das entgangen ist.
Frédéric
Die Kapitalismuskritik von "Wolf of Wall Street" ist in meinen Augen eine sehr deutliche, allerdings mag sie auch verführerisch wirken (ambivalent ist sie ohnehin). Vielleicht ist aber auch das Wort "Kapitalismuskritik" ein wenig irreführend, weil es eher ein Vorführen der mit Kapitalismus und mehr noch Finanzspekulation einhergehenden Exzesse ist. Kritik im Sinne von vorgetragenen Argumenten, die sich erklären und einen klaren Standpunkt behaupten, gibt es in meiner Erinnerung weniger, weil der Film sich an einer (zum Teil parodistischen) Mimesis versucht, die gerade die Standpunktlosigkeit (oder besser: das Überall-auf-einmal-Sein) des finanzkapitalistischen Profitdenkens offenbart.
Till
Wieso "allerdings"? Das kritische Potenzial liegt doch gerade in dieser Verführung zum Exzess, mit der man da zum Komplizen gemacht wird, ich fand das damals sehr faszinierend, welche Leute (inkl mir natürlich) damals im Kinosaal wann aufgehört haben mitzulachen. Da find ich Wall Street trotz seinem ganzen Moralismus auf viel problematischere Weise vom Kapitalismus fasziniert.
Florian
Also es ist mir doch rätselhaft, wie man der Meinung sein kann, dass "Wall Street" vom Kapitalismus fasziniert ist. Die Botschaft ist doch eigentlich recht eindeutig, oder? Gordon Gekko ist ja wohl kaum Sympathieträger und ist auch niemand mit dem man sich identifizieren möchte. Und die Ergebnisse seines Handelns als "Corporate Raider" sind auch recht eindeutig dargestellt.
Nochmal zum Wolf: der Film erklärt sehr wenig, sondern stellt nur dar. Und das wird nach einigen Minuten recht langweilig. Ja, die Exzesse werden dargestellt, und der Sinn das zu zeigen leuchtet mir auch ein. Aber man muss das nicht gefühlte 300 mal zeigen. Es reicht doch, es ein paar mal zu zeigen und dann analytischer vorzugehen. In meinen Augen ist dieses wiederholte Zeigen der Exzesse ein ganz grosser Minuspunkt bei dem Film. Wenn man aus dem Film rausgeht, ist man fast genau so schlau wie vorher.
Till
Ich glaube, wir gehen da von unterschiedlichen Prämissen aus. Wenn man die Filme so behandelt, als wären sie durchstrukturierte Argumentationsketten oder sollten das sein – wenn sie also "erklären" und "darstellen" sollen, wenn sie mit klar identifizierbaren "Sympathieträgern" und Antipathieträgern hantieren sollen, wenn sie alles so ökonomisch "zeigen" sollen, dass es irgendwann "reicht", um einen bestimmten Punkt zu machen, dann kann man deiner Meinung sicherlich sein. Aber ein Film ist für mich eben keine Powerpoint-Präsentation mit fiktionalen Anteilen, die mich von etwas überzeugen soll. Was nicht heißen soll, dass es Filmen um nichts geht. Und wenn es "The Wolf of Wall Street", wie ich behaupten würde, darum geht, der Attraktivität des Finanzkapitalisus auf den Grund zu gehen und das auch und gerade durch die Implikation des Zuschauers, dann reicht es eben nicht, den Exzess zu "zeigen", sondern dann muss der Film selbst als Exzess funktionieren, um etwas tun zu können, dass eine nicht-filmische "Analyse" eben nicht könnte (warum sonst einen Film machen?) Andersrum mag "Wall Street" seine Kritik "eindeutig darstellen", auf affektiver Ebene regt er da m.E. durchaus auch gegenläufige Prozesse an. Aber wie gesagt: Das kommt ein bisschen darauf an, was man vom Medium Film erwartet und wie man glaubt, dass es funktioniert.
fifty
Ihre Kritik trifft in Schwarze, toll zusammengefasst! Klar ist der Film eine wirklich üble, traurige und beschämende Angelegenheit, wenn es darum geht, wie Männlichkeit und Gier - Buchvorlage hin oder her - hier zelebriert wird. Glorifiziert wird all der Mist aber dennoch nicht, weil der Film alles behandelt wie eine Braustablette, die ins Wasser muss. D.h. alles wird so sprudelnd überspitzt, dass der Film schließlich nicht seinem dunklen Thema, sondern sich selbst gehört. Völlig wüst und total angstfrei, egal ob verbal oder visuell. Allein, dass es weder einer Hauptfigur, noch einem Polizisten noch einer Mutter gelingt, einen Satz ohne Fluchen zu äußern, spricht für die Konsequenz des Werks. Also ganz recht: Wenn das irgendwo so sein darf und vielleicht auch so sein muss, dann in der Kunst. Man spürt den Spaß aller Beteiligten und auch die Herausforderungen an das intensive Schauspiel, das auch körperlich sehr dynamisch ist. Großartig in Szene gesetzt und gespielt vor allem von di Caprio und Jonah Hill.
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