The Hidden City – Kritik
Der Dokumentarfilm The Hidden City verfremdet die Tunnelarbeiten für die Madrider U-Bahn zu Gewaltakten einer technisierten Menschheit.

Mit einem schwachen Funkeln erhellen die wenigen Sterne das bis dahin schwarze Bild. Das Licht fällt auf weitere Himmelskörper, die langsam vorüberziehen. In der Bewegung offenbart sich ihre Form als ungleichmäßig. Leicht verzogen wie mit Helligkeit gefüllte Wassertropfen hängen sie in der Dunkelheit. Es ist ein Trugbild, das Regisseur Victor Moreno in den ersten Sekunden auf die Leinwand bringt. Die Helmlampe eines Kanalarbeiters entlarvt den falschen Kosmos. Ihr Schein enthüllt die Textur der Kanalwand, auf der die falschen Sterne, die tatsächlich kleine Wassertropfen sind, glänzen.
Das Höllenfeuer greift in den Kinosaal

Das ästhetische Programm von The Hidden City (La Ciudad Oculta) ist die Umdeutung. In streng hermetischen Bildausschnitten und bewusst vom Gesamtprozess separierten Szenen verfremdet der Film die Arbeitsprozesse, die sich unter der Haut der Großstadt abspielen. Nie ist ein Arbeitsvorgang in ganzer Länge zu sehen, nie gibt es eine Übersicht über die Tätigkeiten, die hier tatsächlich stattfinden. Einzelne Handgriffe, mechanische Abläufe und die Maschinen selbst werden bis zur Unkenntlichkeit abstrahiert. So wie Werner Herzog in Lektionen in Finsternis (1995) die Löschung der brennenden Ölquellen des zweiten Golfkriegs zum ewigen, wahnhaften Verlangen des Menschen nach Feuer umdeutete, erklärt The Hidden City die Tunnelarbeiten in der Dunkelheit zu den Gewaltakten der technisierten Menschheit. Ohne Herzogs Sprachpathos, aber mit einer vergleichbaren Bildgewalt erkundet Morenos Film das Verhältnis von Mensch und Erde. Eine Beziehung, die der Mensch mit der Monstrosität seiner Maschinen dominiert. Jeder Eingriff, jede Arbeitsmaßnahme ist ein Akt der Gewalt. Metallische Arme stampfen in den Steinboden, der die Gleise umgibt, wühlen mit ihrer hydraulischen Kraft mühelos durch das Gestein. Die ungeheure Kraft, die der Film suggeriert, wird von den Anzeigen im Inneren der Maschine kaum registriert. Ihr Zeiger ruht bewegungslos auf grün, während sich der Lärm im Tunnel ins Unerträgliche steigert. Loren krächzen laut auf, während sie schleifend über die Schienen rollen. Nur die Funken, die von der Schiene in den Tunnel fliegen, sind dabei zu sehen. Das kleine Höllenfeuer scheint aus der Dunkelheit in den Raum des Kinosaals zu greifen. Ein Effekt, der nur dadurch möglich wird, dass Morenos Perspektive den dunklen Raum des Kinos stets mitdenkt.

Aus diesem blickt der Film nicht nur auf die Arbeit selbst, sondern auch auf die Welt, die sie umgibt. Tunnel, die in die Erde gefräst werden, um die Maschinen mit Energie zu versorgen, und Tunnel, die das Wasser, das aus der Stadt hinabströmt, in unsichtbare Anlagen leiten, sehen gleichermaßen aus wie Giger-Zeichnungen, denen jede Spur des Lebens entzogen wurde. Ein perfekt geschliffener, karger Maschinenkörper, durch dessen Adern der Starkstrom transportiert wird, der das U-Bahn-Netz versorgt. Über dieses Netz schlägt der Film schließlich auch die Brücke zu der Zivilisation, die diese Unterwelt zu verantworten hat. Die U-Bahn selbst führt den Zuschauer aus der klaustrophobischen Tiefe in den belebten Bauch der Stadt. Eben hier, wo die Zivilisation der Gewalt, mit der sie ihre Umgebung formt, entgegenblickt, verfängt sich The Hidden City in seinem eigenen Konzept. So radikal Moreno unter Tage die Welt umdeutet, so einfallslos wirkt der gleiche Blick, wenn er sich auf die Zivilisation richtet. Die Diskrepanz zwischen der Leistungsfähigkeit seiner Technik und dem Bewusstsein des Menschen wird hier auf die Abziehbilder reduziert, die das Kino seit Erfindung des Smartphones im Überfluss produziert: U-Bahn-Passagiere kleben an den Bildschirmen ihrer Geräte, sind in Bücher vertieft oder starren, den Songs ihrer iPods lauschend, vor sich hin. Kein Gedanke kreist um den Höllenschlund, in den der gleiche Tunnel führt, den sie zur bequemen Fortbewegung nutzen.
Die Fauna hat keinen Platz in der Unterwelt

Dass aus dem gleichen Konzept einschlagende Bilder entstehen können, beweist The Hidden City dann letztlich doch in der Tiefe. Ein Alarmsystem kündigt das Eindringen eines Tiers in die Arbeitstunnel an. Jedes Bild, das diesem Alarm vorangestellt ist, scheint die Sirene zum Fehlalarm zu erklären. Dass sich Leben in diese Welt verirrt, wirkt wie eine weitere Täuschung. Und doch zeigen die Überwachungskameras kurz darauf Männer, die die Gänge abschreiten und scheinbar vergeblich suchen. Bis eine Großaufnahme das Antlitz einer weißen Eule enthüllt, die sich in das Labyrinth der unterirdischen Gänge verirrt hat. Eine weitere Kamera wird tief im verzweigten Abwassersystem eine ganze Rattenkolonie aufspüren. Das Leben hat sich einen Weg in die tiefsten Schächte der Maschinen gebahnt. Und doch ist die Anwesenheit der Lebewesen unter der Stadt kein Zeichen der Vitalität. Die Fauna hat keinen Platz in einer Unterwelt. Sie ist ein Störfall, den es zu beheben gilt.
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