The United States of America – Kritik

James Benning filmt mit 52 Ansichten von Kalifornien die gesamten USA. The United States of America verstrickt sich heillos in Ungereimheiten und wird Bennings Mammutprojekt gerade damit gerecht.

„Man vergleiche die Leinwand, auf der der Film abrollt, mit der Leinwand, auf der sich das Gemälde befindet. Das letztere lädt den Betrachter zur Kontemplation ein; vor ihm kann er sich seinem Assoziationsablauf überlassen. Vor der Filmaufnahme kann er das nicht. Kaum hat er sie ins Auge gefaßt, so hat sie sich schon verändert.“ Diese Worte schrieb Walter Benjamin einst über das Kino, und ich hätte nicht gedacht, dass sie mir einmal während eines Films von Forums-Dauergast und Meister des entschleunigten Blicks James Benning in den Sinn kommen würden. Nicht dass seine Bilder in seinem neuen Film The United States of America geradezu an einem vorbeirauschen, gar einen Schwenk zulassen würden, aber doch sind sie dieses Mal kaum lange genug anwesend, um sich wie sonst in ihnen zu vertiefen.

In Kalifornien einmal durch die USA

Vielmehr geht es tatsächlich meist um so etwas wie eine unmittelbare Wirkung der insgesamt 52 Bilder von Amerika, die Benning hier pro Staat (inklusive Puerto Rico und D.C.) alphabetisch geordnet versammelt. Ein strenges System, das mit jedem neuen Bild immer weiter aufgelöst wird: Leicht vor sich hinfallende Schneeflocken treffen auf ein schweres Schlachtschiff, feuchtes Moor auf ein ausgetrocknetes Flussbett, Obdachlosencamps unter einer Brücke auf einen Yachthafen, das weite Meer auf begrenzende Felsformationen, statische Bauten auf einen ewig durchs Bild brausenden Zug, nichts bedeutende Wolken auf viel zu viel sagende Baumwollfelder. So filmt sich Benning einmal durch die Vereinigten Staaten, gibt dabei vor jedem Bild die (vermeintlichen) konkreten Ortsangaben (demnach geht es von Heron Bay, Alabama über Hibbing, Minnesota bis zu Kelly, Wyoming), nur um dann ganz am Ende mit einem lakonischen „Filmed in California“ alles wieder fallen zu lassen.

Annäherung über Abstraktion

Die ideellen, rhythmischen, topografischen, sozialen Koordinaten, zwischen denen Bennings USA verortet sind, ließen sich hier bis ins Unendliche treiben. Und trotzdem verlangen seine losen Bildersammlungen gerne nach dem Halt roter Fäden, auch wenn das bedeutet, die Einheit im Moment des Auseinanderfallens zu erkennen. Das mag zwar nach ziemlich abstraktem Experiment und grob übergestülptem Konzept klingen, schmiegt sich aber bei genauerem Blick recht gut an. ­­­­len: Dass es Benning (einmal mehr) um die Vermessung der titelgebenden Vereinigten Staaten, des Orts, der Gesellschaft, des Landes, des Staates geht, wird hier für seine Verhältnisse fast schon überdeutlich. Vereinzelt legen sich Stimmen über die Bilder und unterbrechen das freie und (trotz der neuen Geschwindigkeit dann doch noch) kontemplative Sichtungsprinzip seines Kinos. Amerikanische Stimmen jeder Couleur: historische Persönlichkeiten wie Woody Guthrie, Martin Luther King, Dwight D. Eisenhower, aber auch gegenwärtige wie Alicia Keys verbinden die widersprüchliche Ästhetik mit der widersprüchlichen Gesellschaft Amerikas.

Gesprochen wird da etwa von der traurigen Notwendigkeit von Gewalt, um gegen die Gewalt an black communities zu rebellieren, von fürs Gleichheits-Ideal der christlichen Umerziehung gekidnappten Kindern indigener Abstammung, im Guthrie-Song von einem „land for you and me“ und in der nächsten Strophe von einer Mauer mit der Aufschrift „private property“. „Kann man einen Ort jemals wirklich abbilden?“, fragt der Ankündigungstext des Forums, und man müsste präzisieren: „Kann man so einen Ort wirklich abbilden?“ Mit Bennings neuem Film ließe sich darauf eine zugleich klare und verworrene Antwort finden: Nur wenn man sich dabei genauso heillos in Widersprüche verstrickt, wie es The United States of America selbst auch tun.

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