The Fifth Season – Kritik

Können Bilder sprechen? The Fifth Season findet auf eine schwierige Frage eine einfache Antwort.

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Innerhalb der Kunstgeschichte gibt es wohl keinen Streit darüber, ob es sich bei den immer wiederkehrenden Kreuzigungsdarstellungen in den Bildern der alten Meister tatsächlich um gegenseitigen Motivklau handeln könnte. Natürlich nicht, denn die stete Wiederholung dieses und anderer biblischer Stoffe in der bildenden Kunst war lange Zeit schlichter Ausdruck ehrfürchtigen Gehorsams gegenüber einer klerikalen Philosophie des Bildes: In der Abbildung des Profanen lauert stets erhöhte Gefahr der Götzenverehrung. The Fifth Season (La cinquième saison, 2012), der letzte Teil einer Trilogie der Filmemacher Peter Brosens und Jessica Woodworth (Khadak, 2006; Altiplano, 2009), zwingt die Lesart förmlich in einen Diskurs über die christliche Malerei und deren Motive und stellt zusätzlich eine ganz grundlegende bildsprachliche Frage: Können Bilder Neues über Altes erzählen? The Fifth Season beantwortet diese Frage mit „Ja“.

The Fifth Season 02

Mit einem gigantischen Leuchtfeuer bannen die Bewohner eines kleinen Dorfes in den Ardennen jedes Jahr den Winter aus dem Land. Nur dieses Mal will der übergroße Scheiterhaufen nicht in Flammen aufgehen. Bald wird klar, dass es sich hier um kein technisches Problem handelt, sondern dass sich die Natur ganz einfach weigert, weiterhin natürlich zu sein. Kühe geben keine Milch mehr, die Saat will nicht mehr sprießen, und die Atmosphäre scheint erkrankt zu sein, unheilbar befallen von dichten Nebelschwaden, die alle Naturschönheit gnadenlos einkassiert. Das ganze Dorf wird überzogen von einer tiefen Depression, und niemand weiß, was dieses namenlose Unheil ist, woher es kommt und ob es jemals wieder abklingt. Literatur und Film haben diese Motive hundertfach behandelt. In Cormac McCarthys Roman The Road und seiner großartigen Verfilmung (2009) werden bereits viele der zentralen Fragen von The Fifth Season zur poetischen Disposition gestellt. Die Fantasie vom kriegerischen Naturzustand, wie ihn Thomas Hobbes beschrieb, ist ein substanzielles Leitmotiv beider Erzählungen. Die intensive Beziehung zwischen Vater und Sohn, die sich auf einer Reise in eine bessere Welt befinden, sei diese Welt auch nur ein illusionärer Wunschtraum, ist ein zweites.

Gleichzeitig brüllt The Fifth Season seine thematische und strukturelle Bezugnahme auf Andrei Tarkowskis letzten Film Opfer (Offret, 1986) geradezu heraus. Nicht nur die Opferfrage als solche, auch der philosophische Gestus, in dem sich die Katastrophe ins Metaphysische verklärt, Bachs Passionsmusik, die den Untergangsmythos auf dem Harmonieteppich der reinen Klage erdet, oder die Kamera, die die menschliche Geste immer wieder zum ikonischen Stillleben zerdehnt, sind einige wenige Hinweise, die es nahelegen, beide Filme in derselben künstlerischen Tradition zu lesen. Auch die berühmte Schlussszene aus Opfer, in der die Villa des Protagonisten vollends in Flammen steht, findet in The Fifth Season ihr emblematisches Pendant.

The Fifth Season 01

Selbst wenn man also im Falle von The Fifth Season nicht von Motivklau reden möchte, so lässt sich zumindest eine übersteigerte Zitatpolitik diagnostizieren. Die vernichtende Fantasie vom Weltuntergang bleibt hier im Grunde bloße Kopie älterer Werke. Und doch ist sie mehr als eine reine Replik. Die Bilder des Films sind von einer derart visuellen Sprengkraft, dass sie an sämtlichen bekannten Motivstrukturen immer noch ihre eigene Wertung vollziehen. Den Aufnahmen merkt man den Stillstand förmlich an, auf den sie hinauslaufen, als wäre die Apokalypse seit jeher in die Natur eingraviert. In The Fifth Season fällt die Natur nicht ihrem Untergang zum Opfer, sie ist bereits selbst der Untergang. Was wir im Bild sehen, ist nicht die Welt, die in sich zerfällt, sondern die allegorische Meditation auf den Zerfall selbst. Von der Renaissancemalerei bis in den Surrealismus hinein verdichten sich die Bilder zu einer lyrischen Rede. Minimale Bewegungen durchziehen die starren Einstellungen und sind dadurch immer schon im Begriff selbst zu gefrieren. Alles was sich noch lebendig über die Leinwand schleppt, ist der Statik des Ruins schon ausgeliefert.

The Fifth Season 13

The Fifth Season ist weniger eine originelle Erzählung als das erstaunliche und unvergleichliche Bekenntnis zu einer Sprachlichkeit des Bildes. Wenn sich die Dorfbewohner, allesamt fratzenhaft maskiert, zum kultischen Opferritus zusammenschließen und alttestamentarischer Mythos mit der Groteske der Commedia dell’arte verschmilzt, dann rezitiert das Bild ein eigenes Versmaß. Selten hat sich der Dialog zwischen Bild und Handlung auf diese Weise verkompliziert. Beide sprechen eine eigene Sprache, und beide erzählen ihre eigene Geschichte. Und der Punkt, an dem das alles miteinander kollidiert, wird zur herausragenden Leerstelle.

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