The United States of Hoodoo – Kritik
Spuren statt Wurzeln: Oliver Hardt und Darius James verlieren sich auf der Suche nach afrikanischer Spiritualität. Ihr Film wird dadurch umso anregender.

Mit dem Konzept des Black Atlantic hat der britische Theoretiker Paul Gilroy 1993 eine Umschreibung der Geschichte des Kolonialismus vorgeschlagen. Während der Atlantik im konventionellen Narrativ kein eigentlicher Raum ist, sondern ein Hindernis, das die europäischen Eroberer bezwingen müssen, um die „Neue Welt“ zu besiedeln und mit afrikanischen Sklaven zu versorgen – ein Narrativ also, das die kolonisierende wie die kolonisierte Seite als stabile Kulturen und die „Entdeckung“ Amerikas als bloße Begegnung zwischen ihnen versteht –, so macht Gilroy diesen Ozean selbst zum zentralen Raum, in dem Kultur aus der Erfahrung der afrikanischen Diaspora im Verhältnis zu Europäern und indigener Bevölkerung entsteht. Die Geschichte der Sklaverei ist damit kein bloßes Verhältnis zwischen aktiven Sklavenhändlern und Kolonisten auf der einen und passiven Sklaven und Kolonisierten auf der anderen Seite, sondern ein Gemenge aus komplexen Austauschprozessen, Herrschaftsverhältnissen und Widerstandspraktiken, die ihren Eingang gefunden haben in das, was wir uns heute unter dem Begriff „Amerika“ vorstellen. Der Black Atlantic, das ist keine neue Erkenntnis über die Geschichte Amerikas oder der Sklaverei, sondern Einladung zu einem Perspektivwechsel und einer anderen Art von Erkenntnissuche – eine Aufforderung, Geschichte von unten und vom Widerstand her zu denken.

Auch wenn der Black Atlantic nur einmal explizit genannt wird, wandelt Oliver Hardt mit seinem Film The United States of Hoodoo auf den von Gilroy skizzierten Wegen. Der Autor Darius James – Filmfreunde sollten vor allem sein Werk That’s Blaxploitation! Roots of the Baadasssss ‚Tude kennen – war schon Teil von Hardts Filmprojekt Black Deutschland (2006), damals lebte er noch in Berlin. Mittlerweile ist James zurück in den USA, und diese Rückkehr nach dem Tod seines Vaters ist der Anstoß für The United States of Hoodoo. James findet in der väterlichen Wohnung eine ihm nicht bekannte und geheimnisvolle Sammlung afrikanischer Masken und beschließt sich auf die Suche zu begeben: nach Einfluss und Aktualität afrikanischer Spiritualität in den heutigen Vereinigten Staaten.
Schon die im Filmtitel wirkende Abgrenzung zum engeren Begriff „Voodoo“ macht deutlich, dass James’ Reise kein klassischer Back-to-the-Roots-Trip ist, nicht endlich die „Wahrheit“ über eine noch immer „geheimnisvolle“ Religion enthüllt. Auch wenn die Begriffe nicht vollends zu trennen sind, verweigert sich „Hoodoo“ der Definition als fest strukturierte Religion, meint eher eine Ansammlung von alltäglichen spirituellen Praktiken, die in keinem Kanon festgeschrieben sind und eher mit der US-amerikanischen Gegenwart zu tun haben als mit ihren afrikanischen Wurzeln. So ist James’ Reise keine lineare Entwicklung hin zur Weisheit, sondern erst mal eine Fahrt ins Unbekannte.

James spricht an einer Sklaverei-Gedänkstätte in Manhattan mit einer Volksschullehrerin über das Verhältnis von Sklaverei und Wall Street, lässt sich in New Orleans vom Musiker Hassan Sekou Allen die afrikanischen Ursprünge weißer Popmusik erklären. Von der bekannten Priesterin Sallie Ann Glassman wird James die Intensität eines Voodoo-Rituals nahe gebracht, und vom Aktivisten und Schriftsteller David „Goat“ Carson erfährt er mehr über die Geschichte des Aufeinandertreffens von afrikanischen Sklaven und amerikanischen Ureinwohnern. Ein Ende dieser Reise gibt es nicht, das wird James und dem Zuschauer schnell klar – Hardts Film kann nicht mehr sein als das Kratzen an einer Oberfläche.

Erzähltechnisch ist The United States of Hoodoo relativ konventionell. James führt uns aus dem Off durch die verschiedenen Etappen seiner Reise, wir hören ihm und seinen Gesprächspartnern zu, sehen mit seinen Augen. Doch die einer Dokumentation stets inhärente Gefahr, den Zuschauer an eine zentrale erzählerische Instanz auszuliefern, ist hier schnell gebannt. James erwartet niemals eindeutige Antworten auf seine Fragen, merkt zunehmend, dass die Suche nach einem kohärenten Gesamtbild keinen Sinn ergibt. Er nimmt vielmehr Eindrücke auf, lässt uns an seiner Neugier teilhaben.
Der Film spiegelt mit diesem Ansatz das wider, was er uns über Hoodoo erzählen will. Denn der Kern des Hoodoo ist, dass es keinen gibt. Afrikanische Spiritualität in Amerika, das ist nicht die Bewahrung eines authentischen Anfangs im fernen Kontinent, sondern Veränderung und Weiterentwicklung, die ständige Aufnahme neuer Einflüsse. Auch wenn die Anbetung der Vorfahren für viele der Gesprächspartner James’ ein wichtiges Element ist, macht die Priesterin Glassman deutlich, dass ein Ritual selbst stets im Jetzt verankert ist, eine Erfahrung, die zum Ich-Verlust und der Überschreitung persönlicher Grenzen führen will. Möglicherweise ist diese nach außen gewandte Erfahrung, die in krassem Gegensatz zu vielen Praktiken der sogenannten Weltreligionen steht, auch ein Grund für die Marginalisierung afrikanischer Spiritualität und die Vorherrschaft popkultureller Voodoo-Bilder von schwarzer Magie und Tieropferungen – in Hollywood vor allem prominent geworden durch Filme wie Angel Heart (1984).

So beginnt die Reise des Darius James mit dem Tod des Vaters und einer Befragung der Vergangenheit, entwickelt sich aber zu einer Erfahrung in der Gegenwart. In einer der letzten Szenen bereitet James mit ein paar Freunden das traditionelle Gumbo-Essen zu, und es entsteht ein fast absurd anmutendes Gespräch über die „richtige“ und „eigentliche“ Zubereitungsart, über die afrikanischen, karibischen und amerikanischen Einflüsse des Gerichts. Die Köchin erklärt schließlich, sie habe von jeder befragten Person etwas anderes gehört, schmeiße deshalb einfach die verschiedenen Rezepte zusammen und kreiere ihr eigenes Gumbo. Und in diesem stets wiederkehrenden Motiv liegt der Gewinn von Oliver Hardts Film. The United States of Hoodoo – das deutet schon der Filmtitel an – ist ein anderer Blick auf die Geschichte der USA: ein Blick aus der Sicht des Black Atlantic, der wie ein Hoodoo-Ritual und ein Gumbo-Gericht funktioniert. Es geht nicht um die Akkumulation von Wissen über eine fremde Welt, sondern darum, sich selbst zu entfremden, Rezepte zu verändern, die Perspektive zu wechseln.
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