The Killer – Kritik
VoD: John Woos The Killer von 1989 bot ein Übermaß an Kitsch, sein Remake von 2024 ist ein High-End-Ramschladen mit wenig Emotionen. Doch sobald Schönheit, Gewalt und ein Tick Wahnsinn verbunden werden, ist der Regisseur ganz in seinem Element.

The Killer (Dip huet seung hung, 1989) ist von heißen Blicken erfüllt. Ein Polizist spricht darin von einem Auftragsmörder, als ob er den Rest seines Lebens in enger Umarmung mit ihm verbringen möchte. Eine von unzähligen Kerzen erleuchtete Kirche bildet einen Rückzugsort heiliger Geborgenheit. Tauben fliegen sowieso, schließlich ist es ein Film von John Woo. Doch nie wieder davor und danach hat der Regisseur ein solches Maß an Kitsch geboten, um unausgesprochene Gefühle auf die Leinwand zu gießen.
Kaum noch etwas zu verstecken

Dieses Jahr nun hat John Woo einen weiteren Film namens The Killer gemacht. Darin wird noch häufiger in Kirchen Platz genommen, die Tauben fliegen auch wieder – aber die Gefühle sprudeln nicht. Zwischen der Auftragsmörderin Zee (Nathalie Emmanuel) und dem Polizisten auf ihren Fersen Sey (Omar Sy) brodelt es weder ex- noch implizit. Sie wissen sich wertzuschätzen, und der Film unterstreicht mittels einer Überblendung, dass sie sich ineinander wiedererkennen. Mehr aber nicht. Auch der zentrale Moment des Vorgängers – die beiden Hauptfiguren müssen in Anwesenheit einer blinden Frau ihr Katz-und-Maus-Spiel kaschieren– wird aufgegriffen, aber dieses Mal gibt es kaum noch etwas, das versteckt werden könnte.

Hier zeigt sich am besten, wie sich die Ausrichtung im neuen Film verschoben hat. Die Gefühle liegen nun gänzlich bei der Blinden, bei Jenn (Diana Silvers), die in einen Drogenkrieg verstrickt ist. Einem Gangsterboss (Éric Cantona) ist Heroin entwendet worden. Die Suche danach ist blutig und von Verrat gesäumt. Jenn sitzt im Zentrum dieses Sturms, weil sie den Ort des Verbleibs kennen könnte, aber mehr noch ist sie eine Außenstehende, die nicht weiß, was um sie herum geschieht. Sie schreit, weint, und ihr widerfährt Schmerz. Sie leidet an einer brutalen Welt, der sie ausgeliefert ist und die sie nur bedingt versteht. Sie ist die offene Wunde in einem ansonsten vor allem stylishen Film.
Wenig überraschend orange

Zee ist ein fast schon legendäres Phantom. Für die Sehenden versteckt sie sich bei ihren Aufträgen hinter liebevollen Verkleidungen. Anders gesagt, versteckt sie ihre Identität und ihre schmerzhafte Vergangenheit hinter Rollen von Normalität. Wer sie selbst ist, möchte sie im Laufe des Films neu bestimmen. Sey hingegen ist der einzige aufrechte Polizist in einem zutiefst korrupten System, der von seinen Vorgesetzten wegen seiner rücksichtslosen Methoden angegangen wird – oder eben, weil er ihren verdeckten Geldgebern im Weg steht. Die beiden sind im Film diejenigen, die ein Herz aus Gold haben, die Jenn retten wollen. Aber mitnichten hält sie das davon ab, die Welt Jenns mit Gewalt zu füllen. Vielmehr ist genau das ihre zweite Haut, ihr tiefsitzendes Sein.

Statt in Hongkong spielt diese Version in Paris. Aber eben nicht in der Stadt der Liebe, sondern in einer mondänen europäischen Großstadt mit noblen Schneidern, hippen wie brüderlichen Bäckern, geschichtsträchtig und modern. Woo macht aus der Metropole eine hell erleuchtete, verträumte, aber auch unbestimmte Kulisse. Das alles ist auch kaum überraschend ein wenig ins Orange gegradet, optisch annehmlich nach gängigem Muster. Die Leute an diesem Ort sind Typen, die jeden Anflug von Individualität hinter coolen Sprüchen und coolen Outfits verstecken. The Killer ist 2024 ein High-End-Ramschladen, an dem Emotionen abperlen. Eine Glätte, an der vor allem Jenn lebhaft leidet.

John Woo selbst aber womöglich auch. Sucht er doch schon seit seinen melodramatischen Ausbrüchen von A Better Tomorrow (Ying hung boon sik, 1986) bis Bullet in the Head (Dip huet gai tau, 1990), in denen rauschhafte Action und berstende Emotionalität zu einer Einheit gefunden hatten, nach seiner Identität. Seine Filmografie schlingert seitdem zwischen stylisher Action, ins Leere laufenden Gefühlen und überbordendem Wahnsinn. Vor 2000 kamen dabei noch diverse Meisterwerke raus, in diesem Jahrtausend sucht er nun aber nach deutlich Form und Konstanz.
Tränen, eher schön als treffend

The Killer zeigt coole Oberflächen und handelt vom Wunsch nach einem Neuanfang, weil einen der Schmerz der Vergangenheit nicht loslässt. Die Coolness ist aber auch Ursache des Schmerzes und gleichzeitig grundlegend für die nur latent sich einstellende Emotionalität – gerade die Action ist nicht Ausdruck von Gefühlen, sondern ihrer Verdrängung. Sey wird seinen Traum, ein gerechter Polizist zu sein, platzen sehen. Dabei ist er in Sonnenlicht getaucht, und Staubflocken umfliegen ihn. Das sind seine Tränen, aber zu nicht geringem Teil auch die von Woo. Dass sie eher schön als treffend sind, ist das mitverhandelte Leid des Films.

Die ambivalente Schönheit liegt eben darin, dass Woo Actioninszenierung wie eine zweite Haut steht. Wenn er das macht, was ihm einfach von der Hand zu gehen scheint. Ob es ein ballettartiges Massaker in einem rotleuchtenden Club ist oder eine Schlacht in der Kirche, bei der Weihrauchfässer geschwungen werden, als würden sie nicht nur als Waffe, sondern auch als Turngerät missbraucht – sobald Schönheit, Stil, Gewalt und ein Tick Wahnsinn verbunden werden, ist Woo in seinem Element. Nur liegt die Sehnsucht darüber, dass da mehr sein sollte.
Den Film kann man bei WOW und Sky GO streamen.
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