Luftkrieg - Die Naturgeschichte der Zerstörung – Kritik
VoD: Der ukrainische Regisseur Sergei Loznitsa verarbeitet filmisches Archivmaterial über den alliierten Luftkrieg gegen Deutschland. Dabei vermeidet er es, historische Zusammenhänge zu ziehen, dafür sind die Druckwellen der Explosionen gut erkennbar.

Anfangs könnte man es für einen alten deutschen Heimatfilm halten. Ein Hirte treibt in körnigen Stummfilmaufnahmen seine Gänse über die Hügel, eine Greisin steht strickend am Fenster und beobachtet das Treiben auf der Straße. Natürlich wissen wir, dass Sergei Loznitsas Luftkrieg – Eine Naturgeschichte der Zerstörung uns hier auf Tragisches vorbereitet. Es ist ein narrativer Kniff wie in einem Katastrophenfilm: die Ruhe vor dem Sturm, abgeschlossen durch einen kurzen Besuch in den Katakomben einer Kathedrale. Er führt uns noch einmal die Kulturgüter vor, die bald im Schutt versinken werden.
Die Auswirkungen der alliierten Luftangriffe auf Deutschland im Zweiten Weltkrieg sind noch heute Bestandteil unseres Alltags. Graue Plattenbauten stehen in Großstädten wie Marker für die zugeschütteten Bombenkrater. Ganze Wohnblocks müssen geräumt werden, wenn mal wieder ein Blindgänger auf einer Baustelle gesprengt werden muss. Deutschland steht aber hier in einem besonders schwierigen Verhältnis zur eigenen Erinnerung. Wer das Drama um die Entstehung des „Dokumentationszentrums für Flucht, Vertreibung und Versöhnung“ in Berlin verfolgt hat, hat schon einen Eindruck davon: Einerseits besteht die Absicht, den Verlusten und Traumata auf deutscher Seite zu gedenken. Zugleich nutzen rechte Kräfte historische Opfernarrative, um ihre Ideologien zu legitimieren.
Sukzessivkontraste

Die Ereignisse der Vergangenheit seien nicht reflektiert worden, erklärt Loznitsa zum Film: „Es scheint, dass wir genau an dem Punkt stehen geblieben sind, an dem W. G. Sebald, Günter Grass oder Kurt Vonnegut mit seinem ‚Schlachthof 5‘ uns vor Jahrzehnten verlassen haben.“ In Luftkrieg – Eine Naturgeschichte der Zerstörung verarbeitet er nun Archivmaterialien, um auf die Auswirkungen zu schauen, die der Luftkrieg auf die Bevölkerung hatte. Dass er dabei die Alliierten größtenteils als Akteure und die deutsche Zivilbevölkerung als Opfer der Bombardements darstellt, wirkt vor dem Hintergrund moderner Erinnerungsdiskurse mindestens ungewöhnlich.
In aufwendigen Arbeitsprozessen hat Loznitsa die Filmrollen bereinigen und digital schärfen lassen. Durch eine detailreiche Nachvertonung erhalten die stummen und verzerrten Filmschnipsel plötzlich eine neue Organik, wie sie ähnlich Peter Jacksons They Shall Not Grow Old (2018) erreicht hat. Es fallen wenige Worte in dem Werk, das sich als Hybrid aus Dokumentar- und Essayfilm weitestgehend einem Kommentar entzieht. Indem er keiner Chronologie folgt, vermeidet es Losnitzas Film, historische Zusammenhänge zu ziehen. Vielmehr färbt die eine Sequenz in Sukzessivkontrasten auf die nächste ab. Nach Minuten städtischen Idylls schauen wir plötzlich aus den Luken alliierter Bomber auf hell auflodernde Straßennetze. Wir kennen diese Bilder schon; neu könnten hingegen die gut erkennbaren Druckwellen sein, die die Explosionen in die Rauchschwaden absetzen. Fast acht Minuten lang sehen wir das Stadtleben, das wir gerade aus der Nähe betrachten konnten, von oben in Flammen aufgehen, während Christian Verbeeks orchestraler Score Schmerz und Verlust ausdrückt.

Viele Menschen sagen, mit Bomben sei kein Krieg zu gewinnen“, hören wir später Arthur Harris, den damaligen Offizier der Royal Air Force in einer Ansprache sagen, „denen antworte ich: Es hat bisher noch keiner versucht. Wir werden sehen.“ Auch wenn Losnitza Harris’ Spekulation mit den darauf folgenden Aufnahmen toter Kinder angreift, lässt er seine eigene Haltung trotzdem nicht zu weit in eine Richtung abdriften. Stattdessen setzt er behutsam Gegenimpulse. Zum Beispiel lässt die Rede vom oben bereits angesprochenen „Verlust von Kulturgütern“ sauer aufstoßen, wenn sie aus dem Mund von Josef Goebbels kommt, der damit die Menge zum Vergeltungsschlag aufstacheln will. Die Bevölkerung tritt als politischer Spielball der Militärmächte in Erscheinung. Stärker als die Frage, ob der Luftkrieg zur Herbeiführung des Kriegsendes beigetragen hat, wiegt am Ende die Frage: Wie effektiv war der Angriff auf ziviles Leben in Hinblick auf ein faschistisches Regime, dem ziviles Leben egal war?
Zur Natur der Kriegsmaschinerie

Diskussionen um die Positionierung eines solchen Films erinnern manchmal an die Frage der Atomsemiotik: Wie kann ein Zeichensystem noch in hunderttausend Jahren nachvollziehbar vor den Gefahren eines Atommüll-Endlagers warnen? Und wie kann ein Film über den Bombenkrieg gegen die deutsche Zivilbevölkerung noch Jahre später eine Deutlichkeit besitzen, die gegen Fehlinterpretationen gefeit ist? Luftkrieg ist simpler gestrickt. Schon fast aufdringlich fordert er Mitgefühl für das Leid der Betroffenen ein und deutet auf die Grausamkeit der Kriegsmaschinerie. Der Titel weist schon darauf hin, dass der ukrainische Regisseur mit seinem Film das Thema zivilen Leids über den zeitlichen Kontext heben und allgemeinere Wahrheiten über die Natur des Krieges ansprechen will. Und ja – die körnigen Aufnahmen einer zerstörten Kölner Innenstadt ähneln auf gespenstische Weise dem zertrümmerten Charkiw oder Kyiv. Berücksichtigt man aber in diesem Vergleich den realpolitischen Kontext, fallen diese Vergleiche in sich zusammen. Was Loznitsa nicht beantwortet, ist die Frage nach der Einordnung dieser Bilder. Diese gibt er in großen Teilen an die Gespräche ab, die später im Kinofoyer oder den Hörsälen entstehen. Ob das reicht, ist fraglich. Andererseits: Alleine schon die Frage, ob das reicht, kann eine sehr ergiebige sein.
Der Film steht bis 06.08.2024 in der ARD-Mediathek.
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