Der Graf von Monte Christo – Kritik

Alles funkelt, atmet, malt und spielt. Den Theater- und Filmregisseuren Alexandre de La Patellière und Matthieu Delaporte gelingt mit Der Graf von Monte-Cristo ein klassischer Abenteuerfarbfilm mit Feingefühl und Tiefgang.

Sturmzerfetzte Nacht auf See - die wilde Action am Anfang von Der Graf von Monte Christo wirkt wie aus einem anderen Film; bald schon wird es heller und feiner und bleibt es auch. Aber dieses Inferno ist der emotionale und chaotische Ursprung des Dramas, das das Leben des Seefahrers Edmond Dantès beherrschen wird.

Am nächsten Morgen zeigt das Dasein ein ganz anderes Gesicht. Mir ist lange nicht mehr so bewusst geworden wie in dieser Version des Grafen, dass ein Film aus Licht ist. Alles funkelt, atmet, malt und spielt, beweglich und agil. Die Landschaften, Interieurs und Kostüme blühen schönfarbig in azur, türkis, grasgrün, crème, kupfer. Auch für Edmond geht es anfangs glücklich weiter. Frau gesehen, gleich verliebt und bald verlobt… Die Neider aber spinnen schon ihre Intrigen.

Trauriges und tragisches Märchen

Es gibt viele, oft sehr gute und aufwändige Verfilmungen des berühmten Romans von Alexandre Dumas. Jede setzt ihre eigenen Schwerpunkte, und diese hier kann souverän und unangestrengt mithalten. Sie ist ein klassischer, rund und stimmig komponierter Abenteuerfarbfilm. Und ein nachdenkliches, romantisches, trauriges und tragisches Märchen mit Tiefgang. Mantel- und Degenszenen sind ihr nicht wichtig (es gibt aber schöne Pferde). Dafür konzentriert sie sich auf die Raffinesse der perfiden Verwicklungen, auf die geschliffenen Dialoge und die – zeitlos schwierig umzusetzende - philosophische Moral der Geschichte.

Ich mag es, wie der Film die betont edel-schlichte, aparte und latent gespenstische Mode der nachnapoleonischen Zeit feiert: Die hohen, schwarzen Hüte, die akribisch bestickten Stoffe, Edmonds elaborierte Masken. In dem sorgfältig gesetzten Kerzenlicht diffundieren die Konturen exquisit wie auf alten Gemälden. Ich mag auch die Zierlichkeit der Menschen im Kontrast zu den hohen, weiten Räumen. Edmonds große, erstaunte, erschrockene Augen. Seinen intensiven, verletzten Blick. Pierre Niney spielt Edmond konzentriert und präzise; man liest gern in seinem Gesicht, das in seiner Veränderlichkeit immer mal kurz verschiedenen interessanten Leuten ähnelt. Jesus, Mink de Ville, ETA Hoffmann, mein Nachbar meinte gar Miroslav Klose. Auf jeden Fall ist Niney, mitsamt der filigran verschlungenen Tätowierungen auf seinem Rücken, wie für diesen Film gemacht.

Nachher ist man schlauer

Vierzehn Jahre Kerkerhaft. „Vivant?“ („Lebendig?“) ruft der Kerkermeister ins Verlies hinunter, „vivant!“ müssen die Gefangenen dann antworten. Edmonds Nachbar, schon ewig hier, ist nicht verzweifelt. Er glaubt an Bildung und an Tunnelbau. Unterrichtet Edmond über Fremdsprachen, Weltwissen und einen Schatz, der draußen irgendwo versteckt liegt. Die Vorbesitzer hatten ihn nicht zu genießen gewusst, sich der Rache für ihnen widerfahrenes Leid und Unrecht verschrieben und den Schatz so lang versteckt gehalten, bis sie starben. Braucht eine Menschenseele das? Braucht sie Vergeltung? Kann man nicht den ganzen widrigen Kram an sich abperlen lassen und einfach sein eigenes Leben leben? Mögen Weise es auch anders sehen: Für den erbitterten Edmond stellt sich die Frage nicht.

Es ist ja auch schlimm. Ja, er kommt frei, aber zu spät. Jugend vorbei, Vater tot vor Kummer, die einstigen Intriganten in hohen Positionen. Ex-Freundin verheiratet mit einem von ihnen. Sie haben sich in den vierzehn Jahren ihres Coming of Age zu gierigen und korrupten Erwachsenen entwickelt und bilden nun eine blasierte Gesellschaft, deren verfeinerter Lebensstil auf Betrug und Schlechtigkeit beruht. Auch ihre Frauen und Kinder profitieren davon. Verglichen mit den Idealen der Jugend ein Desaster, und ohne Frage ungerecht. Edmond könnte dennoch denken: „Ich wische mir meinen wie auch immer berechtigten Hass aus dem Kopf. Ich habe die Zeit im Kerker genutzt, um zu lernen. Ich habe Geist, ich habe einen Schatz gefunden und bin frei. Ich fange neu an.“ Aber seine empörten Emotionen lassen das nicht zu. Die Leute sollen ihr Unrecht einsehen und leiden wie er. Er nutzt aus, dass niemand mit ihm rechnet und gibt sich, aufwändig verkleidet, als verschiedene fiktive Männer aus. Füllt sein Schloss mit exotischen Kostbarkeiten und macht es zu einer blendenden, trickreichen, goldglänzenden Falle. Er ist der Regisseur in diesem Theater, in dem nun seine Spiele gespielt werden. Seine junge Schutzbefohlene Haydée platziert er dort als schönes fremdes Mädchen, das Musik macht, so dass sich der junge Mann, dem er schaden will, in sie verlieben muss (Vassili Schneider spielt diesen Jungen feinfühlig, mit schmelzendem Blick und minutiöser Mimik). Durch Recherchen erfährt Edmond die Schwächen aller an seinem Unglück Schuldigen und weidet sich an ihrer Angst, er könnte ihre dunklen Geheimnisse enthüllen, als er sich vor ihnen als Spiritist und Wahrsager ausgibt. Auf eine jeweils genau auf sie zugeschnittene Art und Weise beginnt er, einen nach dem anderen zu zerstören.

Der Graf von Monte Christo ist ein guter, unterschwellig verzaubernder Film. Man schaut in ihn hinein wie in eine Kristallkugel. Er führt einem auf einer tieferen Ebene der Bilder und Geschichten etwas vor Augen, das ich nicht benennen kann. Aber ich war nachher nachdenklicher und, ich meine auch, für eine Weile schlauer.

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